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Der Missbrauchsskandal hat jetzt auch die Diözese Rottenburg-Stuttgart erreicht.

Rottenburg - Der Missbrauchsskandal hat die Diözese Rottenburg-Stuttgart erreicht: Seit Februar sind sieben Priester, sieben Ordenspriester und drei Laien sexueller Übergriffe bezichtigt worden. Die meisten Beschuldigten sind bereits verstorben.

In Rottenburg ist die Bestürzung groß: Ein ehemaliger Pfarrer von Wurmlingen - heute ein Stadtteil der Bischofsstadt - soll sich in den 50er und 60er Jahren systematisch an Jungen vergangen haben. Das wurde vor wenigen Tagen bei einer Lesung bekannt - der Autor, eines der Opfer, hat seine damaligen Erlebnisse in einem Gedicht zur Sprache gebracht. Der 1991 verstorbene Pfarrer war für seine Verdienste, beispielsweise um die Wurmlinger Kapelle, zum Ehrenbürger von Rottenburg ernannt worden.

Keine Hinweise in Personalakte

Die von Bischof Gebhard Fürst eingesetzte Kommission zur Aufklärung von sexuellem Missbrauch in der Kirche hält die Aussagen des heute 60-jährigen Autors für glaubwürdig. "Seine Aussagen wurden inzwischen auch von anderen älteren Bürgern und Gemeindemitgliedern in Wurmlingen bestätigt", sagte Robert Antretter, Leiter der Kommission und früherer SPD-Bundestagsabgeordneter. Die hohe Wertschätzung, die der Pfarrer wegen seiner Verdienste um die Gemeinde Wurmlingen "bei vielen Älteren bis heute genießt, ist wohl auch der Grund dafür, dass die anderen Erfahrungen so lange verschwiegen worden sind". In seiner Personalakte finden sich nach Angaben der Diözese keine Hinweise auf Verfehlungen.

Mit sieben neuen Hinweisen auf sexuelle Übergriffe durch Priester der Diözese hat sich die achtköpfige Kommission bei ihrer turnusmäßigen Sitzung am Donnerstag in Rottenburg befasst. Drei der Priester leben noch und sind im Ruhestand, vier sind bereits verstorben. Die Vorwürfe bezögen sich durchweg auf Ereignisse zwischen 1950 und den frühen 70er Jahren, sagte Antretter. Auch sieben Ordenspriester und drei bei der Kirche beschäftigte Laien seien beschuldigt worden, zudem seien fünf anonyme Hinweise eingegangen. Die meisten der Beschuldigten können nicht mehr belangt werden, sie sind mittlerweile verstorben. Die Kommission habe die Informationen an die zuständigen Ordensgemeinschaften sowie an andere Diözesen zur weiteren Klärung weitergeleitet.

Enger mit Staatsanwaltschalt zusammenarbeiten

Bereits seit 2002 befasst sich die Kommission mit Verdachtsfällen in der Diözese. Von 2002 bis zur Enthüllung der Vorfälle in den Jesuitenschulen in Berlin und St.Blasien im Februar waren 23 Verdachtsfälle gemeldet worden, sagte Antretter. Fünf Beschuldigte mussten sich vor Gericht verantworten. Einer wurde freigesprochen, einer erhielt eine Geldstrafe, drei einen Strafbefehl. Auf die Frage, ob es Schätzungen zur Dunkelziffer gebe, antwortete er, darüber wolle er nicht spekulieren. "Da haben wir keine Vorstellung von."

Die Kirche erlebe eine Glaubwürdigkeitskrise wie seit Generationen nicht mehr, ließ Bischof Gebhard Fürst mitteilen. "Das erfüllt mich mit Trauer, mit Scham für die Täter und mit tiefem Mitempfinden für die Opfer." Jeder Verdachtsfall müsse aufgearbeitet, die Schuldigen bestraft werden. Den Opfern müsse Gerechtigkeit widerfahren.

Enger mit Staatsanwaltschalt zusammenarbeiten

Um Missbrauchsvorwürfe frühzeitig aufzudecken und zu verhindern, wollen die bayrischen Bischöfe künftig enger mit der Staatsanwaltschaft zusammenarbeiten. "Wir wollen alles tun, damit Aufklärung passiert, wir wollen jedem Verdacht nachgehen und ihn der Staatsanwaltschaft melden", erklärte der Münchner Erzbischof Reinhard Marx am Donnerstag im oberfränkischen Bad Staffelstein. Die Diözese Rottenburg ist in dieser Frage zurückhaltender. "Wenn die Kommission aufgrund kompetenter Expertise ihrer juristischen Mitglieder zu der Überzeugung kommt, dass ein Straftatbestand im Sinne des weltlichen Strafrechts vorliegt, drängt sie die Beschuldigten zur Selbstanzeige", sagte Antretter. Bleibe dies ohne Wirkung, erstatte sie selbst Anzeige. Dies sei bisher jedoch nicht notwendig gewesen. Nach Angaben der Diözese wurde bisher teilweise auf eine Anzeige verzichtet, wenn Opfer darum gebeten hatten.

Unterdessen hat auch die Evangelische Landeskirche in Baden ein Missbrauchstelefon eingerichtet. Ein erfahrener Psychotherapeut stehe zum Gespräch bereit. Zu erreichen ist er unter 01 76 / 96 54 14 96 oder per E-Mail unter peter.linzer@web.de.

Auch das Erzbistum Freiburg weist auf seiner Internetseite auf ein entsprechendes Telefon hin: 07 61 / 21 88 - 220 oder E-Mail: eugen.maier@ordinariat-freiburg.de