Der Brasilianische Pfefferbaum (Schinus terebinthifolius) wächst als Strauch oder Baum – er könnte über antibiotische Fähigkeiten verfügen. Foto: Mauritius

Aufgrund des starken Einsatzes von Antibiotika bei Mensch und Tier können diese Medikamente mittlerweile vielen Bakterien nichts mehr anhaben. Forscher suchen nach neuen Mitteln, um Krankheitserreger zu schwächen.

Stuttgart - Wenn Hygiene-Eyperten Orte benennen sollen, in denen die Gefahr besteht, sich einen multiresistenten Keim einzufangen, dann lautet die Antwort: In Kliniken. Gerade dort, wo Antibiotika, aber auch Desinfektionsmittel häufig zum Einsatz kommen, durchlaufen die Bakterien eine Art Überlebenstraining. Sie entwickeln Abwehrstrategien gegen ein Antibiotikum, indem sie beispielsweise Enzyme ausbilden, die Antibiotika unwirksam machen. Und sie nehmen weiter zu – so auch der Krankenhauskeim MRSA (Methicillin-resistente Staphylococcus aureus) und das Bakterium Pseudomonas aeruginosa.

So sterben in der EU pro Jahr etwa 25 000 Menschen an den Folgen einer von resistenten Bakterien ausgelösten Infektion. Zusätzlich warnt die Europäische Behörde für Lebensmittelsicherheit (Efsa) nun vor neuen Resistenzen bei Salmonellen. Diese Bakterien können eine Salmonellenvergiftung auslösen, die sich als Darmentzündung äußern kann.

Seit Jahren versuchen Forscher daher schon Pflanzen, Pilze und Bakterien aufzuspüren, die sich als geeignete Bausteine für neue Antibiotika-Sorten erweisen. Ethnobotaniker wie Cassandra Quave von der Emory University in Atlanta (USA) und ihr Team setzen etwa in den Brasilianischen Pfefferbaum große Hoffnungen. Ursprünglich im Amazonasgebiet beheimatet, wuchert er nun auch in Florida. „Wir haben die chemischen Bestandteile der Beeren voneinander getrennt“, sagt die Medizin-Ethnobotanikerin Quave. Dann wurden sie einzeln gegen krankmachende Bakterien getestet. Ein mit dem Pflanzenfarbstoff Flavon reicher Auszug aus den roten Beeren erwies sich als wirksam gegen MRSA: Die Verbindung hat die Bakterien nicht getötet. Es unterdrückte ein Gen, das es den Bakterien ermöglicht, miteinander zu kommunizieren. Ohne Kommunikation gibt es keine Infektion.

Antivirulenz: Bakterien die krankmachende Wirkung nehmen

Andere Forscher arbeiten an einem Ansatz, der zum Tragen kommt, wenn die Bakterien sich erfolgreich auf einen Angriff verständigt haben: Sie wollen verhindern, dass die Erreger das Immunsystem überrennen können. Das Konzept nennt sich Antivirulenz und bedeutet so viel, dass man verhindern möchte, dass jene Gene der Erreger abgelesen werden, die die Bauanleitung für die bakteriellen Waffen liefern. Diese sogenannte Virulenzfaktoren ermöglichen es den Bakterien, sich im Körper auszubreiten, Zellen zu zerstören und für ihre Ernährung zu nutzen sowie das Immunsystem zu schwächen. Auch Proteine, die für das Gewebesterben – die Blutvergiftung – sowie für ein schweres Kreislauf- und Organversagen verantwortlich sind, gehören zu diesen bakteriellen Waffen.

Wie aber kann man das Ablesen der Gene für Virulenzfaktoren verhindern? Das hat der Chemiker Stephan Sieber mit seinen Mitarbeitern an der TU München in Garching im Bakterium S. aureus untersucht. Wenn die Bakterien beschließen, dass sich ein Angriff auf den menschlichen Organismus lohnt, wird eine Kaskade an Reaktionen in der Bakterienzelle ausgelöst. Diese endet bei einem bestimmten Molekül und verändert es geringfügig, sodass es sich an das genetische Material des Bakteriums binden kann. Gene, die die Bauanleitung für die Virulenzfaktoren stellen, werden abgelesen. Sieber hat Biomoleküle gefunden, die dies verhindern können. Allerdings haben sie noch einen Haken: Sie sind in menschlichen Zellen giftig. „Wir sind jedoch optimistisch, dass wir die Verbindung geeignet verändern können“, sagt Sieber.

