Das Treffen der Gruppe S. und ihrer Unterstützer im September 2019 in Alfdorf im Rems-Murr-Kreis wird von einem Mobilen Einsatzkommando der Polizei observiert. Foto: StN

Eine mutmaßliche Rechtsterrorgruppe plant den bewaffneten Sturm auf den Reichstag, um „auf einen Schlag“ alle Politiker dort zu töten. Zudem will sie in Innenstädten zuschlagen und dabei „auf nix Rücksicht nehmen“. Eine gemeinsame Recherche des ZDF-Magazins Frontal 21 und der Stuttgarter Nachrichten.

Stuttgart - An einem Mittwoch im Jahr 2019 um 10.02 Uhr war Werner S. klar, was er wollte: Mit „der richtigen Vorbereitung, mit Training und einem exzellenten, ausgereiften Konzept, müssten wir nicht“ warten. Stattdessen wolle er „auf einen Schlag die gesamte ‚…‘ im Reichstag ausschalten“, schrieb der Anführer der nach ihm benannten Gruppe in sein Smartphone. Seit jenem 16. Oktober 2019 gab es für Werner S. und seine Gesinnungsgenossen in der mutmaßlichen Rechtsterrorgruppe S. kein Zurück mehr: Eine bis zu 1000 Mann starke Miliz sollte entstehen. Mit der könnte man, gab S. vor – „so sei mir der Gedanke erlaubt“ – „dem ganzen Spuk … ganz zügig ein Ende bereiten“.

Vier Monate später lud der 55-jährige S. seine zwölf Kumpanen für den 8. Februar 2020 nach Minden in Ostwestfalen ein: „Bei Brot und Wein wird ‚Krieg‘ besprochen!! Wer dies nicht erträgt, wird fehl am Platze.“ Es ging der Gruppe nicht mehr darum, ob sie gewaltsam gegen den deutschen Staat vorgehen wollte. Sondern nur noch darum, wo und wie. Sie wollte ihren Kindern nicht „so einen Scherbenhaufen“ hinterlassen, „Nägel mit Köpfen“ machen.

Ab kommendem Dienstag wird den zwölf Mitgliedern der „Gruppe S.“ vom 5. Strafsenat des Stuttgarter Oberlandesgerichts in dem eigens für Hochsicherheitsverfahren gebauten Sitzungsgebäude in Stammheim der Prozess gemacht. Die Ermittler des baden-württembergischen Landeskriminalamtes (LKA) waren den mutmaßlichen Umstürzlern nur auf die Spur gekommen, weil sich ein Mitglied der Gruppe der Polizei offenbarte. „Wir sind im Spätsommer 2019 auf einzelne Personen aufmerksam geworden, nicht aber auf die gesamte Gruppierung. Wir bekamen damals Hinweise, dass ein großer Terrorakt geplant werden soll“, sagt LKA-Präsident Ralf Michelfelder. „Für uns war erschreckend, dass wir nur die wenigsten Personen dieser Gruppe vorher auf dem polizeilichen Radar hatten. Das zeigt mir, wie stark Rechtsextremismus im Untergrund wabert.“

Mutmaßliche Terroristen treffen sich auf dem Grillplatz

Michelfelders Ermittler recherchierten, observierten, hörten und lasen in der Ermittlungsgruppe „Valenz“ mit, wie sich Werner S. und seine Mitstreiter in Chatgruppen radikalisierten, nichts ahnend Treffen organisierten. Wie am 28. September 2019 in Alfdorf im Rems-Murr-Kreis. Aus fünf Bundesländern reisten die Terrorverdächtigen um Werner S. und mindestens vier Unterstützerinnen und Unterstützer an. Auf dem Grillplatz „Hummelgautsche“ wurde bei Bier und Wurst geplant: die Besorgung scharfer Schusswaffen in der tschechischen Republik, schusssichere Westen wurden in Augenschein genommen, S. übte mit Getreuen schießen. Das Treffen in Alfdorf, sagt Michelfelder „stand polizeilich bei uns im Fokus“. Bis heute haben seine 59.020.237 Datensätze ausgewertet: fast neun Millionen Fotos, 1.766.292 Chats, 663.692 Videos, 150.729 Emails.

Rekrutiert hat Werner S. seine Kumpanen nach gemeinsamen Recherchen des ZDF-Magazins „Frontal 21“ und unserer Zeitung in rechtsextremen, bürgerwehrähnlichen Gruppen wie „Wodans Erben Germanien“, „Soldiers of Odin“ und „Freikorps Heimatschutz Division 2016“. Gruppen, die sich dem Hass auf Asylbewerber, Muslime, politisch Andersdenkende und Politiker verschrieben haben. „Intelligente, harte, brutale, schnelle und zügige Kämpfer“ will S. für seine Truppe suchen und gewinnen.

„Männer, die glauben, sie seien Soldaten, die das Volk mit einer tausendjährigen Geschichte vor dem drohenden Untergang zu verteidigen hätten“, sagt die Rechtsextremismusexpertin der Linken, Martina Renner. Gewandet in Kutten und Kapuzenpullovern, patrouillierten die Rechtsextremen bisweilen in Städten wie Gelsenkirchen, München, Augsburg oder Nürnberg, marschierten am 3. Oktober 2019 in Berlin zur Demonstration auf – auch S. und sieben seiner mutmaßlichen Mittäter.

