Mineralbad Berg – die Innenstadtoase ist wieder geöffnet Foto: Uwe Ditz/4a Architekten

Vier Jahre Bauzeit, 34 Millionen Euro teuer – doch jetzt ist das neue alte Mineralbad Berg wieder offen. Und die Besucher sind „Zurück im Glück“, findet „Stuttgarter Nachrichten“-Titelautor Nikolai B. Forstbauer.

Stuttgart - Ein offenes Tor? Kann eine Einladung sein. Ein offenes Tor zur Noch-Baustelle Mineralbad Berg ist – eine Woche vor der offiziellen Wiedereröffnung am 5. Oktober – eine Versuchung. Schließlich soll das Wasser, wie Stuttgarts Oberbürgermeister Fritz Kuhn jüngst wissen ließ, „prickeln wie Champagner“.

„Toll ist falsch, schön ist es “

Zwei schnelle Schritte – drin im neuen alten Mineralbad Berg. Manfred Hansen ist begeistert: „Was für ein Park! Ist mir nie so groß vorgekommen. Und überhaupt – sieht toll aus, das Bad.“ Dann, fast schon wieder draußen, schaut er noch einmal auf. „Nein“, sagt er, „,toll’ ist falsch – schön ist das Bad geworden, richtig schön“.

Zwei Jahre längere Bauzeit

Fritz Kuhn (Grüne) wird es gerne hören. 2015 hatte der Gemeinderat die Sanierung des Mineralbades beschlossen, im Oktober 2016 begann die Sanierung. Zwei Jahre sollte sie dauern, im Dezember 2018 aber war das Berg noch eine „wüste Baustelle“, erinnert sich Kuhn. Dafür ist der Rathauschef nun „echt begeistert“. Vor einigen Tagen schon hat er seinen Rundgang gemacht – „und viele tolle Details entdeckt“.

Ein gutes Stichwort. „Atmosphäre gestalten, Identität verleihen, Aufenthaltsqualität schaffen“ sind zentrale Stichworte für das Selbstverständnis des Stuttgarter Büros 4a Architekten – und sie ziehen sich als eingelöste Leitlinien durch die gesamte Herkulesaufgabe Mineralbad Berg.

Stuttgarter Büro 4a Architekten brilliert

Das war schon bei einem Rundgang im Mai 2019 spürbar – und Matthias Burkart, geschäftsführender Gesellschafter von 4a Architekten, registrierte erleichtert eine Welle der Sympathie für die Arbeit seines Büros. „Wir haben uns nichts leicht gemacht“, sagte Burkart seinerzeit – „und es ist natürlich toll, wenn das auch gesehen wird“. Nun, 17 Monate später, ergibt sich ein buchstäblich bewegtes Bild: Linien reihen sich, ermessen Räume, fassen Flächen, formen in der Horizontalen das Außenbecken wie die Innenbecken und erheben sich doch unmittelbar in die Vertikale, rhythmisieren die um eine Warmbadehalle verlängerte bodenhohe Glasfront gleich einem geometrischen Bild.

Auch Danneckers Nymphen sind zurück

Das „Gesamtkunstwerk Mineralbad Berg“ beschwor unsere Zeitung 2016 in den letzten September-Tagen vor der Sanierung. Nun ist es ganz anders und vielleicht gerade deshalb auch wieder erlebbar – die steinerne „Nymphengruppe“ und der noch immer kokette Jüngling des einstigen württembergischen Hofbildhauers Johann Heinrich Dannecker (1758–1841) inklusive.

Fritz Kuhn hebt auf anderes ab, wenn er sagt: „Das Berg ist ein ganz besonderes Bad. Mit einer eigenen Philosophie.“ Der OB zielt auf die Identifikation der Berg-Freunde. Sie erst begründete ja auch das politische Nein zum Abriss, das Ja zur Sanierung.

Gegründet 1856

Der Hofgärtner Friedrich Neuner gründete das Mineralbad einst, 1856 war das, und vor der Übernahme durch die Stadt Stuttgart im Jahr 2006 war das Bad über fünf Generationen in privater Hand. Paul Blankenhorn vor allem ist das vom „Neuner“ zum „Berg“ mutierte Mineralbad in seiner bis 2016 erlebbaren Struktur zu verdanken. 1997 ist er gestorben, und doch reichte vor der Sanierung schon die Erinnerung an ihn, um beim Blick auf das Mineralbad Berg vor falschen Sepia-Farben und beifallheischender Melancholie zu warnen.

Paul Blankenhorn, das war der Mann im dunkelblauen Anzug, darunter das hellblaue Hemd mit stets geschlossenem oberstem Knopf und ein dünner Pullover mit V-Ausschnitt, war ein Herr auf Bad-Wache, leicht vornübergebeugt schreitend, die Hände hinter dem Körper. Blankenhorn aber war es auch, der den Maler Max Ackermann – neben dem international agierenden Willi Baumeister wichtigster Vertreter der lyrischen Abstraktion im Südwesten – mit dem 1959 in die Decke des Kassenraumes eingebauten Glasfenster beauftragte und der nicht weniger über den Zustand seiner Rosen wachte denn über das Verhalten der Berg-Gäste.

Paul Blankenhorn hätte seine Freude

Dieser Tage, das lässt sich sagen, hätte Paul Blankenhorn viel Freude. Erinnert sich da noch jemand daran, dass dem Berg 2010 /2011 fast das unwürdige Ende als Wurmfortsatz eines Gesundheitszentrum der exklusiven Art gedroht hätte? Wo doch, wie Petra Olschowski (Grüne), Staatssekretärin im baden-württembergischen Ministerium für Wissenschaft, Forschung und Kunst, sagt, „das Berg immer ein wirklicher Ort der Begegnung ganz unterschiedlicher Menschen war“. „Dass diese ganz eigene Qualität sich wieder zeigt und erlebbar wird“, wünscht sich Olschowski.

