Morgan O’Hara (rechts) setzt sich, wie hier in Göppingen, seit 2017 weltweit mit Abschreibaktionen von Hand für die Inhalte von Verfassungen ein. Foto:  

Die Probleme dieser Welt seien nur mit Ruhe zu lösen, befindet die amerikanische Künstlerin Morgan O’Hara. Deshalb bittet sie Gäste zum Abschreiben, das beruhige so gut.

Göppingen - Eine lange Tafel steht im Ausstellungsraum im ersten Stock der Göppinger Kunsthalle gleich neben den dynamischen, raumgreifenden Fahrzeugskulpturen der aktuellen Schau mit Arbeiten von Stefan Rohrer. An der Tafel haben 14 Frauen und Männer Platz genommen, um rund zwei Stunden lang von Hand Verfassungstexte aus dem Grundgesetz, der amerikanischen Verfassung und der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte abzuschreiben. Anlass ist der 70. Geburtstag des deutschen Grundgesetzes.

Die Künstlerin möchte weltweit die Grundrechte aller Menschen stärken

Auch Morgan O’Hara schreibt konzentriert. Für die amerikanische Konzeptkünstlerin ist es die 109. Aktion „Writing the Constitution“, mit der sie die Bedeutung von Verfassungen unterstreichen und sich für deren Einhaltung stark machen möchte. Nachdem sich O’Hara bereits mit ihren beidhändig entstandenen Zeichnungen Live Transmissions in diesem Frühjahr an einer Ausstellung in der Göppinger Kunsthalle beteiligt hatte, sei sie nun zurückgekehrt, erklärt die Kunsthallenleiterin Melanie Ardjah. Möglich geworden sei dies durch eine Kooperation mit der Universität Tübingen, wo O’Hara als Gastkünstlerin einen Monat lang lehre.

Unterstützt werde die Aktion außerdem von dem Deutsch-Amerikanischen Institut Tübingen und dem Weltethos-Institut Tübingen. O’Hara sei die zweite Künstlerin, die seit 2018 als „Invited Artist“ das Angebot an der Universität bereichere, sagt eine Mitarbeiterin. Studenten aller Fachrichtungen erhielten so Einblicke in die zeitgenössische Kunst unterschiedlicher Kulturkreise. In ihren Seminaren habe O’Hara die Studenten bereits mit ihrer beidhändigen Scribbling-Technik, einer Art Kritzeln, vertraut gemacht.

Die anstehenden Probleme seien nur mit Ruhe zu lösen

Mit ihrer Kunstaktion „Writing the Constitution“ hat die Künstlerin mit inzwischen rund 1500 Menschen zusammengearbeitet. Begonnen hatte O’Hara damit 2017, als Donald Trump amerikanischer Präsidenten wurde, im zunächst eher kleinen Rahmen in der New York Public Library. Sie wollte eine friedliche, kreative, demokratische und partizipative Aktion kreieren und Menschen ermutigen, selbst Sitzungen zu organisieren, um in allen Sprachen die Grundrechte aller Menschen handschriftlich niederzulegen: „Wenn du etwas schreibst, kommt es auf eine tiefere Weise in deinen Kopf und deinen Körper.“ Auf diese Weise kämen die Menschen zur Ruhe, das sei wichtig, um anstehende Probleme zu lösen, sagt die zierliche Künstlerin mit leiser Stimme, bevor sie sich zur 110. Auflage ihrer Aktion ins Tübinger Schloss verabschiedet.

Ein Teilnehmer nennt die Aktion politisch hoch aktuell

„Das ist ein besonders intensiver Zugang. Das sollten eigentlich alle tun müssen, die die Inhalte der Verfassung mit Füßen treten“, sagt später ein Teilnehmer, der die Kunstaktion als politisch hoch aktuell bewertet. Beim Abschreiben von Hand würden die Inhalte besonders plastisch, bestätigt auch die SPD-Gemeinderätin Heidrun Schellong, deren Interesse von Melanie Ardjah bei der Vorstellung im Kulturausschuss geweckt worden war. Und eine Abiturientin stellt fest: „Es ist faszinierend, wie exakt die Inhalte in komprimierter Form getextet sind.“ Viele Teilnehmer wollen sich nun intensiver mit den „großartigen Aussagen“ beschäftigen, zum Beispiel auch mit dem Recht, nach Glück zu streben, wie es die amerikanische Verfassung garantiere.

Als einfach gigantisch bezeichnet eine Teilnehmerin außerdem den ersten Satz in Artikel eins des Grundgesetzes: „Die Würde des Menschen ist unantastbar“. Sie verstehe das Jubiläumsjahr als Auftrag, das eigene Verhalten wieder mehr an diesen ethischen Grundsätzen auszurichten, deren Inhalt eigentlich zur Allgemeinbildung gehöre. Deshalb habe sie unlängst eine typografisch besonders ästhetisch gestaltete Ausgabe des Grundgesetzes für ihre beiden Enkelinnen erworben. Und ein weiteres Fazit lautet: Es sei gut, dass Schönschreiben in den Schulen nicht mehr so hoch bewertet werde, gleichzeitig fördere das Handschreiben aber die Vernetzung der Gehirnhälften.