Das Oktoberfest fällt in diesem Jahr dem Corona-Virus zum Opfer. Gaudi soll es in München trotzdem geben. Foto:  

Weil München coronabedingt auf die Wiesn verzichten muss, hat die Stadt nach Alternativen gesucht – und sie gefunden. Doch hellt sich dadurch der weißblaue Himmel wirklich auf?

München - Die „Wiesn-Grippe“ ist unter Medizinern ein bekanntes Münchner Phänomen. Auch die Preissn, in diesem Fall das Robert-Koch-Institut in Berlin, kennen es aus ihrer Statistik recht gut. Das heißt: Immer gegen Ende September, Anfang Oktober, wenn in der bayerischen Hauptstadt das Oktoberfest tobt, steigt auffällig auch die Zahl diverser Erkrankungen der Atemwege. Experten erklären das damit, dass die dazugehörigen Viren in der feuchtfröhlichen, gänzlich abstandsfreien Bierzelt-Gaudi ihr optimales Biotop finden.

Normalerweise. Dieses Jahr gibt’s keine Wiesn, und mit dem Coronavirus an der Spitze sollen auf diese Weise auch andere Keime und die Kater-Ausreden gegenüber den Arbeitgebern eingedämmt werden. Dafür haben die Großwirte aktuell schweres Bauchweh; den Schaustellern, Fahrgeschäften, Zuckerwatte- und Krimskrams-Verkäufern geht es fast ganz an den Kragen. Sie konnten in diesem Corona-Jahr bisher so gut wie gar nichts verdienen. Und das Volk will seine Belustigung. Obwohl.

Eine Mini-Ersatz-Wiesn wollte außer dem bayerischen Wirtschaftsminister Hubert Aiwanger in München keiner: „Wenn ma’s machen, dann gscheit“, lautete das Motto. Dennoch hat die Stadtverwaltung in aller Eile ein neuartiges Unterhaltungsprogramm auf die Beine gestellt. Fahrgeschäfte, die sonst auf der Wiesn wären, sowie Weißwurscht-, Prosecco- und Brezenbuden verteilen sich derzeit über die ganze Stadt. Und um wenigstens einen Teil ihres coronamäßig entgangenen Umsatzes einzuspielen, dürfen sie statt der üblichen 16 Volksfesttage gleich sechs Wochen öffnen; eine Verlängerung des Ganzen in den tiefen September hinein ist bei einem Erfolg nicht ausgeschlossen.

Karussell vor griechischen Säulen

So drehen sich am Königsplatz zwischen den Museumsgebäuden mit ihrer altgriechischen Tempeloptik ein Riesenrad, ein Kettenkarussell, eine Achterbahn; im Olympiapark kann das Publikum auf der Wildwasserbahn oder genauso wild im Autoscooter fahren; auf der riesigen Wüstenei der Theresienwiese ist – neben der Corona-Teststation – sogar ein Palmen- und Cocktailstrand aufgeschüttet.

München will auch Künstler subventionieren, die so lange nicht haben auftreten können: Eine Wanderbühne des Kulturreferats rollt durch die Stadtviertel; viele Aufführungen sind für die Bürger kostenlos. Nur scheint es derzeit, als werde dieser ganze „Sommer in der Stadt“ vom Publikum lange nicht so begeistert aufgenommen wie erwartet. Zwar gibt’s keine Zahlen, aber allen Beobachtungen nach bleibt der Zustrom eher verhalten.

Dafür registrieren Orte, an denen eigentlich nix los ist außer Freiluftparty, einen Massenzulauf fast ohne Abstand und Ende: die Kiesbänke der Isar, der Englische Garten, das Areal vor dem Gärtnerplatztheater beispielsweise.

Die Wirte im Fernseh-Clinch

Die Biergärten können wohl auch nicht klagen – sonst hätte man das Jammern schon gehört –, und nun sind auch die Münchner Innenstadtwirte aus ihrer Schockstarre aufgewacht: Sie kündigen für die zwei klassischen Oktoberfestwochen eine „Wirtshaus-Wiesn“ an – mit den einschlägigen „O’zapft“-Ritualen, Dirndl- und Lederhosen-Zirkus, Blaskapellen. Zelte gibt’s keine; jedes „Halligalli“ will man vermeiden; Menschentrauben sollen sich in die einzelnen Gasthäuser verdünnen. Hauptsache, sagen sie, a bisserl Lebensgefühl kehrt ein.

Vielleicht wollen die Großgastronomen so nebenbei auch vermeiden, dass die Kundschaft daheim Fernsehen schaut. Die ARD zeigt ab dem 15. September die Serie „Oktoberfest 1900“. Darin geht es um einen Machtkampf im Münchner Bierkartell vor 120 Jahren, und neben anderen schimpft Christian Schottenhamel, einer der größten Festwirte, bereits vorab, das sei „rufschädigend“. Die Leute, so Schottenhamel, „werden denken, das ist auch heute noch so“. Der städtische Münchner Wiesn-Chef, Clemens Baumgärtner, will gar „historisch prüfen lassen“, ob es einen solchen Wirtekrieg jemals gegeben habe.