Hüpfen, springen, Rad schlagen, Purzelbäume machen oder affenartig über den Boden robben: Foto: Martin Stollberg

Mit dem Silberrücken Kerchak über die Möhringer Musicalbühne zu tollen, ist für viele selbstbewusste Jungs ein Traum. Am Samstag hatten einige von ihnen die Chance zu beweisen, dass sie das Zeug dazu haben. Doch die Dschungel-Prüfung ist kein Kinderspiel.

Stuttgart - Ein Dutzend Jungs holen tief Luft und ahmen jenes Urwald-Jodeln nach, das Johnny Weissmüller weltberühmt gemacht hat. Ob der Banater Schwabe den Tarzanschrei von sich gab oder sein Markenzeichen im Studio aus einem blökenden Kamel und einer jaulenden Hyäne zusammengemischt wurde, ist beim Casting in Stuttgart ohne Belang: Wer als junger Affenmensch auf die Bühne des Stage Apollo Theaters will, muss den Ruf der Wildnis beherrschen. Der Weg als Darsteller an die Liane beginnt mit einer Prüfung in drei Disziplinen: Schauspiel, Turnen und Gesang. Ohne elterlichen Beistand. Die Großen müssen draußen bleiben.

Die Rolle von Klein-Tarzan erfordert junge Darsteller. Wachstum oder gar Stimmbruch führen zu regelmäßigen Besetzungswechseln, und da das Jugendschutzgesetz die Arbeitszeit für Kinder begrenzt, benötigt man an der Plieninger Straße bis zu zwölf kleine Helden parallel. Da Musicaldarsteller nicht auf den Bäumen wachsen, finden zweimal im Jahr Castings statt.

„Wir erwarten nicht, dass die Jungs schon alles perfekt können“, erklärt Wencke Elfers, die Leiterin der Kinderabteilung. „Es muss aber eine solide Basis vorhanden sein.“ So hockt der elfjährige Dilan Fiedler, der bereits in einer Band singt, nun also inmitten der Probehalle und intoniert zur Klavierbegleitung „Warum, Wieso?“. Das Lied aus „Tarzan“ ist nicht ganz einfach. Man muss die Einsätze bekommen, die hohen Töne treffen – und laut genug soll es auch noch sein. Die Stimme muss später 1800 Zuschauer in ihren Bann schlagen.

Aus einer Situation, die an eine Mutprobe erinnert, auf das Potenzial eines Kindes zu schließen, ist nicht leicht. „Wir merken zumindest schnell, wer wirklich auf die Bühne will und wer eher auf Wunsch von anderen Personen da ist“, versichert Elfers. Vieles zeige sich erst bei den Proben, doch alles in allem liege man mit der ersten Einschätzung richtig. Kein Wunder, angesichts der versammelten Kompetenz: Neben Elfers geben der künstlerische Leiter und Kindercoach Thomas Hirschfeld, die stellvertretende Theaterleiterin Kerstin Köhler, Musicaldarstellerin Stephanie Sturm und Gesangslehrerin Tanya Newman ihre Einschätzung ab.

Zwei Stunden lang haben die Jungs Rad geschlagen, Purzelbäume und Liegestützen gemacht oder sich affenartig über den grünen Mattenboden bewegt. Auch erste Kostproben der Fähigkeit, Texte zu lernen und szenisch umzusetzen, mussten die Anwärter auf 30 Bühnenminuten als Tarzan geben. Jetzt heißt es hoffen. Wird Noams orangenes Primaten-Shirt Glück bringen? Hat es sich gelohnt, dass Tim trotz eines nicht ausgeheilten Kreuzbandrisses und mehrfacher Mahnung, sich nicht zu übernehmen, durchgehalten hat? Und wie stehen die Chancen für den Jüngsten, den siebenjährigen Jason?

Die Juroren müssen nicht lang diskutieren: Drei Kandidaten kommen in die nächste Runde. Einer ist Johan Jung (10). Der Stuttgarter, der in seiner Freizeit Hockey und Tennis spielt, aber keinerlei musikalische Vorerfahrung hat, kann es kaum fassen: „Ich hätte nicht damit gerechnet, aber ich freue mich sehr“, bemerkt er bescheiden. Dilan hat es nicht geschafft. „Sing lieber weiter in deiner Band, das liegt dir mehr“, macht Wencke Elfers ihm Mut. Keiner soll sich als Versager fühlen. Ein Nachgespräch mit den Eltern ist möglich. Allerdings erst später, denn jetzt steht bereits die dritte Casting-Gruppe des Tages in den Startlöchern: Neun Knaben, von denen man schließlich zwei für aussichtsreich befinden wird. Entschieden ist damit noch nichts. In den kommenden zehn Wochen werden die Kandidaten jeden Samstag trainieren. Dann steht die nächste Hürde bevor: Das Final-Casting.