xJohannes Schneck verwandelt Fundstücke in ungewöhnliche Möbel. Foto: Lichtgut/Leif Piechowski

Gebrauchte Materialien mit Geschichte stehen bei den Möbeldesignern derzeit hoch im Kurs. Besonders begehrt ist Holz aus Abbruchhäusern oder Kirchen. Ein Experte erklärt, warum.

Stuttgart - Möbel, die einfach nur rumstehen, mag Rudolf Zwinz nicht. Am liebsten sind dem Schreiner Ein-und Umbauten, die sich fast unsichtbar in den Raum integrieren. Das ist die eine Seite seines Konzepts. Auf der anderen Seite finden sich grobe Klötze in seinen Ausstellungsräumen im Bohnenviertel: ungehobelte Eichenbalken, die einst Zimmerdecken getragen haben oder eine Scheune zusammen hielten.

Gespeicherte Sonnenenergie

Vor hunderten von Jahren waren sie massives Baumaterial, heute können sie ungehobelt, einer sachlichen Designerwohnung mit viel Stahl und Glas die Kälte nehmen, sagt Zwinz. Mit zwei Stahlkufen wird so ein Balken zur Sitzbank, vor allem aber zum Objekt. „Das ist Jahrhunderte lang gespeicherte Sonnenenergie“, sinniert er und hat Respekt vor der Leistung seiner Vorgänger. „Man kann sich fragen, wie der Kollege vor 400 Jahren die Ausfräsung reingekriegt hat.“

Holz aus Abbruchhäusern oder Kirchen ist heiß begehrt, weil es ein Stück Geschichte für die Wohnung darstellt. So wird betagtes Baumaterial zum stattlichen Esstisch umgebaut: Die tiefen Scharten in der Tischplatte lassen sich nicht herausschleifen. Sie sollen auch gar nicht beseitigt werden, denn der Tisch soll erzählen und jenen, die heute daran sitzen, Rätsel aufgeben.

Kegelbahndielen werden zum Tisch

Aus vorhandenem Material etwas Modernes zu bauen, ist nicht nur unter dem Aspekt der Wiederverwertung – neudeutsch Upcycling – beliebt, sondern auch wegen des Erinnerungswertes, den Holz in sich trägt. Was zum Beispiel haben die Holzböden einer Kegelbahn alles hinter sich? Als sie zu einer Wohnung umgebaut wurde, wollten die neuen Besitzer ein Stück der Geschichte in ihrem Heim bewahren. Zwinz hat ihnen aus den charakteristischen Bodendielen zwei sachliche schmale Beistelltische mit Stahlrahmen gebaut. Im Fachjargon heißt das Industrial Design. So lebt die Vergangenheit im modernen Gewand weiter.

Material mit Potenzial

Dieses Prinzip treibt der gelernte Schreiner und Innenarchitekt Johannes Schneck in seinem kleinen Atelier im Süden auf die Spitze. Vor ihm ist nichts sicher: Auf Schrottplätzen, in stillgelegten Fabriken, Abbruchhäusern, auf dem Flohmarkt oder im Wald entdeckt er Gegenstände, denen er nicht widerstehen kann und sie mitnehmen muss. „Ich sehe was und denke: Da steckt Potenzial drin“, erklärt er. Sein Warenlager ist deshalb stattlich. „Manches liegt lange rum bis ich eine Idee habe, wie ich es einsetzen könnte.“

Tannenstämmchen halten das Bett

Möbelkonfektion verabscheut er. „Im Moment stehe ich total auf Tannenholz“,erzählt er verschwörerisch. Diverse ungeschälte Stämmchen warten in einer Ecke seiner Werkstatt schon darauf, dass sie für ihren neuen Verwendungszweck verbaut werden. So wie jene vier Stämmchen, die ein Bett tragen. Die ungehobelten Tannenholzbeine mit den noch sichtbaren Astansätzen halten das Bettgestell aus Türen mehrerer Spinde – und das Paneel rund um die Schlafstatt ist nichts für Menschen, die gerne ihr Umfeld mit Desinfektionsspray keimfrei machen. Unzählige Lederschuhsohlen in allen Stadien der Abnutzung hat er wie Fischschuppen übereinander gesetzt und so eine extravagante Wandverkleidung geschaffen. Weitere Ideen für gebrauchte Schuhsohlen hat er schon im Kopf. „Drei Schuster sammeln für mich die Sohlen“, verrät er.

Schubladen aus Backblechen

Auch die Backbleche einer ehemaligen Bäckerei haben bei ihm einen neuen Verwendungszweck gefunden: Zerteilt und neu zusammen gesetzt wurden sie zum schwarzen Schubladenschrank, in dem Tassen und Teller ihren Platz haben. Seine Kundschaft? „Das sind Leute mit einer normaler Einrichtung, die ein Einzelstück suchen“, charakterisiert er sie. „Aber wenn jemand kommt und will, dass ich etwas baue, das in seine Wohnung passt, lehne ich ab“, betont der eigenwillige Schneck.

Ideenschmiede der Studenten

An der Hochschule für Technik (HfT) lehrt der Hamburger Industrie-und Möbeldesigner Karsten Weigel im Fachbereich Innenarchitektur. „Über die innovativen Einfällen der Studierenden bin ich immer wieder verblüfft“, sagt er. Die Hocker des dritten Semesters sind als „Best of 17“ derzeit an der HfT ausgestellt: Zum Beispiel das Dreibein, dessen Stuhlfüße sich Einklappen lassen. Die Scharniere kommen aus dem Drei-D-Drucker und die Sitzgelegenheit kann flach an der Wand hängen, wenn er nicht gebraucht wird.

Hocken auf dem Birkenstamm

„Die Studenten sollen bei der Umsetzung ihrer Ideen immer im Auge behalten, dass ihr Produkt für die industrielle Produktion tauglich sein muss“, erklärt Weigel. So weit kommt es zwar selten, obwohl die Studierenden aus der Ideenschmiede in der Nachbarschaft der Liederhalle ihre Einfälle immer wieder der Öffentlichkeit präsentieren: auf der Kölner Möbelmesse oder in Ludwigsburg bei der Fachtagung „Raumwelten“. Zum Verschnaufen haben sie für die Besucher grobe Holzklötze zum Sitzen entworfen und die Drittsemester sind mit einem ihrer Hocker im Frühjahr auf der Designmesse „Blickfang“ vertreten. Er besteht aus einem Stück ungehobeltem Birkenstamm. Gehalten wird er von zwei Elementen eines orangefarbenen Wagenhebers.