Am Montag schlug Nick Kyrgios im Doppel auf. Foto: Baumann

An kaum einem Tennisprofi scheiden sich die Geister wie am Australier Nick Kyrgios. Für die einen ist er ein echter Typ – andere halten die Art des 24-Jährigen für untragbar.

Stuttgart - Für die einen ist er ein Typ in der Tradition eines Jon McEnroe, einer der letzten nicht „weichgespülten“ Tennisprofis auf der Tour – für andere wiederum ist er untragbar. Ein ungehobelter Flegel, der eigentlich nichts auf dem Tennisplatz verloren hat. Rafael Nadal spricht ihm gar „Respekt für das Spiel und den Gegner“ ab. Die Rede ist vom 24-jährigen australischen Tennisprofi Nick Kyrgios. Sein Talent ist ebenso unbestritten wie sein überbordendes Temperament, das ihm sportlich so oft im Weg steht, wie es ihm Sympathien seitens der Fans bringt.

Episches Match zwischen Kyrgios und Federer

In dieser Woche steht der Australier im Hauptfeld des Stuttgarter Mercedes-Cup. Im Vorjahr zog er in das Halbfinale des mit 754 540 Euro dotierten Rasenturniers ein, wo er sich nach großem Kampf dem späteren Turniersieger Roger Federer geschlagen geben musste. „Das war ein episches Match“, sagt Kyrgios. Für ihn gehe es auf dem Killesberg darum, die kurze Rasensaison zu genießen und sich vor Wimbledon in die bestmögliche Verfassung zu spielen. Federer gehört übrigens zu jenen Stars, die zumindest in der Öffentlichkeit die schützende Hand über Kyrgios halten. Als der Aussie beim Masters in Rom vor einigen Wochen nach einem Disput mit dem Schiedsrichter disqualifiziert wurde, einen Schläger Richtung Publikum warf und wutentbrannt vom Court stürmte, war es Federer, der sich gegen eine Sperre für das Enfant terrible aussprach.

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Das ist die eine Seite von Kyrgios: Der Vulkan, der jederzeit ausbrechen kann und sich damit die Chance verbaut, nach ganz vorne in die Weltspitze zu stoßen. Dem seitens der Profitennisorganisation ATP gar eine Sperre drohte, weil in der heilen weißen Tenniswelt Eskapaden und Wutausbrüche gegen das Publikum und die Kontrahenten schlicht unerwünscht sind.

Genialität und Wahnsinn

Und dann gibt es noch die andere Seite des Australiers: die geniale, die ihn zu den talentiertesten Spielern auf der Welt zählen lässt. Die er in den Augen vieler Experten und Profikollegen aber viel zu selten zeigt. In Acapulco gewann er im März seinen bislang einzigen ATP-Titel in diesem Jahr. Auf dem Weg dorthin schlug er Rafael Nadal, Stan Wawrinka und John Isner, bevor er im Endspiel dem deutschen Weltmeister Alexander Zverev keine Chance ließ. „Du bist der wahre Champion“, sagte Zverev geradezu ehrfurchtsvoll, ob des überragenden Spiels seines Kontrahenten. Drei Top-zehn-Spieler in einer Woche besiegt – darauf wartet manche ein Profi Zeit seiner Karriere und zeigt, welch ungeheures Potenzial im Australier schlummert. Für Judy Murray, in Großbritannien für die Ausbildung einiger Toptalente zuständig und die Mutter vom dreifachen Grand-Slam-Sieger Andy Murray, ist er schlichtweg „ein Genie“.

Für Murray ist er ein „Genie“

In Stuttgart schlug Kyrgios am Montag zunächst einmal in der Doppelkonkurrenz auf, ehe er am Dienstag mit dem Match gegen den Italiener Matteo Berrettini in das Einzelturier einsteigt. Und auch an der Seite seines Landsmannes Matt Reid zeigte sich die gesamte Bandbreite des eigenwilligen Australiers. Ein unvermittelter Aufschlag von unten, ein feines Händchen bei einem genialen Volleystopp, das geradezu kindliche Grinsen, wenn ihm ein solcher Schlag gelingt. Die Zuschauer auf dem Killesberg hatten sichtlich Freude an der aktuellen Nummer 36 der Welt.

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Aber der Vulkan brodelt auch beim vermeintlich unbedeutenden Doppel gegen die beiden Kroaten Nikola Mektic und Franko Skugor. Nach einem glücklichen Netzroller gibt es nicht die obligatorische Entschuldigung, sondern einen Urschrei und die Faust in Richtung der Gegner, die sich irritiert abwenden. In Stuttgart scheinen ihm die Fans das aber nachzusehen – anstatt Pfiffe, die es auf der Tour auch schon regelmäßig gegen ihn gab, gab es Gelächter und Beifall für das australische Duo.

Fannähe beim Mercedes-Cup

Nach dem Match zeigte er sich dann von seiner feinsten Seite: Während seine drei weitestgehend unbekannten Mit- und Gegenspieler längst im Clubhaus des TC Weissenhof verschwunden waren, gab Kyrgios noch geduldig Autogramme, posierte für Selfies und scherzte mit einigen australischen Fans. In der Heimat ist Kyrgios ein Star. Die Australier lechzen nach einem Grand-Slam-Sieger, den es seit Lleyton Hewitt 2002 nicht mehr gab. Daher sieht man ihm sein überbordendes Temperament dort immer noch nach.

Kyrgios selbst ist gewillt, seine Emotionen künftig besser im Griff zu haben: „Es heißt ja, jede Publicity ist gute Publicity – aber das sehe ich anders“. Er arbeite hart daran, dass ihm Ausbrüche wie in Rom nicht mehr passieren. Und wer weiß? Wenn ihm das gelingt, könnte er tatsächlich zu einem echten (Sieger-)Typen werden – selbst in den Augen jener, die ihn am liebsten nicht auf der Tour sehen würden.

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