Die Mooswand an der Cannstatter Straße wird wieder begrünt. Foto: Lichtgut/Leif Piechowski

Mit der Mooswand an einer der schmutzigsten Kreuzungen Deutschlands will Stuttgart des Feinstaubs Herr werden – doch die Umgebungsbedingungen sind offenbar mörderisch.

Stuttgart - Eigentlich ist es doch schön grün entlang der Cannstatter Straße zwischen Schwabengarage und Berger Tunnel: Gräser, Bäume, Sträucher und Immergrün säumen die fußgängerfreien Fahrbahnränder, in der Mitte der siebenspurigen Stadtautobahn befindet sich sogar ein Grünstreifen. Und im Sommer überwuchern die mächtigen Platanen in den benachbarten unteren Anlagen mit ihren üppigen Laubkleidern die Betonschallschutzwände.

Gäbe es nur nicht diesen unseligen hässlichen Kasten an der Kreuzung mit der Heilmannstraße, der vor allem jetzt zwischen Oktober und April stets in unschöner Regelmäßigkeit deutschlandweit funkt: Stuttgart ist die Feinstaub-Hauptstadt Nummer eins, am Neckartor befindet sich die schmutzigste Straßenkreuzung der Republik. Doch einem Superlativ folgen bekanntlich meist weitere, deshalb gibt es in diesem Zusammenhang auch noch folgendes zu vermelden: Stuttgart testet als erste Stadt eine Mooswand an einer Hauptstraße, in Stuttgart werden jede Nacht die Straßen und Gehwege nass gereinigt. Das alles im Dienst der Luftreinhaltung, im Kampf gegen Feinstaub und Stickoxide.

Leben unter erschwerten Bedingungen

Ob diese Maßnahmen den erhofften Erfolg haben, wissen wir (noch) nicht. Fest steht: Die Cannstatter Straße ist dadurch noch grüner geworden. Zumindest zeitweise. Denn im März dieses Jahres wurde die Mooswand an der Bundesstraße 14 angebracht nahe dem Heinrich-Baumann-Steg, 100 Meter lang, 300 Quadratmeter groß, 3,6 Tonnen schwer und etwa 500 000 Euro wert. Dort sollen das Graue Zackenmützenmoos, das Zypressenschlafmoos und das Frauenhaarmoos unter erschwerten Bedingungen an einer stark befahrenen Straße im Freien demonstrieren, was sie im Labor bestens können: Feinstaub aufnehmen und so diesen aus der Luft herausfiltern.

Optisch ist diese Rechnung erst mal nur bedingt aufgegangen. Im Sommer, spätestens im Frühherbst, haben sich diese Frischluft-Spezialisten vom Grünen ins Bräunliche verfärbt. Sonja Thielen, Moosexpertin am Staatlichen Museum für Naturkunde, Partner dieser Pilotstudie, rückte diese Beobachtungen während der ganz heißen Tage dieses Jahres gegenüber unserer Zeitung ins richtige Licht: „Man darf sich von der braunen Verfärbung der Moose nicht täuschen lassen. Trotz der hohen Temperaturen ist das Moos in einem vitalen Zustand“, so Thielen: „Es sieht zwar vertrocknet aus, ist es aber nicht.“ Und Rainer Kapp vom Amt für Umweltschutz ergänzte damals: „Die Feinstaub-Aufnahme ist zwar reduziert, aber die Moose leben und arbeiten trotzdem“. Die Gewächse hätten sich jetzt eben „hitzefrei“ genommen. Bei erträglicheren Tempertauren werde „das Moos den Dienst wieder voll aufnehmen“.

Abgestorbenes Moos wird jetzt ersetzt

Inzwischen wurde jedoch festgestellt, dass tatsächlich ein Drittel der Moosfläche abgestorben ist. Das wird jetzt in diesen Tagen ersetzt. Ulrich Vogt vom Institut für Feuerungs- und Kraftwerkstechnik der Universität Stuttgart unterstützt ebenfalls dieses Projekt: „Es braucht eine voll intakte Wand, um im nächsten Jahr nachvollziehbare Ergebnisse präsentieren zu können“. Und Peter Pätzold, Bürgermeister für Städtebau und Umwelt: „Wir ersetzen das abgestorbene Moos, damit der Versuch ordentlich weiterlaufen kann. Nur so können wir verlässliche Ergebnisse erzielen. Wir führen hier einen großen Feldversuch durch.“

Ein Feldversuch, dessen Rahmenbedingungen sich inzwischen jedoch geändert haben. Das Verwaltungsgericht Stuttgart hat in einem Urteil im Juli dieses Jahres Stadt und Land das Erteilen von Fahrverboten quasi ins Stammbuch geschrieben, falls nicht schon bald die Luftqualität in der Stadt nachhaltig besser wird. Fahrverbote sind demnach schon von Januar 2018 an möglich beziehungsweise unumgänglich. Ob dies so kommen wird? – Zumindest gerichtlich wird dies jetzt noch in höherer Instanz vor dem Bundesverwaltungsgericht in Leipzig geklärt.

