David Müller, Marco Grüttner, Dominik Salz (v. li.): Beim SGV Freiberg gibt es in dieser Oberliga-Saison häufig Grund zu jubeln. Foto: Baumann

Marco Grüttner ist Kopf, Kapitän, Torjäger und auch Sportlicher Leiter des SGV Freiberg. Wie der Ex-Profi den Zweikampf mit den Stuttgarter Kickers in der Oberliga einschätzt und wie er sich den Höhenflug seines Teams erklärt, verrät er im Interview.

Stuttgart - In normalen Zeiten hätte dieses Spiel 3000 bis 4000 Zuschauer ins Gazi-Stadion gelockt. Nun findet das für kommenden Samstag angesetzte Spitzenspiel der Fußball-Oberliga zwischen den Stuttgarter Kickers und dem SGV Freiberg gar nicht statt. Auch Freibergs Kapitän Marco Grüttner findet den Ausfall schade, blickt aber optimistisch in die Zukunft. Seine Idealvorstellung für die Zukunft: Vielleicht treffen sich beide Clubs eine Etage höher wieder.

Herr Grüttner, am kommenden Samstag hätte eigentlich ein ganz besonderes Spiel auf dem Programm gestanden.

Das kann man wohl sagen. Wir vom SGV Freiberg haben uns alle schon sehr darauf gefreut. Bei den Stuttgarter Kickers dürfte das keinen Deut anders gewesen sein. Schade, schade für uns alle, dass dieses Spitzenspiel nicht stattfinden kann. Aber es läuft uns ja hoffentlich nicht weg.

Hätte der Ausgang der Partie vorentscheidenden Charakter für Meisterschaft und Direktaufstieg gehabt?

Nein, das glaube ich nicht. Die Saison geht ja hoffentlich noch lange. Außerdem hätten die Kickers davor noch zwei Spiele gehabt, wir eines. Man weiß nicht, wie die Ausgangsposition vor dem direkten Duell genau gewesen wäre.

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Wie halten Sie und Ihr Team sich derzeit fit?

Wir trainieren bis auf weiteres individuell. Wir haben Pläne fürs Lauftraining erhalten, machen Stabilisationsübungen und absolvieren auch onlinegesteuerte Übungseinheiten mit unserem Trainerteam. So bleiben wir auch weiterhin in Kontakt.

Sie fungieren auch als Sportlicher Leiter. Inwiefern nutzen Sie die Zwangspause für Ihre Arbeit abseits des Rasens?

Ich versuche, gemeinsam mit unseren Sportdirektor Christian Werner zukunftsrelevante Themen anzusprechen, die Strukturen im Verein weiter zu verfeinern und zu professionalisieren und unseren vielen ehrenamtlichen Mitarbeitern auch Aufgaben abzunehmen.

Bis Ende Juni waren Sie noch Profi bei Zweitligist SSV Jahn Regensburg. Inwieweit hatten Sie bereits Einfluss auf den aktuellen Freiberger Kader?

Ich stand mit Christian Werner regelmäßig in Verbindung. Er hat in Österreich bereits erfolgreich gearbeitet und besitzt ein großes Netzwerk. Ich selbst bin schon lange im Geschäft und pflege vor allem in der Region vielfältige Kontakte. Daher war es auch möglich, dass wir an Spieler rankommen, die sonst wahrscheinlich nicht für den SGV zu haben gewesen wären.

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13 Oberligaspiele, elf Siege, zwei Unentschieden, null Niederlagen. Wie konnten 20 Neuzugänge so schnell zu einer dermaßen schlagkräftigen Einheit zusammenwachsen?

Ich muss sagen, das hat auch mich in dieser Form überrascht. Das erste Punktspiel bei der TSG Backnang (Anm.d.Red.: 1:1) lief noch recht holprig, danach nahmen wir richtig Fahrt auf.

Dreimal gewannen Sie mit 7:0.

