Wenn er nach vorne rutscht auf seinem Stühlchen, wird es unbequem – nicht nur für ihn. Foto: ZDF und Markus Hertrich/Markus Hertrich

Mit einer reinen Frauenrunde hat Markus Lanz am Dienstagabend über eine Impfpflicht diskutiert. Der Moderator war dabei weit weniger gefragt als sonst. Sahra Wagenknecht mit ihren Thesen zu konfrontieren, das übernahmen die Gäste. Gelegentlich hätte man sich aber Oskar Lafontaine auf ihren Platz gewünscht.

Stuttgart - Wenn Markus Lanz auf seinem Stühlchen nach vorne rutscht, dann wird es normalerweise nicht nur für ihn selbst unbequem. Dann hat er einen Punkt gefunden, an dem der ZDF-Talker den Bohrer ansetzen kann bei seinen Gästen. Am Dienstagabend hatte es Lanz aber mit der Linken-Politikerin Sahra Wagenknecht, der Ethikratsvorsitzenden Alena Buyx, der Virologin Helga Rübsamen-Schaeff und der Berliner Weser-Kurier-Korrespondentin Anja Maier als Hahn im Korb vergleichsweise gemütlich. Die Frauenrunde diskutierte und hakte untereinander ganz munter nach – und kam dabei fast ganz ohne Lanzsche Nachbohrer aus: „Entschuldigen Sie, Herr Lanz, eigentlich sind Sie ja der Moderator“, bemerkte die Journalistin Anja Maier denn auch.

„Sich nicht vorzubereiten, das wäre wirklich dumm“

Helga Rübsamen-Schaeff kritisierte das von der britischen Regierung angekündigte Ende der Corona-Maßnahmen. „Die ganze Welt sei ein einziges großes Experiment“, sagte sie. Dabei sei auch die Frage: Wie viele Kranke und Tote wolle man in Kauf nehmen? Wegen der Deltavariante werde man wieder Impfstoff für Nachimpfungen benötigen, werde der Druck wieder steigen. „Ich halte die Lockerung für zu früh“, sagte sie. Im Herbst werde es wieder kühler, das Virus wieder stabiler, und man habe jede Menge Reiserückkehrer – „sich nicht darauf vorzubereiten, das wäre dumm, wirklich dumm“.

„Man muss sich jetzt eben ein bisschen kümmern“

Alena Buyx hatte ebenso ihre Zweifel, ob es klug sei von den Briten, „alle Schutzmaßnahmen wegzuschmeißen“ – der britische Ärztepräsident jedenfalls, den sie in einem Interview gesehen habe, sei „sehr, sehr unglücklich gewesen“ mit seiner Regierung. Die Ethikratschefin, die sich entgegen des Mediziners und ebenso Ethikratsangehörigen Wolfram Henn, erst einmal gegen eine Impfpflicht ausgesprochen hat, warb dafür, die angestrebte Herdenimmunität mit einer Durchimpfungsrate von 80 Prozent weiter anzupeilen.

Impfstoff als Sauerbier? „Da ist kommunikativ was schiefgelaufen“

Deutlich weniger als 20 Prozent der Bevölkerung gehörten zum harten Kern der Impfgegner, die eine Corona-Schutzimpfung grundsätzlich ablehnten. „Dann gibt es noch welche, die schwanken“, sagte sie – und diejenigen, die frustriert seien, weil sie wochenlang keinen Termin bekommen hätten. „Um die muss man sich jetzt ein bisschen kümmern“, so Buyx, „das sollte es uns wert sein.“ Dass man Impfstoffe jetzt, nachdem sie endlich verfügbar seien, „anpreisen muss wie Sauerbier“, das stieß Anja Maier sauer auf: „Da ist kommunikativ etwas schief gelaufen“, monierte die Journalistin.

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„Ich kann die Impfpflicht-Debatte nicht“, kritisierte Sahra Wagenknecht. Noch immer seien nicht all diejenigen geimpft, die zu den besonders gefährdeten Gruppen gehörten. Im Übrigen schütze eine Impfung ja nur einen selbst. „Man kann es immer noch übertragen.“ Stimmt nicht, sagte Buyx: Doppelt Geimpfte geben das Virus deutlich seltener weiter, „man schützt eben nicht nur sich selber“.

Lafontaine nennt Lauterbach „Covid-Heulboje“

Für die eigentliche Kontroverse sorgte indes nicht Wagenknechts Kritik an den Livestyle-Linken, die sie in ihrem neuen Buch „Die Selbstgerechten“ beschreibt, das ihr ein Parteiausschlussverfahren eingebracht hat und auch nicht die Debatte über eine Impfpflicht.

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Dafür sorgte jemand, der gar nicht mit in der Runde saß: Oskar Lafontaine.

Der Linke-Politiker hatte in der vorigen Woche auf seiner Facebook-Seite den SPD-Gesundheitsexperten Karl Lauterbach wegen dessen Warnungen vor der Deltavariante scharf angegriffen und ihn als „Covid-Heulboje“ bezeichnet. „Dabei zeigt sich immer mehr, dass die sogenannten Experten Arm in Arm mit der Pharmaindustrie den Teufel an die Wand malen, um möglichst viele Leute mit den Impfstoffen mit ,bedingter Marktzulassung’ zu impfen und den nächsten Lockdown vorzubereiten“, so Lafontaine.

Sahra Wagenknecht muss als Anwältin ihres Mannes auftreten

Das brachte Wagenknecht in die Situation, ihren Mann verteidigen zu müssen. „Das ist ganz nah dran an den Verschwörungstheorien“, sagte Markus Lanz. Ärzte und Virologen, die für das Impfen werben, als „so genannte Experten“, die „der Pharmaindustrie auf dem Schoß sitzen“ zu verunglimpfen, das gehe entschieden zu weit, kritisierte auch Alena Buyx.

Nun ist der mittlerweile 77 Jahre alte Lafontaine selbst geimpft, was seine Frau sehr beruhigt, wie sie sagte. Aber es gebe eben bezahltes Expertentum, die Pharmaindustrie habe einen großen Einfluss in der Politik, und Lauterbach sorge seit anderthalb Jahren mit seinem „ständigen Alarmismus“dafür, dass die Leute gar nichts mehr glaubten. Stimmt nicht, sagte Alena Buyx wieder. Etwa 25 Prozent der Deutschen gingen die Corona-Maßnahmen zu weit – der Rest hält sie für angemessen oder wünschte sich sogar schärfere Vorkehrungen.