Der Lynyrd-Skynyrd-Gitarrist Gary Rossington hat 1977 anders als einige seiner Bandkollegen einen Flugzeugabsturz überlebt Foto: Eagle Rock Entertainment

Sie sind eine Southern-Rock-Legende, ihren Hit „Sweet Home Alabama“ von 1974 kennt immer noch fast jeder. Die Musik-Doku „Lynyrd Skynyrd: If I leave here tomorrow“ bei Arte erzählt von einfachen Landjungs, begnadeter Musik und wüsten Exzessen.

Stuttgart - Nur ein paar Schulabbrecher vom Lande, einfache Jungs aus dem Süden – so haben sich die Musiker einer der besten Southern-Rock-Formationen überhaupt gern selbst beschrieben. Der Dokumentarfilm „Lynyrd Skynyrd – If I leave here tomorrow“ bei Arte zeigt, das sie da nicht herumkokettiert haben. Die Band, deren Hit „Sweet Home Alabama“ von 1974 auch heute noch fast jeder kennt, war zunächst eine Clique Kumpels aus Jacksonville, Florida, langhaarige Burschen aus einer Gegend, in der damals viele Pickup-Fahrer langhaarige Burschen gar nicht mochten.

Später wurden Lynyrd Skynyrd unfreiwillig zum Hymnenlieferanten der Rednecks. Dass hinter ihnen die Konföderierten-Flagge auf der Bühne hing, deutete man als politisches Statement: als wollten sie die Hausband all jener Weißen sein, die sich die Zeiten der Sklavenhaltung zurückwünschen. In Stephen Kijaks Film erzählen die Bandmitglieder ziemlich glaubhaft, dass sie damit nichts am Hut hatten. Dass sie – „naiv war das“, geben sie selbst zu – bloß klarmachen wollten, dass sie nicht aus New York und nicht aus LA kamen, dass ihre Wurzeln anderswo lagen.

Übungstage und Prügeleien

Lynyrd Skynyrds Musik klingt druckvoll und locker, fetzt und swingt – aber diese Drei-Gitarren-Arrangements sind alles andere als spontan hingenudelt. Anfangs wollten der Leadsänger Ronnie Van Zant und die anderen eben nichts als Musik machen. Sie übten tagelang in einer Hütte, feilten an ihren neuen Stücken. Toningenieure und Labelmanager waren begeistert von den Jungs, die beispiellos vorbereitet ins Studio kamen und noch die komplexesten Soli immer genau gleich hinbekamen.

Kijak, der auch schon Filme über die Rolling Stones (denen Lynyrd Skynyrd als Vorband mal die Show gestohlen haben) und über Jaco Pastorius gedreht hat, erzählt weitgehend chronologisch. So kann man besser staunen, wie aus den disziplinierten Musikfreaks eine der verrufensten Bands im Showgeschäft wurde. Die unablässig tourenden Skynyrds zerlegten ein Hotelzimmer nach dem anderen, prügelten sich miteinander, mit Kneipengästen und mit Roadies, warfen alles ein, was sich mit zuviel Alkohol wegspülen ließ. Vor allem Ronnie, nüchtern ein umgänglicher und nachdenklicher Mann, wurde im Rausch zum aggressiven Biest. Er ging schon mal mit abgebrochenen Flaschen auf seine Freunde los. Wenn man nun von diesen Exzessen hört, denkt man: Die Katastrophe musste einfach kommen.

Der Absturz kommt

Nur nahm sie dann eine andere Form an als die übliche Bandauflösung oder der notorische Drogentod. Im Herbst 1977 waren Lynyrd Skynyrd mit einer gecharterten zweimotorigen Propellermaschine auf US-Tournee. Im Film erzählen überlebende Bandmitglieder, es sei ihnen etwas mulmig geworden, weil einer der Motoren Mucken gemacht habe, Ronnie Van Zant aber eine Wartung aufgeschoben habe: Eine Station noch! Dieser Flug endete in einer übel verlaufenden Notlandung.

Beide Piloten, Ronnie Van Zant, der Gitarrist Steve Gaines, dessen Schwester, die Backup-Sängerin Cassie Gaines, und der Roadie Dean Kilpatrick kamen ums Leben, andere Bandmitglieder überlebten schwer verletzt. Was der Film nicht erzählt: Die Untersuchung der Absturzursache ergab, dass der Maschine in der Luft das Benzin ausgegangen war. Die Piloten hatten wohl am Partyleben der Band teilgenommen und den Überblick verloren.

Hoffnungen und Irrwege

Im Film sieht man eine rührend einfache, von Fans errichtete Gedenkstätte im Wald bei Gillsburg, Mississippi: eine kleine Stele aus Wrackteilen. Das passt besser zum Blue-Collar-Geist der Band als irgendeine noch so geschmackvolle durchdachte Skulptur. Lynyrd Skynyrd haben mit Unterbrechungen weiter gemacht, es gibt diese Southern-Rock-Instanz noch heute. Aber in all den Worten der überlebenden Veteranen wird klar, dass 1977 auch für sie etwas zu Ende ging, eine Zeit von Hoffnungen und Irrwegen. Die Musiker hätten es nie so gesagt, es wäre ihnen wie Collegefuzzy-Angeberei vorgekommen. Aber die Songs von Lynyrd Skynyrd über das Leben der einfachen Leute waren mal Teil der großen Utopie, die Rockmusik werde die Gesellschaft zum Besseren verändern.

Ausstrahlung: Arte, Freitag, 30. Oktober 2020 um 21.45 Uhr. Bereits in der Mediathek des Senders abrufbar, bis 28. Januar 2021.