Winfried Kretschmann zeigt sich beeindruckt vom Dom des heiligen Sava in Belgrad. Foto: Staatsministerium

Serbien will in die EU. Wie Ministerpräsident Winfried Kretschmann (Grüne) bei einem Besuch deutlich macht, wird Baden-Württemberg dem Balkanland, wo immer es geht, behilflich sein.

Belgrad - Als Ministerpräsident Winfried Kretschmann (Grüne) im Restaurant in der alten Festung von Belgrad zu rund 150 geladenen Gästen aus Deutschland und Serbien spricht, lässt er keine Zweifel aufkommen. „Der Balkan gehört zu Europa und Serbien in die Europäische Union“, sagt er. Kretschmann versichert, dass Baden-Württemberg dem Balkanland helfen wolle auf dessen Weg in die Europäische Union (EU). Serbien hofft, dem Verbund im Jahr 2025 beitreten zu können. Doch der Weg dorthin ist noch weit. Viele der nötigen Kriterien sind noch längst nicht erfüllt, zum Beispiel in den Kapiteln Rechtsstaatlichkeit oder Klimaschutz und Umwelt.

Mehr als hundert Mitreisende

Um sich selbst ein Bild von der Lage auf dem Balkan zu machen, ist Kretschmann in dieser Woche mit einer Delegation mit rund 120 Teilnehmern aus Baden-Württemberg erst nach Serbien, später dann nach Kroatien und Bosnien-Herzegowina gereist. Neben den Staatssekretärinnen Theresa Schopper (politische Koordination), Petra Olschowski (Wissenschaft und Kunst), Katrin Schütz (Wirtschaft) und Staatssekretär Andre Baumann (Umwelt) sind Abgeordneten aller Landtagsfraktionen sowie Vertreter aus Wirtschaft, Wissenschaft sowie von Hilfsorganisationen dabei.

Seit 2014 laufen Serbiens Verhandlungen über einen Beitritt in die Europäische Union. Der serbische Staatspräsident Aleksandar Vucic bekennt sich klar dazu, alle notwendigen Reformen für den Sprung in die EU auch anpacken zu wollen. Weil er einst ein Vertrauter des früheren Präsidenten Slobodan Milosevic war – eine der Schlüsselfiguren in den Jugoslawienkriegen –, wirkt es jetzt, als häute sich der starke Mann Serbiens: von einem Ultra-Nationalisten, als der er in den 90er Jahren galt, zu einem europaoffenen Modernisierer. Offenbar hat Vucic erkannt, dass eine nationale Abschottung dem Gros der serbischen Bevölkerung keinen Wohlstand bringen würde.

Kretschmann berichtet von Versöhnung mit Frankreich

Auch in der Kosovo-Frage schlägt er inzwischen moderatere Töne an. Die Serben lehnen es bislang ab, die im Februar 2008 verkündete Unabhängigkeit seiner einst südlichen Provinz anzuerkennen. Dies müsste Serbien aber, um der EU beitreten zu können. Serbiens Präsident sitzt in der Zwickmühle. Bei einem Abendessen haben Vucic und Kretschmann zwar nicht über den Kosovo gesprochen – allerdings hat der baden-württembergische Regierungschef auf Vucic’ Wunsch hin von der Versöhnung zwischen Deutschland und Frankreich erzählt. Offensichtlich grübelt Vucic, wie er eine Anerkennung einfädeln kann, ohne dabei den Rückhalt der stolzen Bevölkerung zu verlieren.

Die Gräueltaten in den Kriegen der 90er Jahre und deren nicht erfolgte Aufarbeitung belasten die Menschen auf dem Balkan noch immer. Zwei weitere Probleme sind die hohe Arbeitslosigkeit, die bei 15 Prozent liegt, und die Vetternwirtschaft. Viele junge Menschen sehen kaum eine Perspektive in ihrer Heimat. Sie verdienen – sofern sie überhaupt einen Job finden – im Schnitt knapp 400 Euro netto pro Monat und fühlen sich vom politischen Umfeld erdrückt. Ohne ein parteipolitisches Engagement und Kontakte komme man beruflich kaum voran, heißt es hinter vorgehaltener Hand. Viele von ihnen zieht es deshalb weg aus Serbien – insbesondere nach Deutschland, aber auch nach Skandinavien oder Österreich. Und sind sie einmal weg, kehren die wenigsten von ihnen zurück.