Das ist in der Oberliga schon sehr außergewöhnlich. Wir haben eine charakterlich einwandfreie Mannschaft, die auch bei einer klaren Führung weiter hungrig bleibt. Unser Trainerteam um Chefcoach Evangelos Sbonias leistet wirklich hervorragende Arbeit.

Nur im WFV-Pokal verabschiedete sich Ihr Team durch eine Niederlage nach Elfmeterschießen bei Landesligist FV Olympia Laupheim.

Und das finde ich ziemlich ärgerlich. Denn es war eines meiner große Ziele, auch im Pokal etwas zu reißen, im Optimalfall die Teilnahme am DFB-Pokal zu erreichen. Doch offenbar war dieses Aus Anfang September ein Schuss vor den Bug zu richtigen Zeit.

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Der SGV und die Kickers schieben sich gegenseitig die Favoritenrolle zu. Wie sehen Sie es?

Die Kickers spielen das dritte Jahr in der Oberliga – sie müssen aufsteigen. Der SGV wäre ohne Corona wohl in die Verbandsliga abgestiegen – wir wollen aufsteigen. Die Kickers sind und bleiben mit ihren professionellen Strukturen, ihrem Namen, ihren Spielern der klare Favorit. Wir wollen sie ärgern.

Der Freiberger Kader ist doch aber mit mindestens genauso vielen klangvollen Namen und auch erfahrenen Spielern bestückt. Wo nimmt der Verein, der vor der Pandemie im Schnitt keine 300 Zuschauer bei den Heimspielen hatte, das viele Geld her? Kommt es vor allem vom Präsidenten Emir Cerkez?

Es wird immer sehr viel gesprochen über Geld. Aber Geld ist nicht alles. Herr Cerkez ist ein im positiven Sinne Fußballverrückter, der den Verein schon viele Jahre unterstützt. Aber der Verein hat durchaus ein Netzwerk an Sponsoren. Es ist ein Trugschluss, dass unsere Spieler teuer sind.

Wie bitte?

Ich gebe Ihnen Beispiele. Yannick Thermann hat ein Jahr nicht gespielt und viele Vereine haben sich nicht getraut, ihn zu verpflichten. Die Spieler aus der Pforzheimer Region wollten unbedingt zu uns, und sie nehmen teilweise einen Riesenaufwand in Kauf, stehen auf dem Weg ins Training manchmal über eine Stunde im Stau. Andere Spieler haben auf Geld verzichtet, um in dieser Mannschaft zu spielen. Klar wollen viele den Erfolg mit Geld erklären. Fakt ist aber, dass Christian Werner und ich sehr hart gearbeitet haben, um solch eine Mannschaft zu stellen.

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Was verbinden Sie noch mit Ihrer Zeit bei den Kickers?

Das war eine schöne und aufregende Zeit. Der Aufstieg in die dritte Liga mit Trainer Dirk Schuster 2012 war ein Highlight. Der Klassenverbleib 2013 unter Coach Massimo Morales in diesem dramatischen Abstiegsfinale auf dem Darmstädter Böllenfalltor gegen unserem Ex-Coach Schuster. Bei diesem 1:1 hatte uns Kevin Dicklhuber in Führung geschossen, auf ihn treffe ich jetzt bei den Duellen mit dem 1. Göppinger SV. Ja, es war eine erfolgreiche Zeit. Schade, dass die Blauen jetzt da sind, wo sie sind. Ich wünsche ihnen alles Gute, nur nicht unbedingt in dieser Saison, aber vielleicht gelingt uns ja eine elegante Lösung.

Sie meinen, ein Club steigt direkt auf, der andere über die Relegation?

Genau – und wir treffen uns in der Regionalliga wieder. Dann ist hoffentlich die Corona-Pandemie vorbei, alle sind gesund und wir spielen das Derby vor 3000 bis 4000 Zuschauern eine Etage höher.