Sechs Menschen wurden vor zehn Jahren bei den „Mafia-Morden“ in Duisburg erschossen. Der Grund war eine Fehde zwischen zwei verfeindeten Familien der italienischen Ndrangheta. Foto: ANSA

Eine Schüler- und Studentengruppe aus Reggio Emilia hat festgestellt, dass die Ndrangheta in ihrer Stadt aktiv ist. Ihre Recherchen veröffentlichten sie in einer Schülerzeitung – und halfen damit den Ermittlern.

Stuttgart - Im vergangenen Jahr hat in der Stadt Reggio Emilia in der Nähe von Bologna der größte Mafia-Prozess Norditaliens begonnen. Insgesamt 237 Angeklagte stehen vor Gericht, die in Verbindung mit der kalabrischen Ndrangheta stehen sollen. Rund 1000 weitere Personen sollen in die Geschäfte verwickelt gewesen sein. Für diesen Prozess wurde extra ein Hochsicherheitsgerichtssaal gebaut. Einen wichtigen Beitrag zu den Ermittlungen lieferten die Recherchen des studentischen Antimafia-Vereins „Cortocircuito“ – ein Verein, der im Jahr 2009 zunächst als Schülerzeitung begann.

„Damals war man der Überzeugung, dass es in Norditalien keine Mafia gäbe“, sagt Elia Minari, Jurastudent und Vorsitzender des Vereins. „Aber die Wirklichkeit sah dann ganz anders aus, als wir dachten.“ Die Schüler ermittelten mithilfe von öffentlich zugänglichen Dokumenten die Namen von Firmeninhabern und deren Einkünfte. Gleichzeitig schauten sie sich die Arbeit von Gemeinden an, und untersuchten, wer häufig Zuschläge für öffentliche Aufträge erhielt. Weiterhin durchstöberten sie Prozessakten beispielsweise bei Brandstiftungen und Körperverletzungen. Dabei stießen sie immer wieder auf die gleichen Namen. „Diese Akten wären für jeden einsehbar gewesen“, betont Minari.

Videos der Schüler dienten als Beweismittel

Doch mit diesem Wissen gaben sich die Schüler nicht zufrieden. Sie suchten die jeweiligen Personen auf und stellten ihnen unbequeme Fragen. So beispielsweise Gaetano Blasco, einem Bauunternehmer aus Augsburg, der heute zu den Hauptangeklagten im Massenprozess in Reggio Emilia gehört. In einem Video hat der Verein „Cortocircuito“ die Konfrontation dokumentiert. „Dabei wurden wir zum ersten Mal wirklich bedroht“, erzählt Francesca Montinari, Studentin der Internationalen Beziehungen und Präsidentin des Vereins.

„Er hat uns angeschrien und wollte uns mit dem Mikrofon auf den Kopf schlagen.“ Als sich das Team entfernte, sei es zudem kurzzeitig von einem Mini-Van verfolgt worden. „Es gab schon Momente, an denen wir uns gefragt haben, ob wir nicht besser aufhören sollen“, gibt Montinari zu. Doch die Unterstützung der Ordnungskräfte und vieler Einwohner ihrer Stadt habe sie zum weitermachen animiert. Viele ihrer Videos haben in dem Prozess mittlerweile als Beweismittel gedient.

Dass die Ndrangheta auch in Deutschland agiert, weiß auch Kriminalhauptkommissar Wolfgang Rahm vom Landeskriminalamt Baden-Württemberg. Allerdings gebe sich die Mafia, anders als in Nostalgie-Filmen dargestellt, heute bürgerlich und modern. „Es sind Menschen in schicken Anzügen. Sie sponsorn Sport- und Kirchenevents und geben sich nach außen als Wohltäter“, erklärt Minari. „Deshalb finden sie in der Bevölkerung häufig Zuspruch.“

Allerdings sei das Geld an ihren Händen blutig, so Rahm. Die italienische Mafia agiere auf zwei Ebenen. Auf der einen Seite stünden die so genannten Beschaffungskriminellen. Sie seien für Drogen, Erpressung oder Waffen zuständig. Das erschwere die Arbeit der Polizei, da verschiedene Dienststellen bundesweit lediglich die Einzeldelikte aufnehmen und so nur selten eine Verbindung ersichtlich werde. „Die Mafiosi auf höherer Ebene machen sich hier aber nicht die Hände schmutzig“, so Rahm. Sie legen das Geld an und seien vielmehr Wirtschaftskriminelle, die beispielsweise Händler dazu zwingen, überteuerte Produkte zu kaufen. Damit erwirtschaftet die Ndrangheta jährlich einen Umsatz von rund 53 Milliarden Euro.

Woran man ein Unternehmen der Mafia erkennt

Aber wie erkennt man, ob beispielsweise die Pizzeria nebenan ein Mafia-Unternehmen ist, oder eben einfach nur ein Restaurant? „Grundsätzlich gilt in Deutschland eine Unschuldsvermutung“, sagt Rahm. Dennoch gebe es einige Anzeichen, die die Bürger hellhörig werden lassen sollten. „Beispielsweise wenn ein Missverhältnis zwischen einem Lokal und den dahinter parkenden Autos besteht.“ Auch wenn ein Lokal immer wieder öffnet und schließt, der Besitzer aber bleibt, könnte das ein Indiz für eine Beteiligung der Ndrangheta sein, fügt Minari hinzu. „Wir sind auf Hinweise aus der Bevölkerung angewiesen, daher sollte ein Verdacht immer beim Landeskriminalamt gemeldet werden“, betont Rahm. „Allein kann die Polizei das Problem nicht lösen. Damit sind wir überfordert.“ Daher sei es so wichtig, dass jeder Bürger hinschaut und im Verdachtsfall Zivilcourage zeige. Ebenso wie die jungen Studenten aus Reggio Emilia.