Marc-Oliver Hendriks vor dem Stuttgarter Opernhaus Foto: Bernd Weissbrod/dpa

Um an deutschen Theatern die Lage zu entspannen, empfiehlt Marc-Oliver Hendriks, der Geschäftsführende Intendant der Stuttgarter Staatstheater, den Blick nach Österreich zu richten.

Stuttgart - Die Stuttgarter Staatstheater starten an diesem Freitag mit der Uraufführung von Thomas Melles Schauspiel „Die Lage“ in die neue Saison. Das Coronavirus bringt, was Platzzahl und Probensituation betrifft, viele Herausforderungen mit sich.

Herr Hendriks, ist Ihnen bange vor der jetzt startenden Theatersaison?

Seit wir im März wegen Corona den Spielbetrieb für zunächst sechs Wochen einstellen mussten, haben wir alle eine steile Lernkurve in einem für uns fremden Fach absolviert: von tastender Vorsicht hin zu einer betrieblichen Stabilität, die es allen Sparten – Oper, Schauspiel, Ballett – schließlich erlaubte, noch vor der Sommerpause im Haus selbst wieder Aufführungen zu zeigen. Von diesen Erfahrungen profitieren wir weiter.

Trotzdem haben Sie nur einen Spielplan bis Dezember beziehungsweise Januar vorgelegt.

Wir planen in abgestuften Szenarien und schreiben sie mit Blick auf weitere Entwicklungen fort. Deshalb haben wir zunächst nur die erste Spielzeithälfte veröffentlicht. Dass wir als Betrieb mit dynamischen Veränderungen professionell umgehen können, haben wir schon häufiger bewiesen. Das kann aber nicht darüber hinwegtäuschen, dass es für Theater und Publikum eine schwierige Zeit ist.

Wie könnte die Politik die Lage entspannen?

Der Blick ins Ausland erweitert den Horizont. Bei den Salzburger Festspielen waren 80 000 Besucher, die keinen einzigen Infektionsfall provozierten. Von dieser Erfahrung könnte man lernen und bei der Saalbelegung das „Schachbrett-Schema“ übernehmen, bei dem sich ein besetzter Platz mit einem unbesetzten abwechselt. Statt zu 25 Prozent könnten wir unsere Säle dann wie in Salzburg mit bis zu 50 Prozent belegen. Da sich unser Publikum erfahrungsgemäß sehr diszipliniert verhält, halte ich die Einführung des Schachbretts für Theater und Konzertsäle für verantwortungsvoll sowie künstlerisch und wirtschaftlich zwingend geboten.

Gibt es Signale, dass das Schachbrett kommt?

In der Schweiz und in Österreich wird es in Varianten praktiziert. Das Augenmerk liegt dort auf der Nachverfolgung, Registrierung und Eindämmung tatsächlicher Infektionen. Wenn man dieses tracingbasierte Konzept klug mit dem deutschen Ansatz bei der Prävention ausbalanciert, spricht nichts gegen eine Einführung auch in Baden-Württemberg.

Wie stark sind im Staatstheater die finanziellen Einbußen durch Corona?

Wenn weiterhin nur 25 Prozent der Plätze belegt werden, fehlen uns bis Saisonende 12 Millionen Euro, das wären über 10 Prozent des Gesamtbudgets. In einem personalintensiven Theaterbetrieb ist eine solche Größe nur noch durch Kurzarbeit aufzufangen. Wir haben sie im Juli eingeführt und konnten dadurch bereits einen hohen sechsstelligen Betrag einsparen. Wir gehen davon aus, dass diese Möglichkeit über den 31. Dezember hinaus bis weit in das kommende Jahr fortbestehen wird.

Sehen Sie denn Licht am Ende des Tunnels?

Jens Spahn rechnet im Frühjahr oder Sommer mit einem Impfstoff. Es ist also kein unplausibles Szenario, auch für die Theater eine Normalisierung zur Saison 2021/22 in den Blick zu nehmen.