Paul François auf seinem Gut im westfranzösischen Bernac. Der Landwirt sagt, nach einem Unfall mit einem Herbizid Monsantos sei sein Immunsystem stark geschwächt, außerdem habe er Gedächtnislücken. Foto: Phyto-Victimes

Der Chemiekonzern ist in den USA verurteilt worden, weil der Unkrautvernichter Glyphosat bei einem Hausmeister Krebs verursacht haben soll. Auch in Europa steht nun ein Präzedenzfall an – dank der Hartnäckigkeit eines französischen Getreidelandwirts.

Bernac - Die Ackerfurchen sind tief, doch Paul François stolpert über etwas anderes – ein Wort. Ihm fällt das Substantiv „Anbau“ nicht ein, als er erzählt, er habe jetzt vollständig auf biologischen Anbau umgesattelt. „Ab und zu habe ich ganz kurze Aussetzer, wie Gedächtnislücken“, meint der Landwirt, der sonst ebenso rasch wie präzise spricht. „Es ist, wie wenn der Motor für eine Sekunde stockt. Dann springt mein Gehirn wieder an.“

Schuld ist nach Angaben des Bauern ein Unfall, den er auf seinem 240 Hektar großen Gut in Bernac (Westfrankreich) hatte, auf dem er geboren ist. „Es war am 27. April 2004, einem Tag mit blauem Himmel“, sagt der 53-Jährige. An jenem Tag öffnete er einen Tank mit dem Pflanzenvernichtungsmittel Lasso, um nachzuschauen, ob es aufgebraucht war. War es aber nicht. In der Sonnenhitze hatte es sogar starke Dämpfe entwickelt – die François nun inhalierte, als er den Deckel öffnete. Bald darauf wurde ihm schlecht und schwindlig. Ins Haus zurückgekehrt, verlor er das Bewusstsein. Seine Frau, eine ausgebildete Krankenschwester, rief sofort die Ambulanz und forderte die Notfallstation auf, das Beatmungsgerät zu aktivieren. Das rettete möglicherweise sein Leben. Seither kämpft François gegen schwere Symptome, darunter Kopfschmerzen, Gedächtnislücken, Immunschwäche. Und er kämpft gegen den US-Konzern Monsanto, den Hersteller von Lasso.

Der Rechtsstreit ist ein Präzedenzfall

Der Franzose fand schnell heraus, dass das Herbizid in Ländern wie Kanada und England wegen seiner Gefährlichkeit verboten war. Auf der französischen Etikette stand hingegen zu lesen: „Erfordert keine spezielle Ausrüstung.“ Also auch keine Atemschutzmaske. Monsanto aber bestritt und bestreitet noch heute jeden Bezug zu François’ Gesundheitsproblemen. Der Landwirt verlangte vergeblich eine Entschädigung und ging 2007 vor Gericht. Wenige Monate danach untersagte auch Frankreich den Einsatz von Lasso. Der Rechtsstreit ist ein Präzedenzfall: Wenn François vor Gericht recht erhält, dürften andere Lasso-Opfer folgen, und auch Kunden des noch heute verwendeten Herbizides Glyphosat. Und in Frankreich, dem größten Agrarland der EU, könnten die Geschädigten in die Dutzende, ja Hunderte gehen, schätzt der Verein Phyto-Victimes, der sich für Chemieopfer wie François einsetzt.

François hat bereits 50 000 Euro in den Rechtsstreit investiert, nur ein kleiner Teil ist durch Spenden des Vereins gedeckt. „Ich habe vor Gericht noch nie einen Vertreter der Firma zu Gesicht bekommen. Nur die Anwälte lassen sich blicken, um eiskalt zu erklären, ich hätte nach dem Einatmen der Lasso-Dämpfe zuerst einen Gerichtsvollzieher holen sollen, um alles aufzuzeichnen.“ Die Notfallambulanz hätte warten sollen. Der Prozess dauert bereits zehn Jahre. Auf dem Instanzenweg erhielt François zweimal recht, da das Lasso-Etikett ungenügend auf die Gefährlichkeit des Produktes verwiesen habe. Der Kassationshof, das höchste Gericht in Frankreich, befand hingegen Ende 2017, die Kernfrage – die Gefährlichkeit des Unkrautmittels – sei nicht genügend abgeklärt worden und ordnete einen neuen Prozess an. Monsanto sagt zu dem laufenden Verfahren nichts, hat aber seinen Standpunkt in einer Pressemitteilung zusammengefasst: „Die fundierte Analyse des Falles hat ergeben, dass es für den Zusammenhang zwischen dem Herbizid Lasso und den Symptomen von Herr François keinen Beleg gibt.“

Monsanto äußert sich zu dem laufenden Verfahren nicht

François verweist dagegen auf mehrere Studien, die bestätigen, dass der Lasso-Wirkstoff Monochlorbenzol das Immun- und Nervensystem angreift. „Mein Abwehrsystem ist so geschwächt, dass jede Infektion tödlich sein kann“, erklärt der Landwirt. „Doch dank einer Algentherapie falle ich wenigstens nicht mehr regelmäßig ins Koma wie früher.“ Dennoch muss François nun mitten am Nachmittag eine Pause einlegen, weil er plötzlich sehr müde wird. Auf dem Rückweg in sein Büro sinniert er, ob die Übernahme des US-Multis durch den deutschen Pharma- und Agrarchemiekonzern Bayer vielleicht etwas an dem – wohl erst 2020 entschiedenen – Gerichtsfall ändern könnte.

„Zu hoffen wäre es. Das politische Umfeld ist in Deutschland und Frankreich anders.“ In Paris sei gerade der grüne Umweltminister Nicolas Hulot zurückgetreten, unter anderem, weil sich Präsident Emmanuel Macron geweigert habe, Glyphosat zu verbieten. „Seither gilt Hulot als mutig, Macron als lobbyabhängig“, erzählt François. „Dieser Kritik durch die öffentliche Meinung können sich die Politiker, aber auch die Großfirmen nicht verschließen.“ Ein Vertreter von Bayer-France habe ihm unter vier Augen gesagt, man könne nur den Kopf darüber schütteln, wie sich Monsanto mit seinen Kunden auf der halben Welt anlege. Das habe Bayer bei der Übernahme zweifellos unterschätzt.

Dann bricht der Landwirt das Gespräch ab. Zu den guten Wünschen für seine Gesundheit meint er beim Abschied: „Wünschen Sie das den Bauern in China und Afrika. Dort scheint dieses Herbizid noch zugelassen zu sein.“