Seit 2002 ermittelt Maria Furtwängler als Tatort-Kommissarin Charlotte Lindholm in Niedersachsen. In "Schicksalsjahre" schlüpft sie in eine ganz andere Rolle. Foto: dpa

Die Schauspielerin Maria Furtwängler über ihre Rolle  TV-Zweiteiler "Schicksalsjahre".

Es könnte das TV-Ereignis des Jahres werden. "Schicksalsjahre" erzählt die Geschichte einer Frau, die den 2. Weltkrieg und die Zeit danach überstehen muss. In der Hauptrolle: Maria Furtwängler.

Frau Furtwängler, was machen Sie am Sonntagabend?

Tatort schauen! (lacht)

Ehrlich?

Nein, das war nur ein Scherz. Ich werde in guter alter Tradition wie bei anderen Filmen, die ich gemacht habe, einige enge Freunde einladen, die mit mir und meiner Familie dann "Schicksalsjahre" schauen.

Gibt es womöglich Momente, in denen Sie den Raum verlassen müssen?

Ja.

Warum?

Es gibt sehr emotionale Szenen. Das sind Momente, mit denen ich beim Drehen innerlich sehr verbunden war und bei denen ich nicht unbedingt sehen will, wie sie nach außen wirken. Sehr emotionale Momente voller Schmerz und Verzweiflung sind ja auch keine, in denen man besonders gut aussieht.

Zum Beispiel?

Nachdem die Nazis Ursula nötigen, sich von ihrem über alles geliebten Mann scheiden zu lassen, rennt sie an den Strand und schreit ihre ganze Wut und Hilflosigkeit raus. Oder nehmen Sie die Szene, in der ich vor dem Untersuchungsausschuss auftreten muss. Da habe ich beim Drehen eine unglaubliche Wut gegenüber der Willkür der Herren, die über ihr Anrecht auf Hinterbliebenenrente entscheiden sollten, gespürt. Das war für mich hoch emotional, und da will ich mein Gesicht nicht unbedingt im Fernsehen sehen.

Wie kam es überhaupt dazu, dass Sie diesen Film gemacht haben?

Es gab zwei Faktoren. Zum einen war es der Produzent Nico Hoffmann, mit dem ich den Film "Die Flucht" gemacht und dem ich zugetraut habe, diesen schwierigen und ernsthaften Stoff zu verfilmen. Zum anderen hat mich das Buch "Vom Glück nur ein Schatten" von Uwe-Karsten Heye über das Leben seiner Mutter Ursula ungemein angerührt, weil es die Realität so vieler Frauen damals so eindringlich schildert und ich gemerkt habe, wie sehr der Stoff auch mit meiner Familiengeschichte zu tun hat.

Ihre Familie hat Ähnliches erlebt?

Meine Mutter war das Kind einer vaterlosen Generation. Ihr Vater fiel im Krieg, als sie drei Jahre alt war. Von ihrem fünften bis zum achten Lebensjahr war sie ganz von der Mutter weg, sie kannte also nicht diese väterliche und mütterliche Fürsorge, wie wir sie heute unseren Kindern zukommen lassen. Und meine Großmutter habe ich stets als sehr knorrige und kalte Person erlebt. Erst viele Jahre später habe ich erfahren, dass sie im Krieg zwei Söhne verloren hatte. Sie hat darüber aber nie mit mir geredet.

Es gibt bereits viele Filme, die Schicksale im Krieg thematisieren. Hatten Sie nicht die Sorge, es könnte nur Gleiches vom Immergleichen werden?

Mich hat überzeugt, dass in diesem Fall nicht das historische Ereignis im Vordergrund steht - also die Flucht, die Bombardierung wie bei "Dresden" etc. -, sondern das Schicksal einer Familie erzählt wird, wie es damals millionenfach ähnlich vorgekommen sein mag.

Ist es Ihnen schwergefallen, von der Rolle der "Tatort"-Kommissarin Charlotte Lindholm auf die Rolle der Alleinerziehenden im Krieg umzuschalten?

Die eine Rolle ist mit der anderen nicht zu vergleichen, das sind zwei Welten. Charlotte Lindholm ist eine Kunstfigur, die ich im "Tatort" ungeheuer gern spiele. Im Film "Schicksalsjahre" spiele ich aber Ursula Heye, die es wirklich so gab.

"Es ist mein bisher schwierigster Film"

Wie schwierig war die Vorbereitung?

Ich bin leidenschaftlich gern Schauspielerin, das ist mein Leben. Aber die Vorbereitung auf diese Rolle war so aufwendig wie keine andere zuvor.

Und wie lief das?

