Cem Özdemir gibt am Sonntag in Berlin eine improvisierte Pressekonferenz zu den Begegnungen in München. Foto: dpa

Der Stuttgarter Grüne Cem Özdemir erlebt bei der Münchner Sicherheitskonferenz eine Überraschung: Die Polizei stellte ihm mehrere Kräfte aus Sorge vor Übergriffen aus der türkischen Delegation heraus zur Seite. Özdemir sieht einen Teil der Verantwortung in Berlin.

München - Der frühere Bundesvorsitzende der Grünen, Cem Özdemir, hält mit der Kritik am türkischen Regime nicht hinterm Berg – nach dem Vormarsch der Türken in Nordsyrien erst recht nicht. Immer wieder mahnt er eine größere Härte der Bundesregierung an, Ankara zu einem rechtsstaatlichen Kurs zu bewegen. Die Freilassung von Denis Yücel aus türkischer Haft reicht ihm als Zeichen des guten Willens noch lange nicht aus. Diese Offenheit hat dem Stuttgarter Bundestagsabgeordneten bei der Münchner Sicherheitskonferenz eine unangenehme Begegnung beschert. In der Folge wurde ihm dort selbst erhöhte Sicherheit geboten.

Beschwerde der türkischen Delegation

Özdemir logierte am Wochenende im Hotel Sofitel. Am Samstagmorgen begegneten ihm zu seiner Überraschung auf dem Weg zum Frühstück mehrere Polizisten, die – wie sie ihm erklärten – zu seinem Schutz abgestellt waren. Anlass für diese Vorsichtsmaßnahme war ein zufälliges Aufeinandertreffen in demselben Hotel am Vortag, ausgerechnet mit der türkischen Delegation um Ministerpräsident Binali Yildirim. Den Türken missfiel die Anwesenheit des Erdogan-Kritikers Özdemir unverkennbar. Denn anschließend beschwerten sie sich bei der Organisation der Konferenz, dass ein „Terrorist“ in ihrem Hotel untergebracht worden sei: der Grüne aus Schwaben. Daraufhin wurden die Polizisten beauftragt, dessen Sicherheit zu gewährleisten. Özdemir verzichtete am Samstag auf ein Frühstück und reiste direkt zur Sicherheitskonferenz im Bayerischen Hof. Weitere Begegnungen wurden offenkundig vermieden.

Der Bundestagsabgeordnete bestätigte gegenüber unserer Zeitung die Begebenheit. „Dank der großartigen Polizei in München und Bayern“ sei er sicher am Flughafen angekommen und bereits wieder abgereist, schilderte er am Sonntagvormittag – bevor er in Berlin eine improvisierte Pressekonferenz zu dem Fall gab. Aufgrund der „Prügel-Bilder aus Washington“ kenne man ja die türkische UN-Security und „weiß, dass die Auswahlkriterien etwas anders sind als bei uns“, sagte Özedemir. Dies sei der Grund für die Vorsichtsmaßnahmen der Polizei gewesen. Während des ersten Treffens von US-Präsident Donald Trump mit Staatschef Erdogan war es im Mai 2017 zu einer Schlägerei von rüden türkischen Bodyguards mit kurdischen Demonstranten gekommen.

Vorwürfe an die Bundesregierung

Die entscheidende Frage in Richtung Bundesregierung sei allerdings: „Wodurch hat man dort dazu beigetragen und trägt dazu bei, dass sich die türkische Seite traut, sich bei uns so zu verhalten?“, fügte Özdemir an. „Dies sollte man sich in Berlin mal selbstkritisch fragen.“ Denn „Kuscheln führt nicht zur Mäßigung“. Am Tag zuvor hatte der geschäftsführende Außenminister Sigmar Gabriel (SPD) infolge der Freilassung von Denis Yücel noch für mehr Verständigung mit dem Regime in München geworben. Die Türkei sei ein wichtiger Partner.

Polizeischutz ist freilich nicht neu für Özdemir. In den neunziger Jahren musste er sich jahrelang von Personenschützern des Bundeskriminalamtes eskortieren lassen, nachdem türkische Nationalisten Drohungen ausgesandt hatten. Zudem berichtete der Grüne einmal, dass er sich wegen seiner kritischen Haltung gegenüber Ankara von seiner Wohnung in Berlin aus nicht frei bewegen könne und stets Sorge vor Attacken haben müsse.