Die Ärzte sollen sich der Digitalisierung stellen, fordert Gesundheitsminister Jens Spahn (CDU) – auch bei der Diagnose über das Internet. Foto: dpa

Gesundheitsminister Jens Spahn tritt auf dem Ärztetag auf – dort streiten die Mediziner über die Chancen der Ferndiagnose. Bislang darf der Arzt nur nach persönlichem Kontakt Diagnosen stellen. Das könnte sich ändern.

Berlin - Es ist ja durchaus nicht so, dass Jens Spahn (CDU), der Gesundheitsminister, das Dickicht der Fachpolitik gänzlich meidet. Zwar pflegt er weiter seine Ausflüge ins politisch Große und Ganze, auch weil das medial einen so schön großen Resonanzraum bietet. Aber er scheut keineswegs davor zurück, sich in den sachpolitischen Nahkampf zu begeben. An diesem Mittwoch tritt er in Erfurt beim Deutschen Ärztetag auf. Das ist gesundheitspolitisch die ganz große Bühne. Eine gute Gelegenheit also, einmal im Zusammenhang seine Pläne zu erläutern. Seine Rede wird in der Branche mit Spannung erwartet. Wir geben einen Überblick über die größten Baustellen im Gesundheitswesen:

Kassenbeiträge

Spahn pflegt seine Kämpfe präzise zu wählen. Seinen ersten Großkonflikt führt er mit den Krankenkassen, die er gesetzlich zu einer Reduzierung ihrer teilweise hohen Rücklagen zwingen will, am besten über eine Senkung der Beiträge. Das ist populär und der Minister hat auf den ersten Blick einleuchtende Argumente auf seiner Seite. Dennoch ist die Sache kein Selbstläufer. Die Regierungsfraktionen, auch seine eigene, fühlen sich vom Vorhaben ein wenig überfahren. Die SPD könnte die Umsetzung an eine Veränderung bei den Betriebsrenten verknüpfen. Sie will die Doppelverbeitragung wenigstens abmildern. Eine Forderung, die auch in der Union an Boden gewinnt. Spahn will hier nicht entgegenkommen und beruft sich auf den Koalitionsvertrag.

Pflege und Fachkräfte

Pflege- und Fachkräfte

Auch Spahns zweiter Schwerpunkt zum Start seiner Amtszeit geht in eine Richtung, die niemand kritisieren kann. Er will mit einem Sofort-Programm mindestens 8000 neue Pflegestellen schaffen, am liebsten noch mehr. Das klingt gar nicht so viel. Dennoch ist das Programm ehrgeizig, denn der Arbeitsmarkt ist leergefegt. Ohne die Anwerbung ausländischer Kräfte wird es nicht gehen. Der Bedarf ist riesig. Es gibt fundierte Schätzungen, dass im Jahre 2020 über 140 000 Pflegekräfte fehlen werden. Dass es dabei nicht mit mehr Werbung für den Beruf getan ist, zeigt die Untersuchung des BKK-Bundesverbandes zur enormen Gesundheitsbelastung in den Pflegeberufen. Die Befragung der BKK schlägt bereits Wellen. Sabine Dittmar, die gesundheitspolitische Sprecherin der SPD-Bundestagfraktion, fordert gegenüber unserer Zeitung ein umfangreiches Reformprogramm: „Das fängt beim flächendeckenden Tarifvertrag und einer verbindlichen Personalbemessung an und endet beim Arbeitsumfeld.“ Dass Spahn hier schnelle Erfolge erzielen wird, ist kaum wahrscheinlich.

Digitalisierung

Während die bisher beschriebenen Themen die Ärzte nicht zentral betreffen, ist der Bereich Digitalisierung in der Ärzteschaft heiß umstritten – und zudem ein Lieblingskind des neuen Ministers. Im Blickpunkt stehen gerade zwei Punkte. Der größte Aufreger beim Ärztetag dürfte das Thema „Fernbehandlungsverbot“ sein. Ärztepräsident Frank-Ulrich Montgomery möchte seine Kollegen davon überzeugen, die Musterberufsordnung in einem wichtigen Punkt zu ändern.

Künftig sollen Ärzte die Möglichkeit haben, Patienten – auch im Rahmen eines Erstkontaktes – per Internet oder Telefon zu behandeln, einschließlich Diagnose, Krankschreibung und dem Verordnen von Medikamenten.In Baden-Württemberg startete vor zwei Wochen telemedizinische Modellprojekt Docdirect. Gegen die Fernbehandlung gibt es aber auch Widerstand in der Ärzteschaft. Spahn hat jedoch klargemacht, dass er das Fernbehandlungsverbot kippen will. Ohnehin geht ihm der digitale Fortschritt im Gesundheitswesen viel zu langsam. Dass nach fast anderthalb Jahrzehnten Diskussion die elektronische Gesundheitskarte immer noch nicht funktioniert, weil sich alle Beteiligten gegenseitig blockieren, nennt Spahn „völlig inakzeptabel“. Ob er so weit geht, der Selbstverwaltung im Gesundheitswesen das Thema ganz aus der Hand zu nehmen, ist eine spannende Frage, die er auf dem Ärztetag klären könnte.

Ländliche Versorgung

Die Kassenärztlichen Vereinigungen sind über die verpflichtend eingeführten Termin-Servicestellen nicht glücklich. Angeblich lohne die geringe Nachfrage den Aufwand nicht. Dennoch gibt es – je nach Disziplin verschieden – noch immer Wartezeiten, wenn es um den Besuch beim Facharzt geht. Besonders die Vermittlung von Psychotherapeuten ist mühsam. Spahn will sich der Sache annehmen. Er will auch die Mindestzahl an wöchentlichen Sprechstunden für Kassenpatienten von 20 auf 25 erhöhen.

Zudem soll es für niedergelassene Ärzte finanzielle Anreize geben, mehr Patienten aufzunehmen. Gerade dieser Punkt löst heftige Debatten aus. So warnt der CDU-Gesundheitspolitiker Michael Hennrich, dass Deutschland heute schon mit 18 Arztbesuchen im Jahr europaweit den Spitzenwert bei Arzt-Patienten-Kontakten aufweise. „Wenn die Anreize dazu führen, dass in derselben Zeit einfach noch mehr Patienten durchs System geschleust werden, wäre das nicht sinnvoll.“ Die Ärzte wiederum knüpfen eine andere Diskussion an das Vorhaben. Sie sehen die Chance, über den Umweg endlich die Budgetierung ihrer Vergütung loszuwerden. Wird Spahn also der Gesundheitsminister, der diesen Eckpfeiler im Gesundheitswesen abschafft? Nein, so generell sicher nicht. Mindestens bei den Erstkontakten mit Patienten aber wäre er wohl bereit, die strikte Budgetierung zu lockern. Für den Minister könnte das zum Faustpfand gegenüber den Ärzten werden.