Viele Dieselfahrer Kunden klagen gegen VW. Doch welcher Weg ist dafür am besten geeignet?? Foto: picture alliance/dpa/Patrick Pleul

Hat Volkswagen beim Dieselskandal nicht nur gegen Gesetze verstoßen, sondern auch die Kunden geschädigt? Über diese Frage wird derzeit in einem Musterverfahren verhandelt, in dem die Kläger bereits manch einen Dämpfer hinnehmen mussten.

Stuttgart - Manfred E. ist einer von Millionen Besitzern eines VW-Diesel, und für ihn war es gar keine Frage, wie er mit dem Abgasskandal umgeht. „Dass die Autos uns als besonders sauber verkauft wurden und dann richtig dreckig waren, ist für mich unbegreiflich“, sagt er. Verkaufen wollte er seinen Euro-5-Wagen trotzdem nicht – erst recht nicht zu den Preisen, die er angesichts drohender Fahrverbote noch hätte erzielen können. „Es ist ja kein schlechtes Auto.“

Doch ungeschoren wollte Manfred E. den Volkswagen-Konzern nicht davonkommen lassen – schließlich hatte er nur deswegen noch kein Geld verloren, weil er den Wagen behielt. „Aber der Verlust ist ja real.“ Deshalb war für ihn klar, dass er sich der Musterfeststellungsklage anschloss, für die der ADAC und die Verbraucherzentrale getrommelt hatten. „Null Risiko, null Kosten, null eigener Aufwand – das überzeugte mich.“ Auf einer Internetseite des Bundesamts für Justiz trug er sich in das Klageregister ein und die Sache war für ihn erledigt. Dachte er.

Zeit läuft für VW

Doch mittlerweile plagen Manfred E. Zweifel. Denn der Prozess läuft nicht gut für die bis zu 446 000 Kläger. Bereits am zweiten Verhandlungstag präsentierte Richter Michael Neef seine vorläufige Einschätzung, wonach einer der Gründe, aus denen die Kläger Ansprüche gegen VW ableiten wollten, nicht stichhaltig sei. Mehr noch: Selbst wenn er den Klägern aus anderen Gründen später noch einen Anspruch zuerkennt, wird VW seiner Ansicht nach das Recht haben, von möglichen Schadenersatzansprüchen eine beträchtliche Nutzungsentschädigung abzuziehen. Mit jedem Tag, den das Verfahren dauert, verliert ihr möglicher Anspruch gegen VW an Wert.

„Für die Kläger lief das Verfahren bisher enttäuschend“, sagt Tim Odendahl, ein auf Unternehmensrecht spezialisierter Anwalt der Kanzlei Ebner Stolz. Volkswagen habe nun verständlicherweise ein starkes Interesse, das Verfahren so weit wie möglich in die Länge zu ziehen und damit die Ansprüche möglichst stark zu entwerten.

Wer einzeln gegen VW vorgeht, könne in der Regel nach spätestens eineinhalb Jahren mit einer Entscheidung rechnen. Inzwischen gebe es eine gefestigte Rechtsprechung zugunsten der Käufer, die häufig dazu führe, dass der Autokonzern angesichts schlechter Erfolgsaussichten einen Vergleich anbiete. Bei der Musterklage dagegen ist nicht nur das Ergebnis ungewiss, sondern auch der Zeitpunkt der Entscheidung.

Musterverfahren wird Jahre dauern

Es ist durchaus möglich, dass das Verfahren noch vor den Bundesgerichtshof und auch vor den Europäischen Gerichtshof geht. „Musterverfahren können drei- bis viermal so lange dauern wie eine Einzelklage“, sagt Odendahl. Und selbst nach einem günstigen Ausgang gibt es noch kein Geld. „Entscheidet das Gericht durch ein Feststellungsurteil, dass den Klägern Schadenersatz zusteht, muss sich jeder von ihnen entweder an VW wenden oder bei einem Gericht eine Zahlungsklage erheben“, sagt Odendahl.

Angesichts der langen Dauer und der mit der Zeit kontinuierlich steigenden Nutzungsentschädigung, die VW gegen mögliche Ansprüche aufrechnen könne, sei es gut nachvollziehbar, dass viele nun am liebsten ihre Anmeldung zur Musterfeststellungsklage zurückziehen würden. „Aus heutiger Sicht ist die Einzelklage sicher die attraktivere Option.“ Denn bei ihr bestehe schneller Klarheit über einen etwaigen Anspruch.

Doch ein Rückzug aus dem langwierigen Verfahren ist bisher ausgeschlossen. Die Abmeldung war nur bis zum Ende des ersten Prozesstags möglich – also bis zum 30. September.

