Die Bundesbürger unternahmen 2017 laut Fachanalysen fast 90 Millionen Urlaubs- und Kurzreisen. Foto: dpa

Der Streit mit Reiseveranstaltern bei Pauschalreisen kann bald ohne teuren Gerichtsprozess geklärt werden. Noch sperren sich Tui & Co. gegen eine neutrale Schlichtungsstelle. Geraten sie unter Zugzwang durch Online-Anbieter?

Stuttgart - Bei Ärger im Pauschalurlaub ist Hilfe in Sicht. Voraussichtlich ab Anfang nächsten Jahres werden sich enttäuschte Kunden von Reiseveranstaltern erstmals an einen unabhängigen Schlichter  wenden können, der Streitfälle kostenlos und verbindlich klärt. Bisher gibt es für Pauschalreisen keine spezialisierte außergerichtliche Schlichtung, weil sich große Teile der Branche bisher stur stellten.

Doch nun könnte es schnell gehen. „Wir gehen davon aus, dass wir 2019 erstmals auch bei Pauschalreisen zuständig sein werden“, sagte der Geschäftsführer der Schlichtungsstelle für den öffentlichen Personenverkehr e.V. (SÖP), Heinz Klewe, unserer Redaktion. Noch seien einige Punkte zu klären. Intern hofft man bei der SÖP, dass es spätestens im März losgehen kann. Die Zahl der Juristen wird gerade auf rund 50 aufgestockt. Die SÖP existiert bereits seit Jahren und kann von Reisenden bisher bei Streitfällen mit Fluggesellschaften, Bahnen, Bus- oder Schiffsunternehmen kostenlos eingeschaltet werden.

Flugausfälle sorgen für viele Beschwerden

Allein 2017 schloss die SÖP knapp 17 000 Beschwerdefälle ab, fast ein Drittel mehr als im Jahr zuvor und zu 77 Prozent mit einer außergerichtlichen Einigung. In diesem Jahr ist die Zahl der Fälle bereits um nochmals um fast 50 Prozent gestiegen.

Bis zum jetzigen Zeitpunkt habe die SÖP bereits rund 25 000 Beschwerden erhalten, so Klewe. Vor allem das Flugchaos mit vielen Verspätungen, Umbuchungen und Flugausfällen lässt die Beschwerden drastisch in die Höhe schnellen. Allein 21 500 Beschwerden betreffen den Schlichtern zufolge Airlines, die ihre Kunden enttäuschten. Auch die Fluggesellschaften hatten sich lange Zeit einer außergerichtlichen Schlichtung verweigert. So verwies zum Beispiel der europäische Marktführer Lufthansa darauf, dass man Streitfälle selbst kulant mit den Kunden kläre.

Als erstes großes Unternehmen erklärte sich damals die bundeseigene Deutsche Bahn AG bereits, außergerichtliche Schlichtungen zu akzeptieren, allerdings auch erst nach Druck aus der Politik. „Jetzt erleben wir diese Abläufe schon zum dritten Mal“, sagt Klewe. Sowohl die Bahn als auch die meisten Airlines seien inzwischen seit Jahren zufriedene Mitglieder bei der SÖP. Bei den Reiseveranstaltern hoffen Verbraucherschützer auf eine ähnliche Entwicklung und das Einlenken der Branche. „Allein die neue Pauschalreiserichtlinie wird für viele zusätzliche Streitfälle auslösen, da sollte den Veranstaltern an einer geregelten Schlichtung im Interesse ihrer Kunden gelegen sein“, sagt Felix Methmann vom Dachverband der Verbraucherzentralen (VZBV) in Berlin. Die SÖP habe sich als zentrale Anlaufstelle bewährt.

Online-Reiseveranstalter findet Schlichtungsstelle gut

Das sieht man auch beim Verband Internet Reisevertrieb (VIR) so, der einen Vertrag mit der SÖP geschlossen hat, wie beide Seiten bestätigen. Die Schlichtung für große Online-Reiseanbieter soll 2019 starten. Man halte die SÖP gerade mit Blick auf das neue Reiserecht „für ein gutes Instrument, wenn es zur Klärung offener Fragen eine neutrale Stelle braucht“, betont VIR-Vorstand Michael Buller. Der VIR empfiehlt seinen Mitgliedern – darunter Online-Riesen wie Expedia, HRS und Holiday Check – die Beteiligung an der SÖP. In den nächsten Wochen soll die Zusammenarbeit von den Gremien beider Seiten beschlossen werden. Dann können Kunden aller Online-Anbieter, die mitmachen, die SÖP einschalten, wenn es Ärger mit Pauschalreisen gibt, der nicht direkt mit dem Unternehmen geklärt werden kann. Das wird – ähnlich wie schon bei den widerspenstigen Airlines – andere Anbieter in Zugzwang bringen, wenn sie sich nicht nachsagen lassen wollen, ihren Kunden keine unabhängige kundenfreundliche Streitbeilegung zu bieten.

Noch weichen große Reiseveranstalter bei Anfragen aus und verweisen auf ihr Beschwerdemanagement. Die Entscheidung für eine verbindliche Schlichtung und die Teilnahme bei der SÖP sei noch nicht gefallen, heißt es beim Marktführer Tui in Hannover. Eine Sprecherin von Thomas Cook (unter anderem Neckermann, Öger) erklärt, man halte eine Schlichtungsstelle weder für nötig noch für zielführend.  Mängel am Urlaubsort würden binnen 24 Stunden beseitigt, andernfalls erhielten Kunden Gutscheine oder bei sofortiger Rückreise ihr Geld zurück. Kaum jemand aber breche deshalb tatsächlich die Reise ab.     

Gespräche der Reisebranche mit der Bundesregierung verlaufen zäh

  Auch der Deutsche Reiseverband verweist auf die „äußerst niedrigen Reklamationsquoten“ bei den Veranstaltern, die sich im niedrigen einstelligen Prozentbereich bewegten. Gespräche der Branche mit der Bundesregierung verliefen bisher zäh, das Justiz- und Verbraucherministerium dringt aber weiter eine Lösung. Für den dortigen Staatssekretär und früheren VZBV-Chef Gerd Billen ist eine spezialisierte Schlichtungsstelle Reiserecht „sinnvoll und würde zum Rechtsfrieden in unserem Land beitragen.“

Experten gehen davon aus, dass es bei rund vier Prozent der Pauschalreisen strittige Probleme gibt und sich bis zu 900 000 Touristen jedes Jahr allein in Deutschland über geplatzte Ferienfreuden beschweren. Die Bundesbürger unternahmen 2017 laut Fachanalysen fast 90 Millionen Urlaubs- und Kurzreisen. Die Reiseveranstalter erwarten 2018 ein Umsatzplus von sieben Prozent auf mehr als 35 Milliarden Euro.