Die deutsche EZB-Direktorin Sabine Lautenschläger hört Ende Oktober auf. Foto: dpa/Marc Tirl

Sabine Lautenschläger hat wohl aus Protest gegen die expansive Geldpolitik der Notenbank ihr Amt vorzeitig niedergelegt. Spekuliert wird, dass sie den Kurs der EZB nicht mittragen wollte, der vor allem Folgen für Kleinsparer hat.

Frankfurt - Schon zum dritten Mal verlässt ein deutsches Direktoriumsmitglied die Europäische Zentralbank (EZB). Sabine Lautenschläger wird ihren Sitz im Führungsgremium der europäischen Notenbank Ende Oktober aufgeben, teilte die EZB mit. Gründe für die Entscheidung wurden nicht genannt, Lautenschläger selbst will sich nach Angaben eines Sprechers nicht dazu äußern.

Damit drängt sich der Verdacht auf, dass die ehemalige Vizepräsidentin der Bundesbank die umstrittene Geldpolitik der EZB nicht länger mittragen will. Regulär wäre die Amtszeit der 55-Jährigen erst Anfang 2022 ausgelaufen.

Notenbank kauft massiv Anleihen

Lautenschläger hatte sich im August entschieden dagegen ausgesprochen, dass die EZB ihre Anleihekäufe wieder hochfährt. Die Notenbank pumpte vom Frühjahr 2015 bis Ende 2018 mit dem Erwerb von Staatsanleihen und anderen Wertpapieren über 2,6 Billionen Euro in die Märkte, seither hält sie ihre Bestände konstant. Gegen den Willen von Lautenschläger, Bundesbankchef Jens Weidmann und anderer Notenbankpräsidenten beschloss die Mehrheit des EZB-Rats im September, weitere Anleihen zuzukaufen. Ab November will die Notenbank dafür monatlich 20 Milliarden Euro in den Umlauf bringen.

Lesen Sie hier den Kommentar zur EZB: Gefährliche Entfremdung

Damit steht außerdem fest, dass die sehr lockere Geldpolitik auch nach Ende der Amtszeit von EZB-Präsident Mario Draghi Ende Oktober weitergeht. Dafür sprechen auch die Aussagen von Draghis Nachfolgerin, der Französin Christine Lagarde.

Der Streit zieht sich schon seit Jahren hin

Besonders in Deutschland sind die Anleihekäufe seit Jahren heftig umstritten. Schon im Februar 2011 trat der damalige Bundesbankchef Axel Weber zurück, weil er wegen seines Widerstands dagegen keine Chance mehr auf einen Wechsel an die EZB-Spitze sah. Wenn ein EZB-Präsident zu wichtigen Fragen eine Minderheitsmeinung verträte, „leidet die Glaubwürdigkeit dieses Amts“, sagte er damals dem „Spiegel“.

Im gleichen Jahr nahm der deutsche EZB-Chefvolkswirt Jürgen Stark seinen Hut. Anlass war der Erwerb von Anleihen hoch verschuldeter Staaten wie Griechenland, mit denen die EZB die Eurokrise zu entschärfen versuchte. Starks Nachfolger im Direktorium, Jörg Asmussen, blieb nur zwei Jahre im Amt. Sein Ausscheiden hatte aber persönliche Gründe.

Auseinandersetzung dürfte an Schärfe gewinnen

Die Landesbank Baden-Württemberg (LBBW) wertete den Rückzug Lautenschlägers als Signal, dass die EZB ihre Anleihekäufe unter der künftigen Präsidentin Lagarde noch stärker ausweiten könnte. Zwar sind die Beschlüsse vom September nicht nur von Bundesbankpräsident Weidmann, sondern auch von den Notenbankchefs der Niederlande, Österreichs und Frankreichs kritisiert worden.

„Wenn sich die konjunkturelle Lage weiter verschlechtert, wären Anleihekäufe aber das stärkste Instrument der EZB“, sagte LBBW-Analyst Jens-Oliver Niklasch unserer Zeitung. Die Auseinandersetzung werde deshalb an Schärfe gewinnen.

EZB-Chef dankt der Deutschen

„Das wäre eigentlich der Moment, sein Gewicht in die Waagschale zu werfen“, sagte Niklasch mit Blick auf Lautenschlägers Rücktritt. Offenbar habe diese aber wenig Hoffnung auf eine Kursänderung: „Man muss davon ausgehen, dass Frau Lautenschläger keine realistische Chance sieht, das zu stoppen, und sie will nicht mit drin hängen.“

Der Wirtschaftsweise Volker Wieland erklärte, falls Lautenschlägers Rücktritt mit ihrer Kritik zusammenhänge, wäre dies „fatal für das Bild der EZB in der Öffentlichkeit“. In der Notenbank sollte „eine Kultur gepflegt werden, in der unterschiedliche Meinungen willkommen sind und Minderheitsmeinungen nicht ignoriert oder totgeschwiegen werden“, mahnte Wieland. Hilfreich wären auch „echte Abstimmungen und die Veröffentlichung von Abstimmungsergebnissen“.

Die Juristin Lautenschläger gehört dem EZB-Direktorium seit 2014 an. Sie wirkte am Aufbau der europäischen Bankenaufsicht mit, die damals der Notenbank übertragen wurde. Als Stellvertreterin der Französin Danièle Nouy leitete Lautenschläger das höchste Aufsichtsgremium. Gleichzeitig war sie als EZB-Direktorin auch an geldpolitischen Beschlüssen beteiligt. Notenbankchef Draghi danke Lautenschläger für „ihre Schlüsselrolle bei Aufbau und Leitung der Bankenaufsicht“, wie die EZB mitteilte.

Nachfolge noch offen

Wer Lautenschläger ersetzen wird, war zunächst unklar. Deutschland war bislang immer im EZB-Direktorium vertreten. Das Bundesfinanzministerium erklärte am Donnerstag: „Mit Blick auf die Nachfolge erhebt Deutschland als größter Mitgliedsstaat des Euroraums den Anspruch, weiterhin ein deutsches Mitglied im EZB-Direktorium zu stellen.“ Man werde in Kürze eine geeignete Kandidatin oder einen Kandidaten vorschlagen. Die Personalie bedarf aber der Zustimmung der anderen Eurostaaten.

„Die einfachste Lösung wäre, Bundesbank-Vizepräsidentin Claudia Buch auf den Posten zu berufen“, sagte Commerzbank-Analyst Michael Schubert. Ein denkbarer Kandidat sei aber auch der Chef des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW), Marcel Fratzscher. Er war von 2001 bis 2012 bei der EZB tätig.

Der Wirtschaftsflügel der CDU nannte Lautenschlägers Rücktritt ein „fatales Signal“. Die Bundesregierung müsse eine starke Nachbesetzung durchsetzen, forderte der Generalsekretär des Wirtschaftsrates der CDU, Wolfgang Steiger. „Aber bitte keine Jasager gegenüber einer fehlgeleiteten Geldpolitik. Sonst wird die Vertrauenskrise noch verstärkt.“

Der Verband der Familienunternehmer in Deutschland schloss sich der Forderung des CDU-Wirtschaftsflügels an. Im sechsköpfigen EZB-Direktorium „ eine deutsche Stimme zu behalten ist entscheidend, da mit Christine Lagarde an der Spitze der Zentralbank kein Kurswechsel in der entgrenzten Geldpolitik zu erwarten ist“, ließ der Verband wissen.