Ist zum Wahrzeichen der Stadt Stuttgart geworden: Das Kunstmuseum am Schlossplatz. Foto: dpa

2011 mehr als 200.000 Besucher in Staatsgalerie – Auch Kunstmuseum übertrifft Vorjahreszahlen.

Stuttgart - National steigen die Besucherzahlen in den Museen. 2011 wurde die Zahl von 110 Millionen im Jahr 2010 verkaufter Eintrittskarten noch einmal knapp übertroffen. Auch Baden-Württembergs Museumsflaggschiff, die Staatsgalerie Stuttgart, spürt wieder Rückenwind.

Es waren die bekannten Namen, es waren die bekannten grafischen Folgen. Und doch war diese Ausstellung, war die im Frühsommer 2011 in der Staatsgalerie Stuttgart präsentierte Schau „Kriegszeit“ ein ungeheuer tiefgehendes Erlebnis. Gerade aus der Ruhe der Präsentation resultierte diese Ungeheuerlichkeit. Nicht erzwungen wirkte die Konzentration auf den einzelnen Zyklus, auf das einzelne Blatt, sie stellte sich folgerichtig ein.

Zuvorderst aus eigenen Sammlungsbeständen erarbeitet, belegte „Kriegszeit“ den Anspruch von Staatsgalerie-Direktor Sean Rainbird, auch die Sonderausstellungen des Museums als Bildungsarbeit kenntlich zu machen und dabei zugleich bewusst eigene Schätze in den Mittelpunkt zu stellen. Bei „Kriegszeit – Kollwitz, Beckmann, Dix, Grosz“ war es das Wiedersehen mit der Ende der 1940er Jahre entstandenen Radierfolge „Die Verdammten“ des 1899 geborenen Stuttgarters Otto Hermann.

Nichts außer Wahn

„Die Verdammten“, das sind die Soldaten der in Stalingrad eingeschlossenen 6. Armee jener deutschen Wehrmacht, die sich mit dem Überfall auf die Sowjetunion am 22. Juni 1941 aufmachte, mit einem „Vernichtungskrieg“ „Lebensraum im Osten“ für das nationalsozialistische Deutschland zu erkämpfen. Hermann, selbst Teilnehmer des Ersten Weltkriegs, war von Theodor Plieviers Roman „Stalingrad“ angeregt.

Im Orkan der multimedialen Bildwelt unserer Tage bekommen seine Blätter gerade in ihrem distanzierten, nüchternen Blick auf das in gänzlicher Auflösung begriffene Wesen Mensch bestürzende Aktualität. Hier gibt es nichts außer dem Wahn, sich der gänzlichen Ausweglosigkeit bewusst zu sein und doch einen Weg zu suchen. „Die Flucht in einen anderen Tod“ ist denn auch eines der Blätter des 1995 in Stuttgart gestorbenen Otto Hermann betitelt.

Ermutigende Zahlen

Wer Hermanns Blätter nun noch sehen will, kann sich die Werke nach Anmeldung in der Graphischen Sammlung der Staatsgalerie vorlegen lassen. Ein Angebot, das traditionell von Liebhabern genutzt wird. Indes könnte sich auch hier etwas ändern, wie die ermutigenden Zahlen der Staatsgalerie für 2011 zeigen. „Rund 100.000 Besucher der Sammlung bestätigen die Lebendigkeit und hohe Qualität unserer Sammlungspräsentationen“, sagt Museumschef Sean Rainbird, weitere 100. 000 Besucher lösten Tickets für die Sonderausstellungen.

Damit ist erstmals das sonst deutliche Übergewicht des Interesses für die Sonderausstellungen zugunsten eines ausgeglichenen Besucherstroms korrigiert. Zu den Aktiva der Arbeit mit, in und an der Sammlung zählen 2011 Neupräsentationen wie das überfällige Wiedersehen mit der Installation „Doppio Igloo“ (1979) des italienischen Arte-Povera-Künstlers Mario Merz, Ankäufe für die Gegenwartskunst wie eine Installation von Wolfgang Tillmans und die temporäre Gegenüberstellung zweier bedeutender Altarwerke des altdeutschen Malers Jerg Ratgeb.

Stammpublikum will mehr

Stammpublikum will mehr

Der Zahlenausgleich zwischen Sammlung und Sonderausstellungen macht auch Mut für 2012. Kann das Interesse für die Sammlung gehalten werden, dürften die diesjährigen Projekte „Turner – Monet – Twombly. Later Paintings“, gefördert von der L-Bank, und „Mythos Atelier“, gefördert von der Daimler AG, die Zahlen in der Jahresendabrechnung 2012 über 200.000 Besucher treiben.

Dabei wird man sich indes nicht nur um die jüngeren Besucher in besonderer Weise bemühen müssen. Auch das Museumsstammpublikum der Generation 50 plus ist mit der puren Ausstellungspräsentation kaum mehr zufrieden. „Sie haben Erwartungen und Ansprüche an die Museen“, sagt etwa Volker Rodekamp, Präsident des Deutschen Museumsbunds, „sie kennen sich aus, sind mobil und haben Vergleichsmöglichkeiten.“

In Stuttgart nicht zuletzt mit den Angeboten des 2005 eröffneten Kunstmuseums am Schlossplatz. Auch dort freut man sich über ein wieder steigendes Besucherinteresse. Trotz vierwöchiger (Umbau-)Schließzeit verzeichnete man mit 136.000 Besuchern 11 000 Interessierte mehr als 2010. Hier indes punktete man vor allem mit einer Sonderausstellung. „Kosmos Rudolf Steiner“ sorgte nicht nur für intensive Diskussionen, sondern auch für 74. 000 Besucher.

Haus auf Kopf gestellt

Erfolgreich war indes auch ein Beispiel für die unmittelbare Verschränkung von Sammlungs- und Ausstellungsarbeit in der Adolf Hölzel und Willi Baumeister als Lehrerpersönlichkeiten gewidmeten Schau „Kunst ist eine Wissenschaft“. Zuletzt wagte die Kunstmuseumsdirektorin es gar, das Haus buchstäblich auf den Kopf zu stellen. Um die raumbezogenen Großformate der aktuellen Werkschau des 2002 gestorbenen Malers Michel Majerus zeigen zu können, ließ Groos die Sammlung in die drei Stockwerke des Kubus ziehen.

Das Ergebnis wird vor allem Freunde von Otto Dix begeistern – seinen Hauptwerken wie „Großstadt“ ist, als unausgesprochene Sammlungssonderschau innerhalb der Neupräsentation „180 Grad – Die Sammlung im Kubus“ das dritte Stockwerk vorbehalten. Das nächste Kunstmuseums-Großereignis dürfte gerade jüngere Besucher begeistern: Auf dem Schlossplatz entsteht in den nächsten Wochen eine 50 Meter lange Skaterrampe von Michel Majerus als benutzbares Kunstwerk.