Es gebe „Null Toleranz“ für Übergriffe in der Diözese, sagt Bischof Gebhard Fürst. Foto: dpa

Die Diözese Rottenburg-Stuttgart bilanziert sexuelle Übergriffe von Klerikern auf Minderjährige – und nennt zwei gravierende Vorfälle. Aber viele der mutmaßlichen Täter sind bereits verstorben.

Stuttgart - Acht Tage bevor die Deutsche Bischofskonferenz eine von ihr in Auftrag gegebene Studie über den sexuellen Missbrauch durch Kleriker vorstellen will, hat Gebhard Fürst, Bischof der Diözese Rottenburg-Stuttgart, am Montag zum gleichen Thema selbst zu einer stark besuchten Pressekonferenz in Stuttgart eingeladen. Es gehe um eine Art Bilanz der Missbrauchsfälle in der Diözese, sagte Fürst. Grundlage ist die Arbeit der Kommission sexueller Missbrauch in der Diözese, die fast 2000 Personalakten durchgesehen hat und 146 Vorwürfe prüfte.

Rottenburg hatte mit dem Bericht schon im Juli an die Presse gehen wollen, doch auf Bitten der Bischofskonferenz dies vertagt. Mit den vorab veröffentlichten Berichten von Auszügen aus der Studie der Bischofskonferenz ist diese Rücksichtnahme obsolet geworden. „Seit einigen Wochen verfolge ich mit Erschütterung die Verbrechen, die in Irland und Pennsylvania durch Kleriker an Minderjährigen verübt worden sind“, sagte Fürst. Mit noch „größerer Betroffenheit“ habe er vor wenigen Tagen die Berichte über die deutsche Missbrauchsstudie gelesen.

2010 hat der Bischof schon einmal um Verzeihung gebeten

„Noch immer bin ich bestürzt über die große Anzahl der Taten und der Täter, aber auch über die Last der Schuld in unserer Kirche.“ Schon 2010, als viele Missbrauchsfälle in kirchlichen Einrichtungen ans Licht kamen, hatte Fürst die Opfer um Verzeihung gebeten. Am Montag wiederholte er dies: Er wisse, dass er das geschehene Leid nicht wieder gut machen könne, aber „ich möchte mich an dieser Stelle mit Scham bei den Opfern für das Leid entschuldigen, das ihnen durch unsere Kirche angetan worden ist“.

Im Untersuchungszeitraum von 1946 bis 2014 sind 72 der Diözese Rottenburg-Stuttgart zugeordnete Kleriker bekannt, die des Missbrauchs an Minderjährigen beschuldigt werden. Von diesen 72 sind 45 bereits verstorben. Da vier Vorfälle als nicht glaubwürdig eingestuft worden sind, bleiben 23 Fälle im harten Kern. In elf Fällen waren die Vorwürfe laut Untersuchungsergebnis so schwerwiegend, dass sie an die Kongregation für Glaubenslehre in Rom gemeldet worden sind, wie es seit 2001 Pflicht ist. In sieben Fällen war die Staatsanwaltschaft involviert, in zwei Fällen sind die Kleriker ihres Amtes enthoben worden, das heißt, mit einem weltweiten Berufsverbot belegt worden. Fürst ließ durchblicken, dass es sich hierbei um Vorkommnisse in den 60er Jahren und 70er Jahren in Kinderheimen gehandelt habe, bei denen es auch mehr als fünf Opfer gegeben habe.

In neun Fälle gab es Verweise und zum Teil Gehaltskürzungen

Andere Fälle waren harmloser. „In neun Fällen habe ich Verweise ausgesprochen, die zum Teil mit einem deutlichen Gehaltsabzug für bis zu fünf Jahren verbunden waren und sind“, sagte Fürst. Für alle Täter oder Beschuldigte seien psychiatrische Gutachten angefordert worden, die Stellung nehmen zu Therapiemöglichkeiten und der Frage der Weiterbeschäftigung, die allerdings nur in Frage käme, wenn es sich um die „untere Kategorie“ des Missbrauchs, die sogenannte sexuelle Übergriffigkeit gehandelt habe. Auf Nachfrage erläuterte Sabine Hesse, die Leiterin der Stabsstelle Prävention in der Diözese, was damit gemeint sei: Übergriffigkeit könne beispielsweise sein, wenn eine Jugendgruppe zum Duschen gehe „und die Begleitperson geht rein und guckt sich die an“. Oder ein Täter lade Jugendliche zu sich zum Feiern, und dabei komme es zu Berührungen im Schambereich oder an der Brust. Dies seien oft sexuelle Handlungen unter der Schwelle der Strafbarkeit – für kirchliche Mitarbeiter aber intolerabel und geahndet mit Verwarnung oder Verweisen sowie der Möglichkeit des Verbots des Umgangs mit Kindern und Jugendlichen.

Wenn ein Beschuldigter oder Täter versetzt worden sei, dann sei dies nur in Fällen der „unteren Kategorien“ möglich, so Fürst in keinem Fall bei schwerem sexuellen Missbrauch. Der Bischof wies darauf hin, dass seine Diözese bereits 2002 als erste in Deutschland Regularien sowie eine Kommission gegen den sexuellen Missbrauch in Kraft gesetzt habe. Dieser Weg sei richtig gewesen, und man wolle ihn weitergehen. So soll eine Fortbildung zur Prävention von sexuellem Missbrauch für die 15 000 Diözesan-Beschäftigten sowie Tausende von Ehrenamtliche eingeführt werden. Das gesamte Programm wird bis 2023 laufen und rund 1,2 Millionen Euro kosten.

Auf Nachfragen, ob er nach dem Missbrauchsbericht Reformbedarf der Kirche beim Zölibat und ihrer Einstellung zur Homosexualität sehe, antwortete Fürst ausweichend. Die Studie mitsamt ihren Empfehlungen werde erst auf der Bischofskonferenz vorgestellt. Der Bischof erklärte dazu: „Da werden wir besprechen, wo wir einiges weiterentwickeln müssen.“