Englische Kinder werden nach dem Ersten Weltkrieg mit Ultraviolettlicht bestrahlt, um Tuberkulose vorzubeugen. Foto: SVT-Bild/Das Fotoarchiv

Die früher als Schwindsucht bezeichnete Tuberkulose ist hierzulande kein Schreckgespenst. Doch sie könnte wieder eines werden, wenn die Multiresistenzen der Tuberkulosebakterien aus dem Ruder laufen.

München - Seit rund 3000 Jahren rafft die Tuberkulose weltweit Menschen dahin. Chopin, Kafka und Schiller fielen ihr Opfer etwa zum Opfer. Im 20. Jahrhundert dachte man, die bakterielle Infektionskrankheit, die vor allem die Lunge befällt, sei besiegt. Doch das ist ein Irrtum. „Heute ist ein Drittel der Weltbevölkerung mit dem Tuberkulose-Bakterium infiziert“, so Michael Hölscher, Direktor der Abteilung für Infektions- und Tropenmedizin am Klinikum der Universität München.

Allerdings entwickeln nur fünf bis zehn Prozent der infizierten Erwachsenen tatsächlich eine Tuberkulose (TB). Seit einigen Jahren jedoch gibt es eine neue Gefahr: Das Tuberkulosebakterium hat Resistenzen gegen mehrere Antibiotika entwickelt. Eine TB nennt man multiresistent (MDR-TB), wenn der Erreger gegen mindestens zwei Erstlinien-Medikamente resistent ist. Können ihm dazu auch Zweitlinien-Antibiotika nichts anhaben, spricht man von einer extensiv resistenten TB (XDR-TB).

Die Tuberkulosebakterien sind Mykobakterien und gehören zum sogenannten Mycobacterium-tuberculosis-Komplex. Sie werden durch Tröpfcheninfektion von Mensch zu Mensch übertragen. Bei 90 bis 95 Prozent der Infizierten gelingt es dem Immunsystem, den Erreger in Schach zu halten. Es bilden sich abgekapselte, blutgefäßfreie Bereiche (Granulome), in deren Mitte sich eine Eiterflüssigkeit mit schlafenden Mykobakterien befindet, umgeben von Immunzellen und Kollagen.

Typische Symptome: Gewichtsverlust, Nachtschweiß, Fieber

Das Arrangement kann jahrelang gut gehen – bis das Immunsystem geschwächt ist. Dann können sich die Bakterien ungehemmt vermehren und ausbreiten. Typische Symptome sind Gewichtsverlust, Nachtschweiß und Fieber. Die aktive Tuberkulose sollte möglichst rasch behandelt werden. Hölscher zufolge dauert es im Schnitt jedoch etwa neun Monate, bis eine TB diagnostiziert wird, denn viele Ärzte begegnen der Infektionskrankheit in ihrer Ausbildung nicht mehr. Steht dann ein ausgemergelter Patient vor ihnen, denken sie zuerst an eine Krebserkrankung.

Eine Blutuntersuchung, das Röntgen, eine Computertomografie (CT) der Lunge sowie der Tuberkulintest – ein Hauttest – gehören zu den diagnostischen Standardverfahren. Zudem gibt es immunologische Verfahren zum Nachweis einer Infektion. Ob die Tuberkulose aktiv oder passiv ist, können beide Tests nicht erkennen. Das kann jedoch ein neuer vielversprechender US-amerikanischer Test, ein sogenannter Nanodisk-Test, der Blutproben untersucht. Innerhalb einiger Stunden kann er sagen, ob eine aktive oder latente TB vorliegt. Zum Antibiotika-Resistenzprofil des Mykobakteriums verrät er jedoch nichts. „Aber das Resistenzprofil müssen wir für eine Therapie möglichst schnell kennen“, sagt Christoph Lange, Leiter des Zentrum Klinische Infektiologie im Forschungszentrum Borstel und Leiter der Klinischen Tuberkulose-Einheit des Deutschen Zentrums für Infektionsforschung (DZIF).

Diese Therapien helfen bei Tuberkulose

Die „normale“ Tuberkulose kann mit einer Vierfachtherapie bekämpft werden: Für zwei Monate lang muss der Patient die vier Antibiotika Isoniazid (INH), Rifampicin (RMP), Ethambutol (EMB) und Pyrazinamid (PZA) einnehmen. Anschließend für weitere vier Monate Rifampicin und Isoniazid. „Bei etwa 85 bis 90 Prozent der Tuberkulosepatienten, die keine vorbestehenden Resistenzen haben, verläuft die Antibiotikatherapie erfolgreich. In der ersten Woche werden etwa 90 Prozent der Bakterien getötet, die restlichen zehn Prozent werden über die folgenden Monate ausgehungert“, sagt Hölscher.

