Eine neue Figur bei der Aufarbeitung: die Betroffenen haben sich auf Ulrich Weber verständigt, der die Vorfälle in den Heimen der Brüdergemeinde klären soll. Foto: factum/Granville

Er ist derzeit bei den Regensburger Domspatzen tätig. Nun soll der Jurist Ulrich Weber auch die Fälle von physischer, psychischer und sexualisierter Gewalt in den Heimen der evangelischen Brüdergemeinde untersuchen.

Korntal-Münchingen - Am Ende seien sie alle bei einem Glas Wein zusammengesessen, die Vertreter der Heimopfer mit denen der Brüdergemeinde. Detlev Zander und Wolfgang Schulz erzählen das unabhängig voneinander, wenn sie den vergangenen Samstag Revue passieren lassen. Nach einer mehrstündigen Sitzung hatten die beiden Opferverbände alte Streitigkeiten imMissbrauchskandel über Bord geworfen. Zudem votierten sie für Ulrich Weber aus Regensburg als Aufklärer. Seine Wahl im Februar ist demnach eine Formsache.

Der Jurist soll die Fälle von sexualisierter, psychischer, physischer Gewalt und Medikamentenmissbrauch in den Einrichtungen der Brüdergemeinde untersuchen. Weber klärt derzeit bei den Regensburger Domspatzen auf. Das Verfahren hat bundesweit Vorbildcharakter.

„Erfreuliche Entwicklung“

Von einer „erfreulichen Entwicklung“, einer „guten Sitzung“ spricht Wolfgang Schulz für die Arbeitsgemeinschaft Heimopfer, von einer „göttlichen Eingebung“, die Zander wohl gehabt haben müsse, um dem Mediationsprozess zuzustimmen. „Ich bin über meinen Schatten gesprungen“, sagt Zander selbst. Er hatte die Vorfälle in den Kinderheimen der evangelischen Brüdergemeinde vor drei Jahren öffentlich gemacht.

Klaus Andersen, der Laienvorsteher der evangelischen Brüdergemeinde, gibt sich „vorsichtig optimistisch, dass man nach der Klärung noch offener Fragen zu einem Ergebnis kommen könnte“. Das, so Andersen , „wäre ein bedeutender Schritt, was die Aufklärung betrifft“. Elisabeth Rohr, die mit Gerd Bauz zwischen den zerstrittenen Gruppen vermittelt hatte, äußert sich ebenfalls zufrieden mit dem Ergebnis. Ulrich Weber selbst hält sich zum jetzigen Zeitpunkt zurück: „Meiner Meinung nach war es ein reger Austausch. Ich freue mich, dass ich eingeladen wurde.“

Kandidaten präsentieren sich den Betroffenen

Am Samstag hatte sich die sogenannte Auftraggebergruppe getroffen. In ihr sind Vertreter der Brüdergemeinde und der Opfer sowie die beiden Mediatoren Elisabeth Rohr und Gerd Bauz zusammengeschlossen. Seit Samstag gehören ihr beide Opfergruppierungen an – also Zanders Netzwerk Betroffenenforum und die Arbeitsgemeinschaft Heimopfer um Wolfgang Schulz. Zander hatte seine Teilnahme zunächst verweigert, weil er die Mediation als unnötig erachtete. Ihm wurde dann aber bedeutet, dass die Aufklärung im Zweifelsfall auch ohne ihn ihren Lauf nehmen würde. Zander, selbst ein ehemaliges Heimkind, hat dies wohl zum Umdenken bewogen.

Die Auftraggebergruppe hatte neben Ulrich Weber auch den Kriminologen Christian Pfeiffer eingeladen. Während Zander und seine Mitstreiter vom Netzwerk Betroffenenforum schon im Vorfeld Ulrich Weber klar zu ihrem Favoriten gemacht hatten, war Wolfgang Schulz und dessen Arbeitsgemeinschaft Heimopfer ergebnisoffen in die Sitzung gegangen. Schulz hatte in der Vergangenheit betont, über niemanden urteilen zu können, den er nicht kenne.

Der Kriminologe Pfeiffer verfolge einen anderen Ansatz der Aufklärung als Weber, wie Zander und Schulz nach der Präsentation berichten. Er richte von Beginn an ein stärkeres Augenmerk auf die wissenschaftliche Aufarbeitung. Diese sei bei Weber nachrangig.

Bis zum Treffen im Februar sollen noch offene Fragen beantwortet werden. Wolfgang Schulz will zum Beispiel gesichert wissen, dass die Betroffenen auf einer möglichst breiten Basis angesprochen, also auch auf der Grundlage der vorhandenen Daten angeschrieben werden. „Der breite Beginn macht viel Arbeit“, räumt Schulz ein, der dennoch darauf beharrt. Zudem sollen den Betroffenen möglichst viele Möglichkeiten geboten werden, ihre Erlebnisse zu schildern. Anders als bei den Domspatzen handle es sich in Korntal um Betroffene, die eben nicht aus einem elitären Elternhaus stammten und deshalb möglicherweise auch nicht rhetorisch gewandt seien, sondern lieber schriftlich dokumentieren wollten, was sie erlebt hätten.

Zwei Generationen beteiligt

Keine Forderung, vielmehr einen Wunsch will Schulz formulieren, wenn er über die wissenschaftliche Aufarbeitung spricht. Ob sie auf die Aufklärung folgt, müsse zu klären sein. Die Wissenschaft geht der Frage nach, wie es zu den Vorfällen kommen konnte. Ihre Ergebnisse dienen auch dazu, die Prävention in Kinderheimen zu optimieren. „Es wäre ehrlich“, sagt Schulz, wenn dies ebenfalls untersucht würde. Ihm ist aber zunächst viel wichtiger, dass der Aufklärer die Schilderungen der Betroffenen alsbald auf Plausibilität prüft, um über Anerkennungsleistungen zu entscheiden. Die Betroffenen sollen die finanzielle Anerkennung ihres Leids schließlich noch zu Lebzeiten erhalten. „Es gibt so viele Menschen, die krank sind“, gibt Schulz zu bedenken.

Wolfgang Schulz ist 73, eine jüngere Generation hat sich erst vor Kurzem in die Aufklärung eingebracht und damit auch Vorfälle aus dem Flattichhaus, dem zweiten Kinderheim der Brüdergemeinde, öffentlich gemacht. Zander und seine Mitstreiter waren in der größeren Einrichtung der Brüdergemeinde im Ort, dem Hoffmannhaus. Somit sind nun zwei Generationen am Aufarbeitungsprozess beteiligt. Sie kennen sich untereinander nicht.