Badergerätschaften aus dem Pommerschen Kunstschrank, Augsburger Werkstatt, frühes 17. Jahrhundert. Foto: Staatliche Museen zu Berlin, Kunstgewerbemuseum

In der „Medicus“-Schau in Speyer lernt man nicht nur viel lernen über die Geschichte der Medizin, sondern wird auch bestens unterhalten.

Speyer - Halsschmerzen müssen nicht sein. Sie lassen sich effektiv vertreiben ganz ohne das Schlucken von bitterer Arznei. Bei Angina und Co. einfach den Schutzpatron Sixtus II. um Hilfe bitten. Falls der nicht hilft, sollte man intensiv ein Bild vom abgeschlagenen Kopf von Johannes dem Täufer betrachten. Der Schädel muss aber unbedingt in einer Schüssel liegen.

In der Antike und im Mittelalter brachten Dämonen und Geister Krankheiten und so holte man sich entsprechend auf mitunter kuriose Hilfe, um Durchfall oder Schmerzen wieder loszuwerden – und war überzeugt: Der Glaube wirkt Wunder. Auch bei Hildegard von Bingen ging es nicht ohne den Glauben. Sie befasste sich zwar intensiv mit der Frage, welches Kraut gegen welche Beschwerden hilft, ihre Heilmittel aber standen in direktem Zusammenhang mit dem Wirken göttlicher Kräfte.

Krankheit beschäftigt die Menschen zu allen Zeiten

Krankheit geht uns alle an und gehört zur Menschheit wie das Niesen zum Schnupfen. Entsprechend interessant ist die Ausstellung zur Geschichte der Medizin, die das Historische Museum der Pfalz Speyer entwickelt hat. Aber der Titel verrät bereits, dass hier nicht lehrbuchhaft und abstrakt die Kulturgeschichte der Medizin runtergebetet wird. „Medicus. Die Macht des Wissens“ nennt sich die Schau – und spielt dabei auf den Bestseller „Der Medicus“ von Noah Gordon an, der vor einigen Jahren auch erfolgreich verfilmtwurde. Die Figur des Rob Vole fungiert als eine Art Türöffner zu den kulturhistorischen Themen. Im Buch macht er sich von England nach Persien auf, um dort die antike Medizin kennenzulernen.

Rob Vole war ein Bader, eine Art fahrender Chirurg, der im Mittelalter Wunden versorgte, Aderlässe durchführte und schröpfte, Zähne zog und manchmal auch Körperteile amputierte. Ärzte verabreichten Medizin, Chirurgie war dagegen ein Handwerk. Gemälde wie „Der Dorfchirurg“ von Adriaen Brouwer oder „Der Zahnarzt“ von Gerrit Dou lassen ahnen, wie im 16., 17. Jahrhundert geheilt wurde.

In den ersten Jahrhunderten nach Christus gab es sehr viele Ärztinnen

Die Ausstellung schlägt einen Bogen vom Altertum bis in die Gegenwart – und am Umgang mit dem Körper lässt sich viel ablesen über die Kultur und Weltvorstellungen der Ägypter, alten Griechen, Römer und der Europäer im Mittelalter. Hier entdeckt man Kühlkugeln aus Bergkristall, die gegen Fieber und Gicht eingesetzt wurden, dort Amputationssägen. Man stolpert auch auffallend oft über Ärztinnen, denn vor allem in den ersten Jahrhunderten nach Christus praktizierten viele Frauen. Es wurden zahlreiche Arztgräber aus dem 1. bis 4. Jahrhundert entdeckt, und oft handelte es sich bei den Toten um Frauen, denen man ihr Arbeitsgerät mit auf die letzte Reise mitgegeben hatte: Vaginalspecula, Embryohaken oder Zahnzange.

Mit einer ausgetüftelten Inszenierung versucht die Speyerer Ausstellung auf immer neue Weise das Interesse des Publikums zu kitzeln. Interaktivität meint hier nicht nur, auf Knöpfe drücken zu dürfen, sondern möglichst vielfältige Angebote zu machen, die in das Thema hineinzuziehen. Es gibt Filme, in denen ein Medicus durch die verschiedenen Kulturen führt. Dann wieder ein Quiz mit Hirschhausen, bei dem man erfährt, dass in deutschen Schuhgeschäften zeitweise Röntgengeräte standen, um die Füße korrekt vermessen zu können. Und kaum stellen sich bei dem Streifzug durch 2000 Jahre Medizin Anzeichen von Müdigkeit ein, laden die Kuratoren ein, den Kreislauf wieder in Schwung zu bringen, indem man auf einen Heimtrainer steigt und durch den (projizierten) Circus Maximus radelt.

Bis heute gehört der Glaube zu Heilung dazu

Eine absolut sehenswerte Ausstellung, bei der man en passant viel lernen kann, nicht obwohl, sondern weil sie so anregend inszeniert ist und die Zusammenhänge zwischen den verschiedenen medizinischen Konzepten deutlich macht. Das antike Wissen geriet in Europa in Vergessenheit, kehrte über den Orient aber im 11. und 12. Jahrhundert zurück. In der Praxis wurde es danach selten angewandt. Im Mittelalter waren die Klöster Ansprechpartner für die medizinische Versorgung. Seit dem Laterankonzil von 1215 galt die Regel „Keine Behandlung ohne vorherige Beichte“. Im 13. und 14. Jahrhundert kommen Apotheken auf, aber das Gemälde mit dem ungewöhnlichen Bildtypus „Christus als Apotheker“ verrät, wer in Wahrheit für die Heilung zuständig ist. Heute mögen wir davon weit entfernt sein, und doch weiß man bei aller Wissenschaftsgläubigkeit sehr wohl um den Placebo-Effekt.