Blumen am Tatort im Fasanenhof in Stuttgart. Foto: Leif Piechowski

Der Schock über den brutalen Mord im Fasanenhof sitzt tief. In dieser Situation ist die Stadtgesellschaft gefordert, besonnen zu reagieren, kommentiert Lokalchef Jan Sellner.

Stuttgart - Der Mord im Frankfurt Hauptbahnhof an einem achtjährigen Jungen, der Mord im Fasanenhof in Stuttgart an einem 36-jährigen Deutschkasachen, beide in derselben Woche verübt, beide maximal grausam, wühlen die Menschen auf. Die Taten haben nichts miteinander zu tun, ihre Hintergründe liegen teils im Dunkeln, und doch werden sie in einen Zusammenhang gestellt. Er ergibt sich aus der nicht deutschen Herkunft der mutmaßlichen Mörder. Beide haben als Flüchtlinge Asyl gefunden – der eine in der Schweiz, der andere in Deutschland.

Die Umstände der Taten – in Frankfurt werden ein Kind und seine Mutter vor einen einfahrenden Zug gestoßen, in Stuttgart wird ein Mann auf offener Straße niedergemetzelt – erklären das allgemeine Entsetzen. Bundesweit ereigneten sich im vergangenen Jahr laut Bundeskriminalamt 386 Morde. Jeder für sich ein schreckliches Ereignis. Die wenigsten haben ein überregionales Echo gefunden, vielleicht auch, weil sich die Verbrechen häufig fernab der Öffentlichkeit ereignet haben. In Frankfurt und Stuttgart ist das anders. Allein die bedrückende Tatsache, dass bei der Schwertattacke im Fasanenhof etliche Waldheimkinder Augenzeugen wurden, lässt die Tat singulär erscheinen.

Verständlicherweise stehen viele Menschen in Stuttgart unter Schock. Stille macht sich breit. Nachdenklichkeit, Betroffenheit. Auf der anderen Seite auch Empörung: „Jetzt muss endlich was geschehen!“ Es gibt solche Stimmen, sie sind unüberhörbar. Befeuert werden sie von politischen Kräften, die das Verbrechen für ihre Zwecke zu instrumentalisieren versuchen. Wer Videos der Bluttat in sozialen Netzwerken verbreitet, wie dies manche AfD-Politiker getan haben, dem geht es nicht um „die Wahrheit“, wie behauptet wird, sondern er zeigt sein wahres Gesicht. Ordnungsbürgermeister Martin Schairer hat dafür die treffende Bezeichnung gefunden: „abscheulich“.

Seriöse Antworten statt Pauschalurteile

Muss etwas geschehen? Ja, aber nicht irgendwas, sondern das Richtige. Richtig ist es, auf die Fragen der verunsicherten Menschen seriöse Antworten zu geben. Antworten, die sich an Recht und Gesetz orientieren und nicht an Pauschalurteilen. Richtig ist es auch, die Verhältnismäßigkeit zu wahren. Stuttgart ist eine multikulturelle Landeshauptstadt, in der Menschen aus 170 Nationen, darunter einige Tausend Flüchtlinge, ganz überwiegend friedlich und gut zusammenleben. Vielfalt ist ein Markenzeichen dieser Stadt. Das heißt keinesfalls, blind für Risiken und Gefahren zu sein. Im Gegenteil. Gerade im Sinne gelingender Vielfalt braucht es erhöhte Aufmerksamkeit.

„Es hätte auch ein Schwabe sein können“, sagte der frühere Oberbürgermeister Manfred Rommel nach der tödlichen Messerattacke eines Afrikaners auf Polizeibeamte auf der Gaisburger Brücke vor fast genau 30 Jahren. Dieser Satz hat nichts von seinem herausfordernden Charakter verloren, auch nichts von seinem wahren Gehalt. Die Stadtgesellschaft hat sich damals resistent gegen aufkeimenden Hass und dumpfe Parolen gezeigt. Es hat ihr gut getan. Sie ist heute aufs Neue gefordert, diesen Tendenzen zu widerstehen.

jan.sellner@stzn.de