Während Oberarzt Mirko Zimmermann (hinten rechts) den OP-Draht einführt, geht der Blick zum Monitor, auf dem der feine Draht genau zu sehen ist. Foto: Lichtgut/Oliver Willikonsky

Das Marienhospital nimmt am Montag, 11. September, den nach eigenen Angaben modernsten Operationssaal der Region in Betrieb: einen sogenannten Hybrid-OP, der zwei Operationsmethoden in der Gefäßchirurgie ermöglicht. Das Besondere ist das stationäre Röntgengerät.

Stuttgart - Der Patient liegt schon seit Stunden auf dem OP-Tisch, als sich die Gefäßchirurgen des Stuttgarter Marienhospitals bereit machen für den Eingriff. Doch kein Grund zur Sorge – dieser Patient könnte noch viel länger warten. Er ist nicht aus Fleisch und Blut, sondern ein Silikonblock, extra gefertigt für ein Training im neuen Hybrid-Operationssaal. Auf die Arbeit mit der neuen Technik hat das Ärzteteam von Klaus Klemm, Ärztlicher Direktor der Klinik für Gefäßchirurgie des Krankenhauses, schon länger hingefiebert.

An diesem Montag wird der Operationssaal in Betrieb genommen. Nun – wenige Tage zuvor – machen sich die Mediziner mit dem neuen, rund eine Million Euro teuren technischen Gerät vertraut und üben Operationen an Plastikmodellen. Das Marienhospital erweitert seit 2012 für insgesamt 40 Millionen Euro seine OP- und Intensivabteilung. Teil davon ist der Hybrid-OP. Es sei der modernste Operationssaal in der Region, berichtet Pressesprecher Reinhard Kruse. Kein anderes Haus in Stuttgart habe einen Hybrid-OP in der Gefäßchirurgie.

85 Quadratmeter ist der neue OP groß

„Wir vereinen hier zwei Welten“, erklärt Chefarzt Klemm. Offene Operationen seien im Hybrid-OP genauso möglich wie minimalinvasive Eingriffe, daher auch die griechische Bezeichnung Hybrid, die übersetzt „aus Verschiedenem zusammengesetzt“ bedeutet. Die minimalinvasive Methode wird auch Schlüssellochchirurgie genannt. In der Regel ist nur ein winziger Schnitt nötig ist, statt den Körper mit großen Schnitten zu öffnen. Das gilt als schonender für den Patienten, der dabei auch weniger Blut verliert.

Das Herzstück des Operationssaals, der mit 85 Quadratmetern deutlich größer ist als sein Vorgänger (35 Quadratmeter): ein stationäres Röntgengerät, das deutlich schärfere Bilder liefern soll als die zuvor benutzten mobilen Röntgengeräte. Die deutlich feinere Auflösung der Bilder ermögliche Eingriffe, die man vorher nicht übernommen hätte, sodass man ganz andere Patientengruppen behandeln könne, erklärt der Leitende Oberarzt der Klinik, Carsten Weiss.

„Die Drähte, die wir benutzen, sind so zart, die sieht man bei der schlechteren Bildauflösung gar nicht“, berichtet der Gefäßchirurg. Gerade hat er sich im angrenzenden Kontrollraum auf den dortigen Monitoren die Patientendaten, die dem Modell zugrunde liegen, in Ruhe angesehen. Nun ist er bereit für die Trainingseinheit, wobei er diesmal nicht der Hauptoperateur ist, sondern der Oberarzt Mirko Zimmermann.

Aneurysmen können platzen, dann verblutet der Patient

Die Aufgabe: In dem Silikonblock befindet sich eine Aorta-Nachbildung, wie sie im Bauch eines echten Patienten vorkommen kann. Sie ist krankhaft erweitert. Die Schwierigkeit liegt darin, nicht nur eine Gefäßprothese minimalinvasiv in das Modell einzuführen, die sich innerhalb der erkrankten Bauchschlagader entfaltet. Die Prothese muss auch so platziert werden, dass die Blutzufuhr zu den Nieren tadellos funktioniert. Denn das Aneurysma hat sich an einer komplizierten Stelle gebildet. Über entsprechende Fenster in der Prothese müssen Zugänge zu den Nierenarterien gelegt werden. Werden Aneurysmen nicht behandelt, können sie platzen. Dann verblutet der Patient. Albert Einstein zum Beispiel ist einst an einem geplatzten Aneurysma gestorben.

