An den Geruch gewöhnt man sich, sagen die Männer Foto: Hannes Opel

Müllmann galt früher als schmutzige Arbeit die nur macht, wer nichts gelernt hat. Es ist noch immer ein Knochenjob, in keinem anderen Beruf sind die Leute so oft und so lange krank. Das Ansehen hat sich trotzdem gewandelt. Eine Tour mit dem Müllauto durch Degerloch.

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Stuttgart - Wenn Sascha Schächer früher irgendwem erzählt hat, dass er bei der Müllabfuhr arbeitet, haben die Leute oft die Nase gerümpft. Der Dreck, der Gestank, wer will schon zur Müllabfuhr, so was macht doch nur jemand, der nichts gelernt hat. Man konnte die Ablehnung an ihren Blicken erkennen. Schächer war das schon damals egal, Hauptsache Arbeit, dachte er sich. Der Job als Fensterbauer früher war unsicher, die Arbeitszeiten als LKW-Fahrer waren zu lang, das Geld kam nicht immer zuverlässig und er hatte ja vier Kinder zu ernähren.

Es ist kurz nach sechs, Dienstagmorgen, und auf dem Hof der Vaihinger Betriebsstelle der Abfallwirtschaft (AWS) schmeißen sie langsam die großen Müllautos in Gang. Maschine 35, das sind an diesem Tag Udo Nahrwold, 53, der Fahrer, Francesco Malieni, 35, und Sascha Schächer, 39, die Lader. Maschine 35, das ist ein großes, orangefarbenes Fahrzeug mit drei Achsen, rotierender Trommel und Erdgasantrieb. Eines von den neuen, die niedriger sind und daher besser für die Lader, die auf und abspringen. 12 Tonnen Müll kann die Maschine laden, an diesem Tag Restmüll in Degerloch. Die Tour ist bei den Männern nicht so beliebt, weil man viel laufen muss.

Als Schächer vor zehn Jahren angefangen hat, hieß die Müllabfuhr noch Müllabfuhr und Müllmänner waren einfach Müllmänner. Heute spricht man von Müllwerkern und von Abfallwirtschaft, die Fachbegriffe haben sich die Männer irgendwann angewöhnt. So wie man heute auch nicht mehr Putzfrau sagt sondern Reinigungskraft. Als Schächer anfing, waren die meisten seiner Kollgen Italiener und Portugiesen. Auch das ist nicht mehr so. Es hat sich was verändert, nur was kann Schächer auch nicht so genau sagen, schließlich ist das, was sie hier machen, noch immer ein Knochenjob.

Irgendjemand hat aus Spaß mal die Schritte gezählt und kam auf 25 000

Kurz vor sieben, der Müllwagen biegt in die Epplestraße und Udo Nahrwold fährt jetzt Schrittgeschwindigkeit. Eine Tagestour, das sind 840 Mülltonnen. Irgendjemand hat aus Spaß mal die Schritte gezählt und kam auf 25 000. „Das ist schon heftig“, sagt Schächer, „das merkt man abends.“

Manchmal rennen er und Francesco Malieni ein kurzes Stück, einer auf der rechten, der andere auf der linken Straßenseite, je zwei Mülltonnen im Schlepptau. „Alles Routine, das geht zack, zack“, sagt Malieni: Gartentor auf, Tonne raus auf den Gehweg, Deckel auf, Inhalt kontrollieren, Tonne in die Schüttung hängen und warten, bis der Greifarm sie nach oben fährt, sie kippt, ein-, zweimal rüttelt und dann wieder nach unten transportiert. Viel sprechen die Männer dabei nicht, manchmal deutet einer mit der Hand in eine Einfahrt: Da steht noch eine, hol du die raus, soll das heißen. In der Mitte der Straße steht der Müllwagen und blinkt und rattert und Nahrwold beobachtet auf einem Monitor in der Fahrerkabine, wann sie hinten fertig sind mit Leeren. Die Tonnen wummern gegen den Wagen und vorne brummt Nahrwold vor sich hin. „Udo“, ruft Schächer, „weiter!“

Es gibt eine Satzungsregel die besagt, dass die Mülltonnen nicht weiter als 15 Meter von der Straße entfernt stehen dürfen und die Steigung an dieser Stelle nicht mehr als zwei Prozent betragen sollte. In Degerloch ist das ein bisschen anders. 40, 50 Meter müssen die Männer hier manchmal laufen, um die Tonnen aus den Hinterhöfen zu holen, und es gibt Großbehälter, 1,1 Kubik, 500 Kilo, die kriegen sie selbst zu zweit kaum die steilen Einfahrten hoch. „Altlasten“ nennen sie das: In manchen Fällen hat die Müllabfuhr die Tonnen schon immer aus dem Keller oder Hof geholt, dann wird das eben auch heute noch so gemacht.

Im Winter laden die Leute ihre Abfallbehälter manchmal voll mit Streusplitt, dann kann selbst eine 240-Liter-Restmülltonne auch mal mehr als 150 Kilo wiegen. Das viele Laufen, die vollgestopften Eimer, das ständige Ziehen: Vor ein paar Jahren hatte Schächer einen Bandscheibenvorfall. Der Job geht auf die Gesundheit, vor allem auf den Rücken, das lässt sich auch an den Krankenzahlen ablesen. In keiner Berufsgruppe fehlen die Mitarbeiter so oft wie in der Abfallwirtschaft, jedenfalls in Stuttgart. 38 krankheitsbedingte Fehltage waren das im vergangenen Jahr im Schnitt pro Mitarbeiter, knapp die Hälfte davon fällt auf Langzeitkranke. Seit Jahren versuchen Stadt und AWS dem Problem mit Berufskleidung für alle Wetterlagen, mit Rückenschulungen und Beratungen zu trotzen. „Sich nach der Arbeit auch noch dazu aufzuraffen, Übungen zu machen, fällt oft schwer“, sagt Schächer.