Landeskriminalamt baut bestellte Waffe im 3-D-Drucker nach

Die Gruppe traf sich nach der Demo konspirativ an der Raststätte „Stolper Heide“ an der Autobahn 111. Drei sogenannte Slam-Gun, mit Bauteilen aus einem 3-D-Drucker hergestellte Schusswaffen, bestellte S. bei Steffen B., einem seiner Kumpanen. „Wir haben die Waffe hier im Kriminaltechnischen Institut des LKA nachgebaut und mit ihr geschossen: mit verheerender Wirkung. Was die Opfer anbelangt, hätte diese Waffen in ihrer tödlichen Wirkung kommerziellen Schusswaffen in nichts nachgestanden“, sagt LKA-Chef Michelfelder.

Seine Ermittler lasen mit, als Thorsten W. am 27. Oktober schrieb: „Wir müssen von Zeit zu Zeit Terroranschläge verüben; bei denen unbeteiligte Menschen sterben. Dadurch lässt sich der gesamte Staat und die gesamte Bevölkerung lenken. Das primäre Ziel eines solchen Anschlages sind nicht die Toten, sondern die Überlebenden, denn die gilt es zu lenken und zu beeinflussen.“ Brisant: W. war ziviler Mitarbeiter der nordrhein-westfälischen Polizei, eingesetzt im Polizeipräsidium Hamm. Hier prüfte er zunächst die Vergabe von Waffenscheinen, zuletzt bearbeitete er als Regierungsamtsinspektor Verkehrsordnungswidrigkeiten.

Die Gruppe definierte Ziele für mögliche Anschläge – auch Polizisten, die „keine Lebensberechtigung haben“. Ihnen solle man „mit einer Axt vor den Kopf schlagen“. Ihre Kinder müsse man totschlagen und „vor die Türe legen“, hetzte der Beschuldigte Thomas N. am 23. Januar 2020 um 18.43 Uhr am Telefon. Elf Tage später, am 8. Februar, trifft sich die Gruppe S. im Haus von Thomas N. in Minden. Sie wollen den Systemumsturz, „der Initiator, der Auslöser, der erste Dominostein“ sein, ein „Exempel statuieren“ und „Geschichte schreiben“. Als Einzeltäter und in kleinen Einheiten wollen sie Moscheen in abgelegenen, kleinen Ortschaften mit Schusswaffen und Handgranaten angreifen, möglichst viele Muslime töten oder schwer verletzen. Alternativ planen sie Angriffe auf Unterkünfte von Asylbewerbern. Zeitnah sollen die Planungen umgesetzt werden. In der Gedankenwelt des S. heißt das: „Auf geht’s, zum Angriff sammeln und Attacke.“

Anton Hofreiter und Robert Habeck sollen sterben

Weitere Anschläge sollen folgen. Spitzenpolitiker wie die Grünen Robert Habeck und Anton Hofreiter sollen ermordet werden, auf „nix Rücksicht nehmen“ wollen sie, „Schwarzafrikaner, Politiker und Antifa-Leute“ sollen dran glauben, „keinen Halt machen vor Frauen, Kindern oder Sonstiges“ wollen S. und seine Leute, auch in Innenstädten zuschlagen „und zwar zeitgleich an einem Tag in 14 verschiedenen Städten“. Die „konsequenzlose Laberei soll bald mal ein Ende haben“; ein Bürgerkrieg soll provoziert werden: „Es wird in Deutschland einen totalen Umbruch geben, dieser wird heftig und sehr blutig werden“, gibt S. vor.

Dabei will Thorsten W. mit Blick auf seine Arbeit bei der NRW-Polizei die Vorhaben nur finanziell unterstützen und bietet fürs Erste 5000 Euro an. Das Geld wird gebraucht. S. will die Gruppe aufrüsten: Zu den 27 erlaubnispflichtigen Waffen, darunter zahlreiche Pistolen, die seine Gruppe zu diesem Zeitpunkt bereits hortet, sollen am 21. März 2020 ein Kalaschnikow-Sturmgewehr, 2000 Schuss Munition und eine Uzi-Maschinenpistole kommen. Beschaffen will die André B., ein in der Nähe von Leipzig lebender Rechtsextremist aus dem Umfeld der Rockergruppe „Underdog“. In deren Clubhaus in Sondershausen hatte sich S. erstmals persönlich mit drei Getreuen und etlichen Unterstützern im Juli 2017 getroffen.

Die „Gruppe S.“ kommt nicht mehr dazu, ihre Pläne umzusetzen: Am 14. Februar 2020 stürmen Spezialeinsatzkommandos und Beweissicherungs- und Festnahmeeinheiten 53 Objekte in Deutschland, nehmen Werner S. und seine Zwölf fest. Einer, Ulf R., stirbt im Sommer in Untersuchungshaft. LKA-Präsident Michelfelder ist überzeugt: „Wir sind bei unseren Durchsuchungen auf ein nach meiner Bewertung riesiges Waffenlager gestoßen. 27 erlaubnispflichtige Schusswaffen und sehr viel Munition haben wir dort gefunden. Hätten die Beschuldigten ihre geplanten Terrortaten umsetzen können, hätten wir hier eine ganz brutale, ganz massive Tötungsmaschinerie am Laufen gehabt.“