Ministerpräsident Winfried Kretschmann hält nichts von „überspanntem Sprachgehabe“. Foto: dpa/Sebastian Gollnow

„Schluss mit dem Gender-Unfug“, fordert der Verein Deutsche Sprache. „Lehrer*innen“, „Schüler_innen“, „Radfahrende“: solche Formen verhunzten das Deutsche. Auch ein prominenter Grüner sieht die Gendersprache kritisch.

Stuttgart - Baden-Württembergs Ministerpräsident Winfried Kretschmann (Grüne) will sich den Mund nicht von „Sprachpolizisten“ verbieten lassen. Auch wenn viele Behörden, Hochschulen und Organisationen längst verbindliche Leitfäden für geschlechtergerechte Sprache entwickelt haben: Den Trend zu sprachlicher und politischer Korrektheit beobachtet der Regierungschef mit großer Skepsis - und er warnt vor einem „Tugendterror“ im Umgang mit der Geschichte.

„Natürlich müssen wir darauf achten, dass wir in unserer Sprache niemanden verletzen, und Sprache formt unser Denken ein Stück weit“, sagte Kretschmann der Deutschen Presse-Agentur in Stuttgart. „Aber jeder soll noch so reden können, wie ihm der Schnabel gewachsen ist. Von diesem ganzen überspannten Sprachgehabe halte ich nichts.“

Kretschmann hält an Hannah Arendt fest

Der Grünen-Politiker räumte ein, dass es ihm nicht leichtfalle, stets auch die weibliche Form zu nennen, wenn er etwa von Zuschauern und Zuschauerinnen spreche oder von Polizisten und Polizistinnen. „Mit der Verwechslung von Genus und Sexus kann ich gar nichts anfangen, beuge mich aber zu einem gewissen Grad diesem Trend.“

Genus bezeichnet das grammatische Geschlecht, Sexus das biologische. Viele Leitfäden für geschlechtergerechte Sprache empfehlen, grammatisch männliche Formen wie „Lehrer“ nur noch für auch biologisch männliche Lehrer zu verwenden.

Unbeugsam zeigt sich Kretschmann im Umgang mit historischen Vorbildern. An seiner Lieblingsphilosophin hält er fest, obwohl sie unter Rassismusverdacht geraten ist. „Hannah Arendt war das nackte Gegenteil einer Rassistin“, betonte er. „Die Verschiedenheit von Menschen ist sozusagen das Grundlagenprogramm ihrer politischen Philosophie. Ob sie da jetzt irgendwelche Vorurteile hatte, die man zu ihrer Zeit über Afrikaner hatte, ist eine ganz andere Frage.“

„Tugendterror führt zu nichts Gutem“

Nach dem Tod des Afroamerikaners George Floyd bei einem brutalen Polizeieinsatz im Mai in den USA hat die Rassismusdebatte auch das Werk von Hannah Arendt (1906-1975) erfasst. Denn die Publizistin behauptete, dass Afroamerikaner selbst mitschuldig seien am Rassismus.

Kretschmann warnte vor einem Sturm gegen Denkmäler: „Ich bin ein ganz strikter Gegner von diesem Jakobinismus. Wir können die Geschichte nicht rückwärts bereinigen.“ Selbst der große Philosoph Immanuel Kant (1724-1804) sei zum Beispiel in seinem Frauenbild zu sehr ein Kind seiner Zeit gewesen. „Das sollten wir diesen großen Geistern nicht zum Vorwurf machen. Das finde ich unsinnig und arrogant. Wir wissen seit der Französischen Revolution, wohin der Tugendterror führt - zu nichts Gutem.“