Der erfolgreiche Nonnenchor mit Hilfsschwester Cäcilia (Tamara Wörner) in der Mitte Foto: /Tobias Metz

Achtung, keine Gewähr vor schwingenden Hüften! Die Komödie im Marquardt startet mit dem Musical „Sister Soul und ihre Schwestern“ machtvoll in die neue Saison.

Stuttgart - Wenn Stuttgart versucht, überregional als Musicalstadt Aufmerksamkeit zu erlangen, reden fast alle nur von den zwei Stage-Großproduktionen im SI-Zentrum. Dabei pflegen auch die kleineren Bühnen das Genre – und insbesondere seit langem die Schauspielbühnen im Alten Schauspielhaus und in der Komödie im Marquardt. Der Intendant Axel Preuß hat seit seinem Dienstantritt vor einem Jahr an diese Tradition angeknüpft – und präsentiert nun auf der kleinen Bühne im Marquardt einen weiteren Kracher, der ihm mit großer Wahrscheinlichkeit in den nächsten Wochen ein gut gefülltes Haus bescheren wird: „Sister Soul und ihre Schwestern“, von Mathias Christian Kosel vor rund 15 Jahren in Hamburg zur Uraufführung gebracht, nun hier am Neckar in einer leicht überarbeiteten Stuttgarter Fassung.

„Stuttgarter Fassung“ soll heißen: Die Geschichte spielte ursprünglich mal auf dem St.-Pauli-Kiez, beginnt nun aber im hiesigen Leonhardsviertel, kommt einem aber sowieso schon aus ganz anderen Zusammenhängen schwer bekannt vor. Eine Nachtklubsängerin wird unfreiwillig Zeuge, wie ein erstens korrupter und zweitens mit Rauschgift dealender Polizist drittens eine Komplizin erschießt. Sie flüchtet zu einer alten Freundin, die inzwischen als Nonne in einem Krankenhaus arbeitet. Hinter den schützenden Mauern des Ordens muss die lebensfrohe „Hilfsschwester“ fortan zwar auf manche Lebensgenüsse verzichten, kann aber immerhin den bis dato nur sehr kläglich um Dreiklang bemühten Nonnenchor musikalisch wirkungsvoll aufmöbeln.

Die Frau heißt nicht umsonst Josephine Becker

Diese Story bietet viel Anlass für jede Menge Situationskomik und vor allem eine lange Reihe entweder fetziger oder hochdramatischer Chornummern zur Klavierbegleitung, denn besagte Hilfsschwester bekam von ihren Eltern nicht umsonst den programmatischen Namen Josephine Becker: Sie liebt Jazz und Swing, Gospel und Soul, und Titel wie „Son of a Preacher Man“, „Shout“ oder „Caravan of Love“ eignen sich ja aufgrund Herkunft und Geschichte mühelos für jede gottesdienstähnliche Veranstaltung.

Regisseur Udo Schürmer kann bei seiner Inszenierung ganz auf die Spiel- und Sangeslust eines hochprofessionellen, in diesem Fall sehr überwiegend weiblichen Ensembles setzen, im Zentrum die charismatische Tamara Wörner als Hilfsschwester Josephine-Cäcilia. Aber auch abseits der Musik ist im ersten Teil der Geschichte vieles schön herausgearbeitet: Die sehr unterschiedliche Charaktere der sieben eigentlich nur ansatzweise musikalischen Nonnen sind präzise gezeichnet. Wie sich ihre jeweiligen Schrullen und Spleens letztlich als Stärken entpuppen, die auf der Bühne zum charakteristischen künstlerischen Ausdruck werden, das ist eine schöne Botschaft dieses Abends und wie nebenbei serviert. Und ganz herrlich gerät beim allmählichen Zusammenwachsens des Chores der musikalische Übergang von einem traditionellen Kirchengesang Schritt für Schritt hinüber zum swingenden Gospel.

Zum Schluss kennt das Publikum kein Halten mehr

Leider lässt der inszenatorische Drive nach der Pause etwas nach. Irgendwann ist klar, dass die zwei wesentlichen Fragen des Abends lauten: Gelingt es dem Chor, die Schließung des Ordens zu verhindern? Und: Gelingt es Josephine, im unweigerlich herannahenden Showdown mit dem korrupten Kommissar am Leben zu bleiben? Beide Probleme, das ist nun mal die Logik des Musicals, lösen sich schlussendlich in Wohlgefallen auf. Und wenn man dem Abend überhaupt etwas zum Vorwurf machen will, dann höchstens dieses: dass er die Geschichte etwas zu routiniert und widerstandslos auf sein notwendiges Happy End zugrooven lässt. Es passiert nichts und es ist nichts zu sehen, was man als Zuschauer nicht just so auch erwartet hätte. Es gibt keine Irritation und keine Überraschung. Und letztlich ist es ja meist genau das, was aus einem netten Abend einen wirklich tollen macht.

Das Komödien-Publikum aber kennt auch so kein Halten mehr, als nach gut zwei Stunden die Show in eine große „We are Family“- und „Oh happy Day“-Soul-Sause mündet. Man kann, nein, man muss das alles positiv sehen: Wem es bei den Großproduktionen im SI-Zentrum zu laut, zu glatt, zu perfekt und im Grunde auch einen Tick zu teuer ist – der findet nun in der Komödie eine prima Alternative.