An der Fritz-Leonhardt-Realschule mussten Schüler Rücksicht nehmen Foto: Lichtgut/Achim Zweygarth

Die meisten Jugendlichen an der Fritz-Leonhardt-Schule in Degerloch haben einen Dialog gewählt, der auf Basis eines Romans fortgeführt werden sollte. Auch ein Gedicht von Heinz Erhardt stand bei der Abschlussprüfung im Fach Deutsch zur Wahl.

Stuttgart - „Und doch! Karl-Heinz, als dumm verschrien, wird Chef – und man bewundert ihn, und Kai, in Uniform gezwängt, steht an der Drehtür und empfängt und braucht in Englisch höchstens dies: ,Good morning, Sir!’ und manchmal: ,Please!’ Hieraus ersieht der Dümmste klar, daß der, der ,dümmer’, klüger war !“

„Schule“ heißt das Gedicht von Heinz Erhardt (1909–1979). Drei Generationen der Deutschen hat Erhardt mit seinen Spitzfindigkeiten erheitert. Doch die Schüler, die am Mittwoch zur Mittleren-Reife-Prüfung angetreten sind, haben sich nicht an die Textbeschreibung heran getraut: „Den kenne ich nicht“, war am Mittwoch die häufigste Begründung.

Fast alle Prüflinge der Fritz-Leonhardt-Realschule in Degerloch haben sich mit Michael Gerard Bauers Roman „Running Man“ auseinandergesetzt. Der war von den Fachlehrern als Schullektüre ausgewählt worden. „Denn Dürrenmatts Besuch der alten Dame“ hatten die Kollegen schon so oft unterrichtet“, sagt Rektorin Karin Grafmüller. 83 Prüflinge aus drei Zehnerklassen brüteten in Degerloch über der Textstelle, die ein Gespräch wiedergab, das die Schüler fortsetzen sollten. Inhaltlich geht es in Bauers Roman um den 14-jährigen Joseph, der sich mit dem Vietnam-Veteranen Tom anfreundet. Beide profitieren von dieser Begegnung, beide betrachten schließlich ihr Leben mit neuen Augen.

Von 8 bis 12 Uhr mussten sich die 450 Kinder und Jugendlichen an der Fritz-Leonhardt-Realschule möglichst ruhig zu verhalten, um ihre Kollegen nicht zu stören. Daran erinnerten im obersten Stockwerk rote Stop-Schilder und gelbe Warnplakate. Noch bis zum kommenden Mittwoch dauert der schriftliche Teil der Abschlussprüfungen, am morgigen Freitag folgt Mathematik, in der nächsten Woche sind die Fremdsprachen dran.

Danach ist damit zu rechnen, dass die Prüflinge statt der Schulbänke die Liegewiesen der Freibäder bevölkern. Vielleicht denken sie dort an die Autorin Annette Rauert, die ihnen zur Mittleren Reife präsentiert wurde. Deren Kurzgeschichte mit dem Titel „Der Schritt zurück“ schildert den inneren Monolog und Kampf eines Jungen, der im Schwimmbad von einem zehn Meter hohen Sprungbrett springen soll. Ein Nervenkitzel stellt sich allerdings nicht bei ihm ein, stattdessen überfällt ihn heftige Angst vor der Tiefe und gegen seinen Willen funktionalisiert zu werden.

Was also tun, wenn drum herum alle seinen Sprung erwarten? Er entschließt sich, die Leiter wieder hinunterzusteigen. Damit, das will uns die Autorin lehren, hat er womöglich mehr Mut bewiesen, als wäre er kopfüber ins Wasser gesprungen.