Im Herbst 2014 jagte die schwedische Marine ein mutmaßlich russisches U-Boot in seinen Gewässern. Foto:  

Auf mehr US-Präsenz in Europa reagiert das russische Militär immer aggressiver. Im Kalten Krieg wurde die Gefahr durch Entspannungspolitik und gemeinsame Absprachen entschärft.

Washington/Moskau - Die US-Regierung beklagte sich ein neues hoch riskantes Flugmanöver eines russischen Kampfjets im internationalen Luftraum über der Ostsee: Am Donnerstag vergangener Woche machte nach US-Angaben ein russisches Mehrzweckkampfflugzeug vom Typ SU-27 eine Luftrolle über einem Aufklärungsflugzeug RC-135 U der US-Luftwaffe. Dabei flog der russische Jet bis auf 16 Meter an das US-Flugzeug heran.

„Im vergangenen Jahr hat es immer wieder Zwischenfälle gegeben, bei denen russische Militärflugzeuge so nahe an andere Flugzeuge oder Schiffe herankamen, dass wir uns ernste Sorgen um die Sicherheit machten“, sagte Kapitän Daniel Hernandez, Sprecher des Europa-Hauptquartiers (Eucom) in Stuttgart. Moskau bestreitet die gefährliche Annäherung. Der Zwischenfall folgte nur wenige Tage nachdem ein russischer SU-24-Bomber über das Deck des US-Zerstörers USS Donald Cook hinweg raste.

Hochrisiko-Zwischenfälle

Seit Moskaus Eingreifen auf der Halbinsel Krim und in der Ostukraine hat die Zahl solcher Hoch-Risiko Zwischenfälle zugenommen. Dabei haben es die Russen keineswegs nur auf die US-Streritkräfte in Europa abgesehen: So veranstaltete die schwedische Marine im Herbst 2014 die größte Jagd nach einem mutmaßlich russischen U-Boot seit dem Ende des Kalten Krieges. Und im Dezember 2014 meldeten wiederum die schwedischen Behörden den Beinahe-Zusammenstoß eines russischen Militärjets mit einem schwedischen Passagierflugzeug mit 132 Menschen an Bord.

Erzürnt über die verstärkte US-Militärpräsenz in Osteuropa hat Russland aber vor allem amerikanische Flugzeuge und Schiffe im Visier.

Moskau gefällt es nicht, dass die USA verstärkt im russischen Hinterhof operieren. Die USA und seine Nato-Verbündeten sorgen sich ihrerseits über die zunehmenden russischen Provokationen, die wachsende Zahl an russischen U-Boot-Operationen und die ausgebaute russische Militärpräsenz in Kaliningrad, wo der Kreml Boden-Luftraketen mit einer mit mehreren hundert Kilometern Reichweite in Stellung bringt. Die Nato beschloss im Februar die Umrisse einer neuen Abschreckungsstrategie und wird im Juli wohl eine multinationale Truppe vorschlagen, die zeitweise in Polen und dem Baltikum stationiert werden soll.

Auch Washington provozierte Moskau

Riskante Zwischenfälle und Provokationen sind keineswegs neu: „In gewisser Weise war die Geschichte des Kalten Krieges eine von Provokationen“, sagt Georg Schild, Zeithistoriker an der Universität Tübingen. Und: „Des einen Stärke-Zeigen ist des anderen Provokation“, fügt er hinzu. In seinem Buch „1983. Das gefährlichste Jahr des Kalten Krieges“ analysiert er gleich mehrere Beispiele, in denen auch Washington mehrfach die damals noch sowjetsche Seite herausforderte : So drang etwa im Herbst 1981 ein amerikanisch-britisch-kanadischer Flottenverband unbemerkt ins sowjetische Nordmeer ein. US-Kampfbomber flogen in den 80er Jahren regelmäßig Scheinangriffe auf die Sowjetunion, um deren Luftabwehr herauszufordern und nach Schwachstellen in der Luftraumüberwachung zu suchen.

Am 1. September 1983 kam es so zu einer tragischen Fehleinschätzung der Russen, als zwei sowjetische Abfangjäger das koreanische Passagierflugzeug KAL 007 mit 269 Menschen an Bord abschoss. Die sowjetischen Militärs waren fest davon überzeugt, dass es sich bei der koreanischen Maschine, die rund 600 Kilometer vom eigentlichen Kurs abgekommen war und ohne Positionslicher flog, um ein US-Spionageflugzeug handelte.

Neue Entspannungspolitik nötig

Zahlreiche Beinahezusammenstöße führten dazu, dass Nato und Russen formelle und informelle Sicherheitsabsprachen trafen, die regelten, wie sich Flugzeuge und Schiffe des westlichen Bündnissen und der Russen zu verhalten hätten, wenn sie im Himmel und auf See aufeinandertrafen. Doch wichtiger noch: In seiner zweiten Amtszeit leitete ausgerechnet der republikanische Hardliner- Präsident Ronald Reagan einen Politikwechsel ein. Abschreckung alleine könne nicht das Ziel der US-Politik sein, sagte Reagan am Vorabend der Konferenz über Vertrauensbildung und Abrüstung in Europa (KVAE) in Stockholm im Januar 1984. Reagan schlug eine Verringerung der Atomwaffenarsenale vor und wollte „gefährliche Missverständnisse und Fehleinschätzungen“ reduzieren. „Im Grunde bräuchte man heute so etwas wie eine neue KSZE“, meint Historiker Schild mit Blick auf die vertrauensbildende Wirkung der Konferenz über Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa. Die Chancen dafür sind derzeit aber gering.