Liegt eine MDR- oder XDR-TB vor, wird die Therapie sehr viel schwieriger. Das sind Christoph Langes Fälle. Der Tuberkulose-Experte verfügt über ausgezeichnete Ressourcen, die es ihm erlauben, für jeden Patienten möglichst frühzeitig eine maßgeschneiderte Therapie zusammenzustellen. Bei jedem seiner Tuberkulosekranken wird das komplette bakterielle Erbgut mit rund 4,5 Millionen Buchstaben, die für unterschiedliche Basen stehen, automatisiert entschlüsselt. „Wir wissen, dass an bestimmten Positionen im Erbgut durch Austausch einer Base gegen eine andere Base eine Resistenz verankert wird“, erklärt Lange. „Aus diesen kleinen Abweichungen und aus diversen Tests im Labor ist es möglich abzuleiten, welche Antibiotika noch wirksam sind und in welcher Dosierung sie verabreicht werden sollten.“

„Fast alle Patienten können geheilt werden“

Weiterhin misst er die Konzentrationen der einzelnen Antibiotika im Blut, um sicherzustellen, dass einerseits genug davon bei den Mykobakterien ankommt, sie andererseits für den Patienten aber nicht toxisch sind. Denn Nebenwirkungen gibt es auch so genug: Hörstörungen, Gleichgewichtsstörungen, Polyneuropathien – also Taubheit in Händen und Füßen –, psychische Störungen wie Depressionen, Veränderungen des Blutbilds und der Nierenfunktion, zählt Lange auf. „Aber es können fast alle Patienten geheilt werden.“

Bei XDR-TB dauert die Therapie allerdings gut 20 Monate. Allein die Medikamente kosten rund 90 000 Euro – ein kleines Vermögen. Die Gesamtbehandlungskosten sind noch höher. Die Medikamentenkosten bei einer 20-monatigen MDR-TB betragen etwa 23 000 Euro. Zum Vergleich: Bei einer normalen TB kosten die Medikamente insgesamt nur 334 Euro. „Nicht bei allen Patienten mit einer multiresistenten Tuberkulose muss 20 Monate lang behandelt werden“, sagt Lange. „Was wir jetzt noch brauchen, sind Biomarker, die uns anzeigen, wie lange im Einzelfall therapiert werden muss.“ Denn wenn im schleimigen Auswurf keine Bakterien nachweisbar seien, würde das noch lange nicht heißen, dass jemand geheilt ist.

„Wir haben heute das Glück, dass wir in Deutschland sowohl auf diagnostischer wie auch auf therapeutischer Seite gut aufgestellt sind. Trotzdem sind weitere Verbesserungen nötig, um mit den genetischen Veränderungen der Mykobakterien Schritt zu halten“, sagt Hölscher. Er und Christoph Lange sehen entwickelte Länder in der Verantwortung, die Mittel zur Behandlung und Diagnostik in stärker betroffenen und ärmeren Ländern bereitzustellen.

Wo kommt Tuberkulose heutzutage noch vor?

Verbreitung Im Jahr 2015 starben nach Angaben der Weltgesundheitsorganisation (WHO) rund 1,8 Millionen Menschen an Tuberkulose (TB). Sechs von zehn TB-Erkrankungen treten in nur sechs Staaten auf: Pakistan, Indien, China, Indonesien, Südafrika und Nigeria. Auch Somalia, die Ukraine sowie Russland sind stark betroffen. „Multiresistenzen finden sich insbesondere in Osteuropa einschließlich der früheren Sowjetunion, im südlichen Afrika sowie in Asien“, sagt Christoph Lange, Leiter der Klinischen Tuberkulose-Einheit des Deutschen Zentrums für Infektionsforschung (DZIF).

Deutschland 2012 gab es mit 4200 gemeldeten Fällen einen Tiefststand bei TB hierzulande. Seither entwickeln sich die Zahlen langsam nach oben. 2016 traten laut Robert-Koch-Institut (RKI) bundesweit 5915 Fälle auf – 63 mehr als 2015. „Tuberkulose bleibt in Deutschland eine seltene Erkrankung“, sagt Lange.