Das Gesicht der neue US-Jugendbewegung gegen Waffen: Die Schülerin Emma Gonzalez. Foto: AP

US-Teenager mobilisieren gegen Waffen in den USA. Schon wird Amerikas neue Jugendbewegung mit den jungen Bürgerrechtlern von einst verglichen. Doch die historischen Vorbilder lehren, dass die neuen Aktivisten einen langen Atem brauchen werden, meint unser Kommentator Michael Weißenborn.

Stuttgart - Und es bewegt sich doch was: Beim beim „Marsch für unser Leben“ in der US-Hauptstadt Washington und in vielen anderen Orten gingen Hunderttausende Schüler auf die Straße. Sie forderten gemeinsam mit Eltern und Lehrern sichere Schulen und strengere Waffengesetze. Dieser Massenprotest zeigt die Wucht der neuen „Nie-Wieder“-Jugendbewegung in Amerika, die sich nach dem Amoklauf an der Highschool in Parkland, Florida formiert hat. Fünf Wochen ist es erst her, dass ein junger Schüze in einer jener amerikanischen Tragödien in der Endlosschleife 14 Schüler und drei Lehrern getötet hat. Der neue Schülerprotest müsste Amerikas Politikern eigentlich die Schamesröte ins Gesicht treiben. Schauen sie doch der seuchenartigen Waffengewalt seit Jahren tatenlos zu.

Zum ersten Mal scheint die Waffenlobby NRA nicht mehr ganz so unangreifbar wie zuvor. Die Jungaktivisten stellen auch gar keine utopischen Forderungen. Konkret fordern sie ein landesweit geltendes Verbot von Sturmgewehren und den dazugehörigen Magazinen mit vielen Patronen – das bevorzugte Teufelswerkzeug der Amokschützen. Zudem soll das System der Hintergrundüberprüfungen bei Waffenkäufen generalüberholt werden. Aber US-Präsident Donald Trump blies wieder zum vollen Rückzug, nachdem er zuerst vollmundig eine umfassende Reform versprochen hatte. Übrig geblieben ist nur noch Stückwerk um die gefährliche Idee, auch noch die Lehrer zu bewaffnen. Der Congress ist wie üblich weiter uneins, was am besten zu tun ist.

Gegen das Klischee von der narzisstischen Selfie-Jugend

In der Wirtschaft dagegen haben die Schüler um Emma Gonzalez und David Hogg schon mehr erreicht: So nahm die Outdoor-Ladenkette Dick’s Sporting Goods Sturmgewehre wie das AR-15 aus dem Sortiment und verkauft Waffen und Munition auch nur noch an Personen über 21 Jahren. Der Handelsriese Walmart und andere folgten. Aus Angst vor Boykotten kappten die Fluglinien Delta und United sowie einige Autovermieter ihre Geschäftsverbindungen zur NRA. Wenn Unternehmen so agieren, tun sie dies nicht aus reiner Menschenliebe, sondern weil sie um Image und wirtschaftliche Zukunft bangen. Ein echter Erfolg für die jungen Leute von #NeverAgain.

Und was macht diesen neuen US-Jugendprotest so ansteckend? Da demonstriert eine zornige Schülergeneration, für die nach dem Schulmassaker von Columbine 1999 Verhaltensdrills für den Fall eines Amoklaufs zum traurigen Alltag gehört. Außerdem setzen die Jungen soziale Netzwerke und traditionelle Medien geschickt zur Verbreitung ihrer Botschaften ein, sammeln Geld von Hollywood- und Pop-Größen und erhalten Hilfe von schlagkräftigen Organisationen der Waffengegner. Ganz nebenbei räumen sie mit dem Klischee von der nur narzisstischen Selfie-Jugend auf. Und schließlich: Wem, wenn nicht unschuldigen Jugendlichen, nimmt man noch den pathetischen Appell ab: Waffen sind ein Angriff auf die Zukunft Amerikas!

Zweidrittel der US-Bürger für schärfere Gesetze

Schon werden die jungen Protestler mit den jugendlichen Bürgerrechtlern von vor 60 Jahren verglichen. In der Tat waren es zum Beispiel neun schwarze Schüler, die 1957 in Little Rock öffentlichkeitswirksam gegen die Rassentrennung an ihrer Schule aufbegehrten. Doch die historischen Vorbilder lehren, welch langen Atem auch die neuen Aktivisten brauchen. Neben Florida zeichnen sich nur in wenigen US-Staaten strengere Waffengesetze ab. Aber wenn die jungen Leute es schaffen, mit Strategie und Organisation den Druck aufrechtzuerhalten, könnte sich das ändern. Immerhin sind jetzt Zweidrittel der US-Bürger für eine schärfere Waffenkontrolle. Und im November sind Zwischenwahlen. Dann sind auch viele der Schüler alt genug, um zu wählen.

michael.weissenborn@stuttgarter-nachrichten.de