Mir haben die vielen Gespräche mit Uwe-Karsten Heye über seine Mutter sehr geholfen. Mindestens genauso wichtig waren die Briefe seiner Mutter und das kleine Album mit sehr persönlichen Bildern aus der damaligen Zeit. Vor allem die Fotos, die zeigen, wie ihr Mann für wenige Tage von der Front zum Urlaub nach Hause kam, sind ungeheuer ergreifend, zumal sie kleine Gedichte dazu geschrieben hat. Da spricht aus jeder Zeile eine ungeheuer tiefgehende Liebe. Nachdem ich das alles immer wieder gelesen und angeschaut habe, konnte ich eine große emotionale Verbindung zu der Frau in jener Zeit herstellen. Für mich war das alles sehr hilfreich, aber auch sehr berührend.

Sie selbst sind Mutter und leben diese Rolle in dem Film zu 100 Prozent. Gibt es eine Szene, die Ihnen besonders schwerfiel?

Vor allem die Szene vor dem Untersuchungsausschuss war brutal schwierig, weil ich gehorsam und obrigkeitstreu sein musste, obwohl ich im wirklichen Leben so nicht bin. Dieser innere Widerstand und dieses unfassbare Gefühl von Ungerechtigkeit haben in mir gebrodelt. Aber mir war klar, dass die Szene gelingen muss, weil ich sonst dem Schicksal von Ursula und den anderen Frauen damals nicht gerecht werden würde. Ich hatte Angst vor dieser Schlüsselszene, war tagelang verkrampft.

Und dann?

Nach fünf Minuten war alles im Kasten. Ich konnte es nicht glauben. Aber wenn ich die Szene jetzt anschaue, finde ich sie eigentlich sehr gelungen.

Würden Sie sagen, "Schicksalsjahre" war Ihr bisher schwierigster Film?

Ja, mit weitem Abstand. Zum einen zeigt der Film, wie sich eine Frau über 20 Jahre hinweg verändert, und das meine ich nicht nur äußerlich, weil ich zu Beginn lange blonde Haare habe und am Ende ergraut bin. Aber da kann man ja mit Maske und vor allem Licht einiges erreichen. Viel größer war die Herausforderung, erst die junge, lebensfrohe und dann die ältere, vom Schicksal gezeichnete Frau zu spielen. Also einen Menschen, der den Verlust der großen Liebe verkraften und über den Verlust der Heimat hinwegkommen muss und der Tag und Nacht geschuftet hat, um die Familie nicht verhungern zu lassen. Dieser Film war für mich eine große Wundertüte und eine Herausforderung, die ich so nicht kannte.

Der Film deckt drei Jahrzehnte deutscher Geschichte ab. Hat er eine Botschaft?

Ja, es ist wichtig, dass Menschen sich äußern und die Stimme gegen Unrecht erheben. Ursula wird erst im Laufe ihres Lebens zu einer politisch denkenden Frau. Zurückblickend auf die Naziherrschaft sagt sie nach Kriegsende den wichtigen Satz: "Ich bin Teil dieser Schuld, weil ich mich weggeduckt und geschwiegen habe." Da ist sie eine Ausnahme, die meisten haben sich damals im Wirtschaftswunder-Aufschwung versteckt und dumpfe Verdrängung betrieben ob ihrer Beteiligung an den Gräueltaten während des Krieges. Ursula macht das nicht, davor habe ich großen Respekt.

Was können wir daraus lernen?

Wenn man das in die Jetztzeit projiziert, erleben wir doch derzeit eine gigantische gesellschaftspolitische Veränderung durch die sozialen Netzwerke wie Facebook. Schauen Sie sich die Ereignisse in Ägypten an. Plötzlich gibt es eine Möglichkeit, sich zu artikulieren und eine Bewegung auf die Beine zu stellen, die vorher undenkbar schien. Da verändert sich etwas in gigantischem Tempo. Die Menschen spüren, dass sie etwas bewegen können.

Vier Monate Dreharbeiten. Wie sehr hat Sie der Stoff des Films auch persönlich geprägt?

Mir war die Geschichte meiner Familie und vor allem die Rollen der Frauen in der damaligen Zeit bis dahin nicht so bewusst. Der Film hat deshalb auch dazu geführt, meine Großmutter anders zu verstehen. Ich wünschte, dass ich jetzt noch mal mit ihr am Tisch sitzen könnte, ihre Hand halten und mit ihr reden könnte. Vielleicht könnte ich dann ihre Erlebnisse und ihren Schmerz anders verstehen und nachvollziehen, warum ich sie oft als abweisend empfunden habe.

Wenn man so einen großen Film gemacht hat, fällt man danach in ein Loch?

Nicht in ein Loch, aber nach einem solchen Epos ist es erst einmal schwer, sich für die nächste schauspielerische Rolle zu begeistern. Ich sehne mich jetzt nach einer ganz anderen Rolle, zum Beispiel einer frechen, schnellen, bösen Komödie. Oder nach einem Kinofilm. Das würde ich gern mal machen.

ZDF, Sonntag und Montag, 20.15 Uhr