Sie wird nicht enttäuscht werden. Das gern missbrauchte Wort Aufenthaltsqualität bekommt im „neuen Berg“ einen tief gründenden Klang. Besonders deutlich in der Kaltbadehalle, aber auch in den nach wie vor nach Geschlechtern getrennten Saunabereichen. Spektakulär gar ist der Blick aus der neuen Gymnastikhalle. Die Stadt? Ist irgendwo. Hier gibt es nur Wasser und Grün.

Schwimmhalle wird zum Prunkstück

„Wer hier badet“, sagt Stuttgarts OB Kuhn über das Berg, „ist Bergianer und nicht einfach Schwimmbadbesucher“. Das Schöne: Matthias Burkarts 4a-Team könnte viele verführen, die Identität der „Bergianer“ anzunehmen. Verblüffend selbstverständlich wirkt alles am und im sanierten Mineralbad Berg. Das erschließt sich auch aus der Bestandslogik. Schmale Stützen und schlanke Treppen mit leichten Geländern sieht der aktuelle Verordnungskatalog für Neubauten nicht vor. Und offensichtlich haben 4a Architekten das Weniger ist mehr auch sonst ernst genommen. Helles Holz, viel Glas und schmale Stahlstreben – so wird die Kaltbadehalle mit ihrer erneut fast privaten Beleuchtung zum Prunkstück.

Nicht weniger fein sind die Abtreppungen hin zum – formal unveränderten – Außenbecken gehalten, und wer mag, kann auf dem Weg zu den altbekannten Holzpritschen und fein verschnürten Liegen draußen auch jetzt wieder die hölzernen Seebad-Umkleiden nutzen. Hier ist man zurück im Glück.

Ist das Wasser gar „hirnheilend“?

„Das Mineralbad Berg“, schreibt Joe Bauer, langjähriger Kolumnist unserer Zeitung, in seinem Erfolgsbuch „Stuttgart – my Cleverly Hills“, „wurde erfunden, um uns zu trösten“. Jetzt will Bauer – „besonders gespannt bin ich, wie sich altes Weihwasser in neuen Schläuchen anfühlt“ – wiederkommen. Seine Erwartungen könnten kaum größer sein. „Besonders schön finde ich jetzt schon“, sagt Bauer, der mit seinem „Flaneursalon“ am 18. Oktober im Theaterhaus Stuttgart gastiert, „dass es in dieser Pandemie-Krise ganz ohne Verschwörungsesoterik die Illusion von einer hirnheilenden Quelle gibt“.

Alles gut, erhellt und erhellend also im neuen alten Berg? Der Blick auf die (neuen) Rosensträuche verrät eine Spur Unsicherheit. Fast ein wenig unbeholfen wirken sie, selbst der eigenen Farbe, diesem etwas zu orangenen Rot misstrauend.

Und tatsächlich zeigt sich jetzt, da alles, was sich auf Höhe des Außenbeckens abspielt, fein gedacht und gemacht ist, das Fatale eines Denkens, das die Blankenhorn-Villa mit der Sommergastronomie nicht als Teil der Sanierung des Mineralbades verstanden hat.

Eine Warnung am Rande hält das „Oben“ schon bereit: Das (kaum mehr bespielbare) Faustballfeld hat dem Thema Beachvolleyball Platz gemacht. Ein gestalterischer Fremdkörper, den der Stuttgarter Kunstvermittler Tobias Wall kaum im Auge haben dürfte, wenn er sagt: „Vielleicht könnte man das neue Berg zum Anlass nehmen, sich insgesamt Gedanken über die Aufwertung des Neckarufers zu machen“. Und uns zuruft: „Freiheit für den Neckar!“

Kommt ein schlichter Pavillon?

Vielleicht aber ist das verlorene Schattenfeld – verschwunden sind die Kastanien auch an der Terrassen-Längskante – der richtige Sidekick, um die Bedeutung der Frage Blankenhorn-Villa (deren Abriss der Gemeinderat beschlossen hat) und Sommergastronomie für das Gesamtszenario Mineralbad Berg zu verstehen. Die Planung von 4a Architekten liegt längst vor – angelehnt an den Hallenbau der Innenbecken sieht sie einen Pavillon vor.

Weniger bleibt mehr. Ein wichtiges Signal. Vergesse niemand, dass sich an das neue alte Berg noch ein Längsriegel andocken wird. Zwar haben sich die Kräfteverhältnisse zwischen Bad und geplantem Gesundheitszentrum umgekehrt, das Berg wird fraglos souverän bleiben. Welche Rolle aber die Perfektion des Ganzen spielt, zeigt die völlig ungelöste Situation des wie Paul Blankenhorn es nannte „Caférestaurants“ auf der „Gartenterrasse“ – als deren böse Rückwirkung noch mindestens drei Jahre eine Container-Versammlung für abrufbare Sommergastronomie ungestalterische Mahnwache hält.

Zeiten und Preise

Eröffnung ist am 5. Oktober.
Durch die Pandemie gelten auch im wieder eröffneten Mineralbad Berg Zeitfenster – Montag bis Sonntag 9 bis 13, 13.30 bis 17.30 und 18 bis 22 Uhr. Die Tickets kosten für ein Zeitfenster pro Person und Tag 8 Euro (ermäßigt 6,40 Euro). Kinder bis einschließlich 6 Jahre zahlen keinen Eintritt. Die Saunabereiche für Männer und Frauen bleiben wegen der Corona-Pandemie noch geschlossen.