Die Gläubigen verlassen die Kirchen Foto: dpa

Der Skandal um die hohen Baukosten des katholischen Bischofssitzes in Limburg und um Bischof Franz-Peter Tebartz-van Elst hat auch Folgen für Stuttgart: Die Kirchenaustritte nehmen seither zu – in der Katholischen und auch in der Evangelischen Kirche.

Stuttgart - Sie wollen die Kirche in Stuttgart öffnen, sie für Menschen mit den unterschiedlichsten Bedürfnissen attraktiv machen. Und so natürlich die Mitglieder halten und neue gewinnen. Darin sind sich der katholische Stadtdekan Christian Hermes und sein evangelischer Kollege Søren Schwesig einig. Doch nun machen ihren Bemühungen die Vorkommnisse um den katholischen Bischof von Limburg einen Strich durch die Rechnung. Seit Tebartz-van Elst in die öffentliche Kritik geraten ist, nehmen die Kirchenaustritte deutlich zu.

Während 2012 im gesamten Stadtgebiet 2792 Kirchenmitglieder ausgetreten sind (1369 Katholiken und 1423 Protestanten), haben von Januar bis September 2013 bereits 3192 Mitglieder der Kirche den Rücken gekehrt, davon viele nach Bekanntwerden der Affäre um Tebartz-van Elst. Aber das ist nur ein Teil der Negativentwicklung: Die Kirchenaustrittszahlen von drei der 18 Stuttgarter Standesämter fehlen noch bei der Übersicht der ersten drei Quartale 2013 – und die Austrittszahlen des letzten Quartals 2013 sind noch bei gar keinem Standesamt erhoben. Und gerade im letzten Quartal rechnen Kirchenexperten damit, dass noch mehr Mitglieder aus Verärgerung über die Vorkommnisse in Limburg ausgetreten sind.

Die meisten Austritte bis Oktober verzeichnet das Standesamt Stadtmitte: Dort sind 706 Protestanten und 702 Katholiken ausgetreten. Es folgen die Ämter Bad Cannstatt mit 375 und Vaihingen mit 261 Austritten. In beiden Fällen ist der Anteil der Protestanten und Katholiken nicht aufgeschlüsselt. Er dürfte bei den Katholiken knapp unter 50 Prozent und bei den Protestanten entsprechend darüber liegen. Am wenigsten Mitglieder sind mit je 18 Katholiken und Protestanten in Obertürkheim ausgetreten. Bei den bisher erfassten 3192 Austritten wurde lediglich bei 2063 nach Kirchenzugehörigkeit unterschieden: Darunter sind 1045 Protestanten und 1018 Katholiken.

Da ein Kirchenaustritt nicht begründet werden muss, lassen sich die Zahlen nicht eindeutig auf die Vorkommnisse in Limburg zurückführen. In Kirchenkreisen wird jedoch davon ausgegangen, dass viele Austritte bereits im dritten Quartal mit der Affäre zu tun haben und dass die Zahlen im vierten Quartal weiter oben gehen: So verzeichnet das evangelische Dekanat in Degerloch im Oktober und November 47 Austritte. Sonst sind es um die 30 – im ganzen Quartal. Im Dekanat Mitte der Evangelischen Kirche sind im Oktober 81 Frauen und Männer ausgetreten – 29 mehr als im September.

Die Abteilung für kirchliches Meldewesen im Ordinariat der Diözese Rottenburg-Stuttgart erwartet für die Landeshauptstadt „die gleiche Entwicklung wie für andere Städte und Gemeinden“: einen Anstieg der Austritte im Oktober – ebenfalls im Zusammenhang mit dem umstrittenen Bischof.

Hermes erklärt die vielen Austritte damit, dass die Kirchenmitglieder nicht differenzieren. „Wir in Stuttgart haben die Verschwendung in Limburg nicht zu verantworten“, sagt er und bedauert, dass die Glaubwürdigkeit der gesamten Katholischen, aber auch der Evangelischen Kirche infrage gestellt wird. Bei Mitgliedern, die austreten, unterscheidet er zwei Gruppen: Menschen ohne enge Bindung an die Kirchengemeinde – sie würden Verärgerung über die Kirche zum Anlass nehmen, einen Schlussstrich zu ziehen. Und Berufseinsteiger, welche die Kirche nicht brauchen, weil sie weder einen Kita-Platz noch einen Pflegeplatz für ihre Eltern suchen.

Schwesig ist der Meinung, dass Kirche, egal ob Evangelische oder Katholische, in einen Topf geworfen wird. „Was in Limburg passiert ist, hat nichts mit uns zu tun“, sagt auch er und verweist beispielhaft auf sein Badezimmer. „Ich wollte bei meinem Einzug nur das Waschbecken anders montiert haben. Das wurde mit Hinweis auf die Pfarrhausrichtlinien abgelehnt.“ Mit Hermes ist er einer Meinung, dass das Misstrauen der Gläubigen gegenüber der Kirche groß ist und es nun darum geht, dass die Institution Kirche Vertrauen zurück gewinnt.

Beide Dekane plädieren deshalb an die Mitglieder, auf sie oder die Gemeindepfarrer zuzugehen, wenn es Fragen gibt. Und zwar vor dem Kirchenaustritt. „Wir sagen jedem, wofür wir die Kirchensteuer ausgeben. Unser Anspruch ist es, transparent zu sein“, versichert Hermes. Und Schwesig beklagt, dass die Pfarrer erst nach dem Kirchenaustritt von dem Schritt erfahren. Denn ist der erst einmal getan, führt der Weg nicht so schnell in die Kirche zurück  – selbst dann nicht, wenn der Pfarrer dem verlorenen Schäfchen per Brief mitteilt, dass die Kirchentür jederzeit wieder offen steht.