Tatort Wolf-Hirth-Straße in Bietigheim-Bissingen: Dort passierte ein Mord. Foto: SDMG

Eine Stunde und 50 Minuten vor seinem 36. Geburtstag wird ein Box-Meister vor seinem Wohnhaus in Bietigheim-Bissingen erschossen. Manches spricht für einen Akt der Russenmafia – welche Hintergründe jetzt schon bekannt sind.

Bietigheim-Bissingen/Stuttgart - „Mit uns stark und sicher“ – das ist das Motto seiner Kampfsport-Bars, die er in Stuttgart-Neugereut betrieben hat. Stark war er durchaus, ein einstiger Top-Boxer, mit Badischen und Süddeutschen Meistertiteln in der 64-Kilo-Klasse, Dritter bei einer Deutschen Meisterschaft, Kickboxer-Weltmeister 2004 und Trainer. „Ein netter Kerl“, heißt es beim Boxverband Baden-Württemberg. Allerdings, so ist zu hören, soll er einen fatalen Hang zu Kreisen gehabt haben, die viele eher meiden würden. Stark ja, aber nicht sicher. Als Sergej N. am Dienstag um 22.10 Uhr vor seinem Wohnhaus in Bietigheim-Bissingen (Kreis Ludwigsburg) vorfährt, wartet ein Mörder auf ihn. Eine Stunde und 50 Minuten vor seinem 36. Geburtstag fallen tödliche Schüsse.

Der Tatort: Wolf-Hirth-Straße im Stadtteil Bissingen. Der gebürtige Kasache wohnte hier in einem schmucklosen, viergeschossigen Wohnblock aus den 1960er oder 1970er Jahren. Eine Chance hat er nicht. Als der zweifache Familienvater aus seinem dunklen Mercedes-Transporter aussteigt, feuert ein Unbekannter auf ihn. Eine Nachbarin sagt, sie habe in der Nacht Geräusche gehört, „als seien Böller losgegangen“. Ihr Sohn habe noch erstaunt bemerkt, dass das aber viele Böller gewesen seien.

Der Täter: dunkel, Jogginghose, Kapuzenpullover

Zeugen sehen, dass der Täter Richtung Maybachstraße davonrennt. In der Panoramastraße verliert sich seine Spur. Die Beschreibung ist dürftig. 1,75 Meter groß, maskiert, dunkel gekleidet mit Jogginghose und Kapuzenpullover. „Die sofort eingeleitete Alarmfahndung mit starken Kräften blieb erfolglos“, sagt Polizeisprecher Peter Widenhorn. Auch am Mittwochvormittag gibt es keine heiße Spur.

Was war der Hintergrund? Ein Akt der Russenmafia? Seine Rolle als ausgebildeter Personenschützer? Ein Nachbar erinnert sich, dass es vor einigen Jahren in der Straße mal eine Razzia wegen „Anabolika und so Zeugs“ gegeben habe. Doch von Drogendelikten ist bei Sergej N., der sich auch Said nannte, in den Polizeiakten nicht die Rede. „Da war lediglich etwas mit Hehlerei“, sagt Polizeisprecher Widenhorn.

„Mein Freund war überall beliebt“

Das sei hier eine ganz normale Wohngegend mit ganz normalen Menschen, sagt einer, „auf jeden Fall keine Brennpunktgegend“. Am Mittwoch kurz vor 10 Uhr trifft eine Familie am Tatort ein. Er sei der Geschäftspartner und beste Freund des Opfers, sagt der Vater. Er habe aus dem Radio von der Tat erfahren, auch sei er angerufen worden. Der Mann, ein Baum von einem Kerl, atmet schwer, kämpft mit den Tränen. Er könne sich keinen Reim auf die Tat machen. „Mein Freund war überall beliebt“, sagt er leise und hält dabei sein Söhnchen fest an der Hand. Ob der Täter eher im privaten oder doch beruflichen Umfeld zu suchen sei? Der Freund schaut ratlos. Er fürchte jedenfalls nicht um sein Leben, sagt der Mann noch.

Seit kurzem in Neugereut – „stark und sicher“

Die Spur führt auch Richtung Stuttgart, genauer in den Wildgansweg im Stadtteil Neugereut. Dort hat Sergej N. einen Veranstaltungsort aufgebaut, der sich Kampfsport-Bars nennt. Im Februar dieses Jahres war man aus Bad Cannstatt nach hierher umgezogen, der 35-jährige taufte die Einrichtung auch auf Kampfsport-Akademie. Im März präsentierte er das neue Logo der Bars – ein Tiger mit der Botschaft: „Mit uns stark und sicher.“

Offenbar haben sich die Trainer und Gäste seit ihrem Umzug in den Wildgansweg dort nicht auffällig verhalten. Die Schule muss man suchen, der Eingang liegt an der Rückseite des Wohnblocks am Ende der Sackgasse in Neugereut. Eine graue Stahltür, darüber das Schild mit dem Tiger. Am Tag nach dem gewaltsamen Tod des Chefs ist es dunkel, die Mitarbeiter haben einen eilig geschriebenen Zettel an den Eingang geheftet. „Alle Trainings fallen bis voraussichtlich Montag ganz aus“, steht da.

Sein langjähriger Boxtrainer im hessischen Bensheim ist erschüttert, aber nicht überrascht. „Wir hatten uns 2007 getrennt, weil sein Umfeld nicht zu uns gepasst hat“, sagt er. Zwielichtige Gestalten, von denen man sagte, sie gehörten zur Russenmafia. Sei ja auch komisch gewesen, wurde in Bensheim geflüstert, wenn man von staatlicher Unterstützung lebe und einen dicken Mercedes fahre. „Ich habe ihn danach noch sporadisch gesehen“, sagt der Bensheimer Trainer.

Die Polizei schließt nichts aus. Hinweise auf Banden gebe es nicht. „Wir haben jetzt einen 45-köpfige Sonderkommission gegründet“, sagt Polizeisprecher Widenhorn. Alles sei noch völlig unklar. Klar ist nur eines – der Name der Soko. Sie ist nach dem Wohngebiet benannt: Bruchwald.