An den Geruch gewöhnt man sich, sagt Schächer

Viertel vor zehn, sie sind spät dran heute mit der Frühstückspause, weil die Müllverbrennungsanlage in Wangen ein technisches Problem hat und sie die erste Fuhre noch nicht abladen konnten. Dann fahren sie die Tour heute eben ein bisschen anders und laden zweimal in Böblingen ab. In Stress geraten sie trotzdem nicht, in der Betriebskantine lässt Schächer sich ein Cordon bleu geben, schließlich ist er jetzt seit mehr als fünf Stunden auf den Beinen. Fünfzehn Minuten Pause reichen gerade so für ein schnelles Essen und eine Zigarette.

Macht einem das nichts, vorhin noch den Geruch von gärendem Restmüll und stinkenden Tonnen in der Nase, jetzt das Stück Fleisch auf dem Teller? „Man gewöhnt sich dran“, sagt Schächer. Klar, wenn der Müll im Sommer in der Hitze länger steht, stinke das schon, aber wenn Schächer das erzählt, klingt das genauso sachlich, wie wenn er über kaputte Tonnen spricht oder über Leute, die ständig vergessen ihre Müllhäuschen aufzuschließen. Die Kollegen nicken, überhaupt kommen sie mit dem Müll ja kaum in Berührung, sie haben Handschuhe und feste Jacken, und nur wenn eine Tonne überquillt oder beim Leeren was daneben landet, kriegen sie vielleicht mal was ab.

Die Leute denken heute anders über Müllmänner, Sprüche über die Drecksarbeit hören sie hier kaum noch. Der deutsche Beamtenbund hat im letzten Jahr eine Umfrage über das Ansehen von Berufen gemacht. Die Müllwerker landeten auf Platz sieben, noch vor Hochschulprofessoren, Richtern und Lehrern. „Das Ansehen des Jobs hat sich geändert“, sagt Schächer. Wenn man heute jemandem erzählt, dass man bei der Müllabfuhr ist, gucken viele anerkennend. „Die Leute wissen es zu schätzen, dass wir bei Wind und Wetter draußen sind und keinen leichten Job machen.“

Die Jobs bei der Stadt sind sicher, sagen alle, und sie sind gut bezahlt

Am Straßenrand steht ein Mann mit zwei kleinen Kindern. Die Trommel des Wagens dreht sich, das gelbe Licht oben auf dem Fahrzeug dreht sich auch. Die Kinder gucken, der Vater versucht mit Handbewegungen zu erklären, was da vor sich geht. „Udo“, ruft Schächer, „übervoll!“ Manchmal versuchen die Leute, mehr Abfall in die Eimer zu stopfen, als sie dürfen. Schächer nimmt den blauen, überstehenden Plastikbeutel raus, schubst die volle Tonne zur Leerung, wirft den blauen Beutel wieder rein und hängt einen orangen Papphänger an den Deckel: „Ihre Tonne konnte leider nicht geleert werden: Übervoll.“

Der Imagewandel der Müllwerker, wenn man das so nennen will, zeigt sich auch am Nachwuchs. Über 200 Bewerbungen sind im letzten Jahr bei der AWS eingegangen, nur Bewerbungen von Frauen gibt es kaum und auch nur eine Fahrerin unter all den Männern hier. Müllwerker brauchen heute mindestens einen Schulabschluss und gute Deutschkenntnisse, Fahrer eine abgeschlossene Berufsausbildung. Die Jobs bei der Stadt sind sicher, sagen alle, und sie sind gut bezahlt, 2429 Euro Brutto verdient ein Müllwerker nach zehn Berufsjahren. „Wir haben alle was anderes gelernt“, sagt Nahrowld, der Ostwestfale, der wie Schächer jahrelang LKW gefahren ist. Malieni hat eigentlich als Maler und Lackierer angefangen, aber wenn keine Aufträge da waren gab es dort kein Geld, also ging auch er zur Müllabfuhr.

Kurz vor zwölf, die digitale Anzeige am Armaturenbrett zeigt 22,3 Tonnen Gesamtgewicht. Zeit zum Abladen. In der Karl-Pfaff-Straße gibt es kaum ein Durchkommen, rechts und links parkende Autos. Nahrwold schaut in die Rückspiegel: „Das sind so Stresssituationen für uns Fahrer“, sagt er, aber das klingt so unaufgeregt als erkläre er, wie das Restmüllheizkraftwerk funktioniert, in dem sie jetzt ihre Fuhre abladen. Machen sie sich eigentlich manchmal Sorgen um ihren Job? Die Männer winken ab. Der Müll nimmt ja zu, sagen sie, die vielen Windeln, die Pflegefälle, die Fast-Food-Packungen, im Sommer kommt die Pflichtbiotonne in ganz Stuttgart. „Irgendjemand muss den ganzen Dreck ja wegbringen.“

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