„Fangen wir an“, heißt es plötzlich – Carsten Weiss gesellt sich zu Mirko Zimmermann an den OP-Tisch. Wie alle im Raum tragen die beiden Bleiwesten, -schürzen und Halsabdeckungen. Bleiglasbrillen schützen die Augen vor der Röntgenstrahlung. Insgesamt sollen die Mitarbeiter durch die neue Technik weniger Strahlung ausgesetzt sein, da das Gerät eine größere Fläche abdeckt und somit seltener pro OP geröntgt werden muss.

„Den Steuerring ganz langsam kommen lassen“

Der Gefäßchirurg Jürgen Falkensammer, der in einem Krankenhaus in Wien bereits mit der Technik arbeitet, steht ebenfalls am OP-Tisch. Er weist die beiden an. Der Oberarzt Zimmermann fährt zunächst über eine Steuerkonsole das Röntgengerät so über den Silikonblock, dass die Aorta gut auf dem Bildschirm zu sehen ist. Im alten OP musste ein Mitarbeiter das Röntgengerät per Hand in Position schieben, das funktioniert jetzt alles per Knopfdruck und Joystick.

Über zwei Zugänge (beim Menschen wären es die Leisten) schieben die Ärzte Drähte in den Silikonblock, zuerst einen flexiblen, dann einen steifen Draht. Auf dem Bildschirm kann man sehen, was im Körper passiert: Langsam arbeitet sich ein wenige Millimeter breiter Streifen die Aorta nach oben: die Gefäßprothese. „Sie ziehen den Steuerring und lassen ihn nicht mehr los – auf Anschlag“, weist Falkensammer Zimmermann an. Er klingt wie ein Fahrlehrer, als er das Kommando gibt, „den Steuerring ganz langsam kommen“ zu lassen. Schon ist ein feiner Ring ist am oberen Ende der Aorta zu sehen. Der Wiener Arzt ist zufrieden: „Die Prothese ist gut freigesetzt.“

Die Bleiwesten lasten schwer auf den Schultern

Die Bleiwesten lasten schwer auf den Schultern, doch die Operation ist noch lange nicht vorbei. Die nächste Herausforderung: einen Draht durch eines der Fenster der Prothese in die linke Nierenarterie zu führen. Das Ganze erinnert ans Einfädeln in ein Nadelöhr, nur erschwert: als hätte man zwar den Faden in der Hand, aber nicht die Nadel. Das ganze Team jubelt, als es klappt. „Die linke ist geschafft, aber die rechte Nierenarterie ist richtig schwierig“, sagt die Assistenzärztin Carolin Eck angesichts eines extremen Winkels, der als nächstes überwunden werden muss. Auch sie wird gleich an den OP-Tisch wechseln. Alle elf Ärzte der Gefäßchirurgie durchlaufen das Training. Mehr als eine Stunde ist vergangen. In Zukunft werde es deutlich schneller gehen, beruhigt Jürgen Falkensammer.

Das Marienhospital: seit 127 Jahren in Stuttgart

Gefäßchirurgie: Gefäßchirurgen behandeln vor allem Verengungen und Erweiterungen der Arterien und Venen, aber auch der Schlagader – egal ob am Hals, in der Brust, in der Bauchhöhle oder im Bein. Auch Krampfadern werden von den Spezialisten behandelt. Viele Patienten sind Diabetiker oder Raucher, die oft an Gefäßerkrankungen leiden. Am Marienhospital gibt es seit dem Jahr 2008 eine Abteilung für Gefäßchirurgie. Diese verfügt über 34 Betten.

Klinik: Das Marienhospital gehört zur Vinzenz von Paul Kliniken GmbH; Gesellschafter sind die Barmherzigen Schwestern vom heiligen Vinzenz von Paul in Untermarchtal. Das 1890 eröffnete Marienhospital ist ein Krankenhaus der Zentralversorgung mit 761 Betten. Weiterhin kümmern sich rund 50 Ordensschwestern um die Patienten. Pro Jahr lassen sich im Marienhospital rund 32 000 Patienten stationär und 73 000 Patienten ambulant behandeln.