Ein Forschungsprojekt, keine Maßnahme

Unabhängig davon lassen sich die Wissenschaftler in Sachen Mooswand nicht aus der Ruhe bringen. Bei Rayk Rinke vom Amt für Luftreinhaltung und Klimaschutz laufen die Fäden zusammen: „Die Mooswand ist für uns ein Forschungsprojekt, sie ist nicht Teil eines Maßnahmepakets. Die Idee dazu liegt schon viele Jahre zurück, sie wurde an uns herangetragen. Wir waren da lange skeptisch, da uns niemand fundiert erklären konnte, was diese Mooswände tatsächlich bringen können. Deshalb haben wir schon immer gesagt: Wir gehen da ergebnisoffen ran. Für uns hat sich daran bis heute nichts geändert.“

Rinke konkret: „So wie das Projekt jetzt stattfindet, geht es um die Untersuchung von Wirkungen und nicht um die Frage, wie sich solch eine Mooswand in einer Stadt überhaupt gut integrieren lässt. Wenn sich zeigt, dass so eine Mooswand tatsächlich etwas bringt, müsste dann erst mal untersucht werden, wo sich solch eine Wand mit welchem Aufwand überhaupt gut betreiben lässt.“ Und Rinke baut vor: „Selbst wenn jetzt der Gemeinderat auf uns zukommen würde, um bestimmte Ergebnisse zu erwarten, könnten wir nichts vorwegnehmen: Die Ergebnisse sind, wie sie sind.“ Allerdings ist der Gemeinderat schon mit dem Wunsch an ihn herangetreten, das Projekt so früh wie möglich zu realisieren. „Wir haben dem entsprochen“, so Rinke: „Heute können wir sagen, dass es gut gewesen wäre, das Projekt zu einer Zeit wie jetzt zu beginnen. Dann hätten sich die Pflanzen besser an diesen Standort gewöhnen können.“

Am Ende eines sehr trockenen Jahres

Insofern war die „hitzefrei“-Periode der Moose irgendwie vorhersehbar: „Wir haben schon einen Platz gesucht, an dem extreme Bedingungen herrschen. Aber dort musste ja auch noch Platz sein für all die Messgeräte.“ Und extrem ist der gewählte Ort allein schon aufgrund seiner Ausrichtung nach Süden. „Da ist die Sonneneinstrahlung sehr hoch. Und Moose trocknen ja etwas aus im Sommer. Das ist ganz natürlich, sie regenerieren dann auch wieder. Wir haben aber nicht damit gerechnet, dass dieser Sommer, eigentlich das ganze Jahr, so trocken wird.“

In diesem Zusammenhang hat die Moosexpertin Sonja Thielen noch einen weiteren Stressfaktor ausgemacht: „Wir haben nicht einkalkuliert, dass vor allem die vielen vorbeifahrenden LKWs so viel Fahrtwind aufwirbeln. Das beschleunigt die Austrocknung zusätzlich. Moose benötigen eben eine etwas längere Regenerationszeit, eine gewisse Feuchtigkeit muss länger für sie gewährleistet sein.“ Und dann können diese Moose wahre Wunderdinge im Dienst einer sauberen Luft erfüllen: „Wie jede andere Pflanze benötigen Moose Stickstoff zum Wachsen. Das ist enthalten in Amonium, das sich in Form von Amoniumnitrat im Feinstaub befindet. Wahrscheinlich nehmen sie auch Stickoxide auf, aber das ist wissenschaftlich noch nicht genau geklärt. Generell benötigen sie Kohlenstoffdioxid für die Fotosynthese. Außerdem sind Moose sehr gute Wasserspeicher. Gerade in Zeiten, in denen es immer mehr Starkregen gibt, wären Moose sicher hilfreich gegen Überschwemmungen.“

Jana Steinbeck von der Pressestelle der Stadt Stuttgart bestätigt die nächsten Schritte der Wissenschaftler: „Das Projekt läuft jetzt noch bis zum Ende dieser Feinstaubsaison. Dann werden die Daten ausgewertet. Im Juni oder Juli wissen wir hoffentlich mehr.“