Das ist nicht der einzige Scherbenhaufen, vor dem VW-Besitzer im Musterverfahren nun stehen. Im Bestreben, es geschädigten Verbrauchern so einfach zu machen wie möglich, hat der Gesetzgeber die Schwelle für die Eintragung in das Klageregister extrem niedrig angesetzt.

Anmeldung reicht aus – wenn sie richtig ist

Um von einem sogenannten Feststellungsurteil profitieren zu können, reicht es aus, sich anzumelden und dafür das Online-Formular des Bundesamts für Justiz auszufüllen, das die Angaben ungeprüft übernehmen muss. Doch geprüft wird sehr wohl – aber womöglich erst Jahre später, wenn es darum geht, auf Basis eines Feststellungsurteils Schadenersatz einzufordern. Laut Gesetz ist es zwingend nötig, bereits bei der Anmeldung „Gegenstand und Grund des Anspruchs oder des Rechtsverhältnisses des Verbrauchers“ zu benennen. Nicht jeder hat dieser Anforderung Beachtung geschenkt. Die Voraussetzungen für eine Eintragung seien denkbar niedrig, sagt Odendahl. „Die Kehrseite besteht darin, dass juristische Laien, die sich nicht beraten lassen, an den Anforderungen scheitern können.“

Erfüllt die Anmeldung nicht die Anforderungen, droht den Besitzern ein böses Erwachen. Der Autobesitzer wird dann behandelt, als sei er nie eingetragen gewesen. Das bedeutet aber auch, dass die Verjährung, die ansonsten angehalten wird, die gesamte Zeit weitergelaufen ist – so dass nach Ende des Verfahrens alle Ansprüche erloschen sind. Ein Austritt aus dem Verfahren ist ebenso wenig möglich wie das Nachschieben einer korrekten Anmeldung. „Für die Wirksamkeit der Anmeldung trägt der jeweilige Autobesitzer das alleinige Risiko“, sagt Odendahl.

Zu den Juristen, die im Diesel/thema/Dieselskandal intensiv gegen Volkswagen vorgehen, gehört der Anwalt Michael Winter aus Kornwestheim. Er betreibt eine kleine Kanzlei und bearbeitet auch Spezialfälle, die bei den riesigen Prozessfinanzierern durchs Raster fallen. Gegen VW hat er vor dem Oberlandesgericht Stuttgart bereits ein Grundsatzurteil erstritten und ist damit bereits weiter gekommen als die Kläger des Braunschweiger Musterverfahrens, das auf der gleichen juristischen Ebene, also vor einem Oberlandesgericht, stattfindet. Nun hat sich Winter ein kühnes Ziel gesetzt: Er will derjenige sein, der die bislang hermetisch verriegelte Ausgangstür aus dem Musterverfahren aufsperrt.

Ein Weg aus der Falle?

Zu diesem Zweck will Winter für VW-Käufer, die eine womöglich ungültige Anmeldung abgegeben haben, Einzelklagen erheben. Weil eine solche Klage den bereits für die Musterklage angemeldeten VW-Besitzern verwehrt ist, müsste das Gericht die Eröffnung des Verfahrens eigentlich ablehnen. „Dem werden wir entgegnen, dass wir die Anmeldung zur Musterklage für unwirksam halten“, so Winter. Stimme das, müsse das Gericht die Klage trotz der Anmeldung, die es im rechtlichen Sinn dann nie gegeben hat, annehmen. Um das zu entscheiden, müsse das Gericht die Anmeldung verbindlich prüfen – und den Klägern somit eine Entscheidung an die Hand geben, die ansonsten weder vorgesehen noch möglich ist.

Hält auch das Gericht die Anmeldung für unwirksam, könnte der Autobesitzer seine Rechte individuell geltend machen – mit der Aussicht auf eine Jahre frühere Entscheidung und deshalb auch auf eine viel geringere Nutzungsentschädigung, die Volkswagen gegen mögliche Ansprüche aufrechnen darf. Selbst im Fall einer Niederlage gibt es noch einen Trostpreis: in Form der Gewissheit, dass die Verjährung tatsächlich angehalten ist.

Für Winter trägt das Gesetz eindeutig die Handschrift des VW-Konzerns, der eine hervorragende Lobbyarbeit abgeliefert habe. „Mit der Musterfeststellungsklage fängt man Hunderttausende Kläger ein und lässt sie in dem Musterverfahren so lange schmoren, bis ihr Anspruch weitgehend verschwunden ist. Etwas Besseres als dieses Gesetz hätte VW gar nicht passieren können.“

Odendahl drückt seine Meinung zum VW-Verfahren diplomatischer aus. „Die Musterfeststellungsklage war von Anfang an nicht risikolos“, sagt er. „Das Risiko bestand darin, gegenüber denjenigen im Nachteil zu sein, die ihr Recht auf anderem Weg suchen.“