Es gibt aber noch eine weitere Strategie, die der Münchner Chemiker mit seinem Team verfolgt: Sie lassen die Bakterienzelle vermüllen, bis sie daran zugrunde geht. So haben sie ein spezielles Enzym identifiziert, das als molekulare Schere all jene Proteine in einer Bakterienzelle kleinhäckselt, die fehlgefaltet sind und entsorgt werden müssen. Diese molekulare Schere wollen sie mit Hemmstoffen ausschalten.

Auch in Australien ist man dabei, Krankheitserreger zu entwaffnen: Forscher der University of Adelaide haben entdeckt, dass Virulenzfaktoren diverser Bakterienstämme wie Salmonellen, Shigellen und Meningokokken einen gemeinsamen Baustein haben. Dieser ist wichtig für den Transport der bakteriellen Waffen an die Oberfläche der Bakterienzellen. Die Wissenschaftler wollen nun herausfinden, wie die Funktion dieses Bausteins blockiert werden kann.

„Mangan-Entzug: wie wenn man einem Auto die Batterie nimmt“

Zudem gibt es die Möglichkeit, die Versorgung der Bakterien zu stören. Viele bakterielle Enzyme und Prozesse sind abhängig von Mangan; insbesondere jene, die für die krankmachende Wirkung des Bakteriums und für die Stressbewältigung bei einer Infektion nötig sind. Ohne intakten Mangantransport von den Körperzellen ins Bakterieninnere stellen die Bakterien kein Infektionsrisiko dar. Sieber hat ein Molekül identifiziert, das diesen Mangan-Shuttle-Service in die Bakterienzelle blockieren kann. „Mangan-Entzug ist für die Bakterien wie wenn man einem Auto die Batterie nimmt“, sagt er.

Der Ansatz der Antivirulenz, Bakterien zu entwaffnen statt sie zu töten, bietet zwei Vorteile: Das für die menschliche Gesundheit so wichtige Mikrobiom – die Gesamtheit der Bakterien im Darm – sowie die Hautflora werden nicht zerstört. Zudem bildet sich keine Resistenz. Allerdings wollen Ärzte Bakterien schnell töten statt zu warten, bis das Immunsystem den Kampf für sich entscheidet. „Vielleicht ist für den Anfang die Kombination aus Antivirulenz und Antibiotikum eine gute Lösung“, so Sieber. Bis es soweit ist, braucht es aber noch ein besseres Antibiotika-Management seitens der Ärzte und eine bessere Aufklärung über den Umgang damit bei den Patienten: Ein Antibiotikum sollte nach Anweisung des Arztes eingenommen und nie vorzeitig abgesetzt werden. Reste gehören in den Müll. Wer diese über die Toilette entsorgt, riskiert, dass sich die Substanzen in die Umwelt verbreiten, warnen Experten. Auch das fördert Resistenzen.

Wie Bakterien kommunizieren

Signale Bakterien schütten kontinuierlich kleine Signalmoleküle aus – Späher, die die Umgebungsbedingungen erkunden und herausfinden sollen, ob und wie viele Artgenossen sich in der Umgebung des Bakteriums befinden. Quorum Sensing, kurz QS, heißt dieser Vorgang.

Offensive Quorum steht für jene kritische Bakterienzahl, die die Mikroorganismen brauchen, um eine erfolgreiche Offensive auf den Organismus zu starten. Überschreitet die Signalstoffkonzentration in ihrer Umgebung einen bestimmten Schwellenwert, signalisiert dies den Bakterien, dass das Quorum erreicht ist. Dann schalten sie vom Versteck- auf den Angriffsmodus, der durch die große Zahl an Mitstreitern gute Erfolgsaussichten bietet.