Hoffnung auf Investitionen aus Baden-Württemberg

Die einzige Lösung, um zu verhindern, dass gut ausgebildete Serben abwandern, ist der eigene ökonomische Aufschwung. Martin Knapp von der Außenhandelskammer in Belgrad unterstreicht das. „Die Re-Industrialisierung ist die einzige Chance Serbiens“, sagt er. Nur so könne man erreichen, dass die Menschen in Serbien bleiben. Dessen ist sich auch die Regierung Vucic bewusst. „Wir brauchen mehr und bessere Arbeitsplätze“, sagt Serbiens Premierministerin Ana Brnabic in ihrer Rede an die Delegation – wohl auch in der Hoffnung, dass baden-württembergische Unternehmen noch mehr im Land investieren.

Im vergangenen Jahr betrug die Handelsbilanz zwischen Serbien und Baden-Württemberg 600 Millionen Euro. Damit ist der Südwesten schon heute einer der wichtigsten Handelspartner Serbiens. „Deutschland kann ohne Serbien, aber Serbien ohne Deutschland nur sehr, sehr schwer“, sagt Vucic. Kretschmann und er haben deshalb vereinbart, die wirtschaftliche Zusammenarbeit ausbauen zu wollen.

Bosch investiert

Bosch hat in Serbien bereits 70 Millionen Euro in eine Produktionsstätte investiert. „Und das werden nicht die letzten sein“, sagt der Bosch-Verantwortliche für Osteuropa, Klaus Peter Fouquet. In einem Werk in Pecinci, 30 Kilometer nordwestlich von Belgrad, stellen 1500 Mitarbeiter Scheibenwischanlagen für Autos und Wischblätter für den internationalen Ersatzteilmarkt her. Die Triebkraft, nach Serbien zu gehen, sei „die ausreichend verfügbare Zahl an qualifiziertem Personal“ gewesen, sagt Fouquet.

Seit 2014 bildet Bosch in Zusammenarbeit mit dem serbischen Bildungsministerium, der Gesellschaft für internationale Zusammenarbeit (GIZ) und einer Technikschule in Pecinci Heranwachsende auf dem dualen Weg als Mechaniker und Elektriker selbst aus. Die ersten 20 Absolventen seien alle übernommen worden, berichtet die kaufmännische Leiterin des Werks, Stefanie Hillmann. Duale Ausbildungen gibt es in Serbien sonst fast nirgends.

Mittelständler knüpfen erste Kontakte

So weit wie Bosch sind viele Mittelständler noch nicht. Im Zuge der Reise haben die Wirtschaftsvertreter unter den Delegationsteilnehmern aber erste Kontakte zu möglichen Geschäftspartnern geknüpft. Auch das ist der Sinn, wenn der Ministerpräsident auf Reisen geht. Er dient den einheimischen Firmen als Türöffner. Die Rückmeldungen der Unternehmer seien sehr positiv, sagt der Geschäftsführer von Baden-Württemberg International, Kai Schmidt-Eisenlohr.

Der Delegationsteilnehmer und Ulmer Unternehmensberater Nenad Cirovic unterstützt deutsche Firmen beim Markteintritt in Serbien. „In Serbien steckt Potenzial“, sagt er. Cirovic ist in Belgrad geboren, in Deutschland aufgewachsen, er hat in beiden Ländern studiert und kennt sie sehr gut. Das Problem sei nur, dass Serbien sein Potenzial noch nicht entfalten könne. Die Herausforderungen seien sehr komplex. Deshalb brauche das Land „Impulse von außen“. Kretschmanns Besuch könnte zumindest ein kleiner gewesen sein.