Mobbing ist in japanischen Schulen verbreitet (Symbolbild): Die Zahl bekannt gewordener Fälle ist zuletzt auf einen Rekordwert gestiegen. Foto: Adobe Stock/Takasu

Schüler quälen Schüler: Mobbing an Schulen ist das große Sorgenthema unter japanischen Eltern. Nun aber kam ein Fall heraus, in dem Schikane von Lehrern ausgeht. Er stellt einige Fragen neu.

Tokio - Es ist die Horrorvorstellung für Eltern: Das eigene Kind wird gehänselt, die Lehrer sehen es nicht, man selber erfährt nichts. In Japan hat man traurige Erfahrung damit, wenn Schulkindern andere quälen. „Ijime“, wie Mobbing auf Japanisch heißt, ist ein bekanntes Wort in dem ostasiatischen Land.

Dieser Tage aber wurde an diesem Verständnis mächtig gerüttelt. Dabei wackelt nicht die Vorstellung davon, dass Opfer Unterstützung benötigen, sondern dass pädagogisch ausgebildete Lehrer auch selbstverständlich zur Hilfe taugen. Dabei geht es vordergründig um einen Einzelfall: Am vergangenen Freitag hatte eine Grundschule in der 1,5-Millionen-Einwohner-Stadt Kobe erklärt, dass vier Lehrer ihrer Positionen enthoben worden waren, nachdem diese einen Lehrerkollegen demütigend behandelt hatten. Die vier Lehrkräfte, drei Männer und eine Frau in ihren 30ern und 40ern, sollen einem jüngeren Kollegen unter anderem Suppe ins Gesicht gerieben und ihn zum Alkoholtrinken gezwungen haben. Seitdem fragen sich viele: Ist Mobbing kein Problem bloß junger Menschen? Oder ist Unreife keine Frage von Alter und sozialer Verantwortung?

Das Thema Mobbing hat in Japan Konjunktur

Es ist eine besonders unglückliche Zeit für so einen Vorfall. Das Thema Mobbing hat in Japan Konjunktur, die Zahl bekannter Vorfälle stieg zuletzt auf einen Rekordwert. Für das Jahr 2017 dokumentierte das nationale Bildungsministerium 410 000 Fälle an den Grund-, Mittel- und Oberschulen des Landes, das sind 90000 mehr im Vergleich zum Vorjahr. Unklar ist, ob sich dieser Anstieg durch gemeinere Kinder erklärt oder die höhere Bereitschaft zeigt, bestehende Probleme an den Schulen zu melden sowie seitens der Schulen, diese Probleme auch zu registrieren. Allgemein anerkannt ist dagegen, dass das Thema heute offener diskutiert wird als in der Vergangenheit.

Nachdem in den vergangenen Jahren vermehrt Suizide von Schülern Schlagzeilen machten, haben sich die Regierungen einiger japanischer Präfekturen des Themas angenommen. Teilweise müssen Schulen nun vorbeugend gegen Mobbing vorgehen, Umfragen durchführen und entsprechende Listen erstellen sowie Anti-Mobbingbeauftragte berufen. Das Problem gilt als grassierend.

Laut einer Untersuchung von Kenzo Denda, Professor für Gesundheitswissenschaften an der Universität Hokkaido, leidet an weiterführenden Schulen jedes vierte Kind unter Depressionen. Häufig sei Mobbing ein wichtiger Grund dafür, und unter depressiven Kindern sei wiederum Suizid relativ häufiger. Im September erst sorgte ein mutmaßlicher Suizidfall eines 15-Jährigen für Aufsehen, der von einem Gebäude gestürzt war und einen Tagebucheintrag hinterlassen hatte, in dem er seiner Schule vorwarf, ihn drei Jahre lang trotz seiner Hilferufe nicht ernstgenommen zu haben.

Sich durch vom Durchschnitt zu unterscheiden, gilt in Japan als Makel

Während Mobbingopfer zu sein überall auf der Welt weh tut, könnte so eine Erfahrung in Japan, wo sich die Gesellschaft auffällig gern an Normwerten orientiert, besonders schmerzen. Ob es um Leistungsvermögen, äußerliche Merkmale oder Interessen geht, wird hier schnell der Vergleich zum vermeintlich Üblichen hergestellt. In Japan beschreibt man sein Land auch gern als homogene Gesellschaft, in der sich alle recht ähnlich seien. Ein bekanntes Sprichwort sagt: „Der Nagel, der hervorsteht, wird wieder niedergehämmert.“ Sich durch irgendwas vom Durchschnitt zu unterscheiden, gilt häufig als Makel.

So kommt Lehrern besondere Verantwortung zu, wenn es darum geht, einerseits alle möglichen Mobbingopfer in ihrer Persönlichkeit zu stärken, andererseits aber auch allen Schülern Tugenden vorzuleben, damit erst gar kein Mobbing betrieben wird. Zumal Lehrer in Japan im Leben Heranwachsender vermutlich eine wichtigere Stellung einnehmen als etwa in Deutschland. In japanischen Schulen verbringen Kinder fast ihren ganzen Tag, sie machen dort Sport, Musik und andere Dinge, die in Deutschland eher in Vereinen betrieben werden. Neben dem Elternhaus ist die Schule daher der wichtigste Sozialisierungsort. Und womöglich ist sie der einzige Ort, an dem Probleme angesprochen werden können, sofern dies im eigenen Elternhaus aus Schamgefühlen ausbleibt.

Die Empörung über den Vorfall von Kobe ist groß

Entsprechend deutlich ist die Empörung über den Vorfall von der Grundschule in Kobe. Auf Twitter kritisierte ein User namens ain0ar1ka: „Im Ernst? Dürfen Lehrer so etwas tun? Die sollen die Kinder unterrichten!“ Und take7700gh5fs fand: „Man fragt sich, ob diese Schule ihren Schülern eine angemessene Lehrqualität geboten hat.“ Die vier Täter sollen ihren jüngeren Kollegen zudem ein Dreckstück genannt und ihn auch dazu gedrängt haben, einer anderen Lehrerin obszöne Nachrichten zu schicken.

Seitens der Schule hieß es, die Eltern seien über alles informiert worden. Daraufhin wurde nicht nur die Sorge geäußert, dass die Kinder von ihren wenig vorbildhaften Lehrern erführen, sondern auch dass es nun noch deutlicher an Lehrkräften mangele. Schließlich hätten die vier Lehrer ihr Verhalten gestanden und stünden nun vor einem Disziplinarverfahren. Nachdem sich das Mobbingopfer schon vergangenen Monat krankmeldete, sind damit nun auch diese Täter als Lehrkräfte ausgeschieden. Die fünf freien Stellen könnten übergangsweise nur mit drei neuen Lehrern besetzt werden. Wenn Lehrer mobben, dann können die Schäden besonders weit reichen.