Bundeswirtschaftsminister Rainer Brüderle Foto: dpa

Wirtschaftsminister Brüderle legt sich mit Spitzenvertretern der deutschen Wirtschaft an

Stuttgart - Üblicherweise sind Bundeswirtschaftsminister eher an der Frage interessiert, wie sie den Firmen entgegenkommen können, damit diese neue Arbeitsplätze schaffen können. Nun aber legt sich Minister Brüderle mit den Spitzenvertretern der deutschen Wirtschaft an.

Die Forderung von Bundeswirtschaftsminister Rainer Brüderle (FDP) nach deutlich höheren Löhnen hat eine Diskussion über Tarifautonomie und Mindestlöhne entfacht. Arbeitgeberpräsident Dieter Hundt, das arbeitgebernahe Institut der deutschen Wirtschaft (IW) und der Verband der Jungen Unternehmer kritisierten die Äußerungen am Donnerstag und verwiesen auf die unsichere weitere Entwicklung der Konjunktur. Die Dienstleistungsgewerkschaft Verdi, SPD und Linke nahmen die Debatte zum Anlass, erneut auf Mindestlöhne zu pochen. Der Deutsche Gewerkschaftsbund (DGB) sprach sich gegen eine Einmischung der Politik in Tarifdiskussionen aus.Brüderle sagte: "Wenn die Wirtschaft boomt, sind auch kräftige Lohnerhöhungen möglich." Der Minister machte zwar deutlich, dass allein die Tarifpartner über die Höhe der Löhne entschieden und die Politik sich nicht einmischen solle, nannte als Vorbild aber die Stahlindustrie, wo die Beschäftigten in Nordrhein-Westfalen, Niedersachsen und Bremen sowie in Ostdeutschland von Oktober an 3,6 Prozent mehr Gehalt bekommen. "Der Abschluss in der Stahlbranche hat gezeigt, dass ein fairer Ausgleich möglich ist, an dem sich vielleicht andere Branchen orientieren könnten", sagte Brüderle.

Hundt widersprach dem FDP-Minister. Das Tarifergebnis für die Stahlindustrie könne "auf keinen Fall Maßstab für andere Bereiche sein", sagte er. Zwar erlebten die meisten Branchen derzeit einen wirtschaftlichen Aufschwung, die Folgen der Krise seien aber noch lange nicht überwunden. Hinzu komme, dass die Tarifverträge zahlreicher Branchen bis 2011 oder 2012 reichten. Die danach zu vereinbarenden Tariflohnsteigerungen müssten "den aktuellen Rahmenbedingungen Rechnung tragen".

Verdi-Sprecher begrüßte die Aussage Brüderles. "Wir finden es gut, dass jetzt auch der Minister einsieht, dass höhere Löhne wichtig für eine Stärkung der Binnenkaufkraft sind", sagte er. Zudem sprach er sich für die Einführung eines gesetzlichen Mindestlohns aus. Gleiches forderten auch SPD und Linke. Linke-Chef Klaus Ernst sagte, der Wirtschaftsminister dürfe "nicht nur mit dem Finger auf die Tarifparteien zeigen". Gute Löhne hätten auch etwas mit guten Gesetzen zu tun, sagte er. Mit einem Mindestlohn von zehn Euro pro Stunde würden die Einkommen im Niedriglohnbereich nach oben gezogen. SPD-Generalsekretärin Andrea Nahles sagte, die Politik setze darauf, dass sich alles von selbst regele. Nötig seien hingegen flächendeckende Mindestlöhne. "Wir brauchen endlich eine Politik, die auch die Binnennachfrage ankurbelt", forderte Nahles.

Deutsche Lohnpolitik in der Kritik

Im internationalen Vergleich allerdings sind die Arbeitskosten in Deutschland auch heute noch hoch. In der Industrie, die durch den internationalen Wettbewerb unter besonders hohem Kostendruck steht, kostete eine Arbeitsstunde 2009 nach Angaben des Statistischen Bundesamts 35,60 Euro. Nur zwei EU-Länder - Belgien und Dänemark - liegen oberhalb dieses Niveaus, 24 Länder haben niedrigere Arbeitskosten pro Stunde. Dass Deutschland dennoch mit China um den inoffiziellen Titel des Exportweltmeisters rangelt, liegt an der Produktivität in Deutschland, die dazu führt, dass pro Arbeitnehmer eine wesentlich höhere Wertschöpfung erzielt werden kann. Darüber hinaus punktet Deutschland auf den Weltmärkten vor allem mit technologisch anspruchsvollen Produkten, für die Käufer mehr zu zahlen bereit sind. Allerdings holen andere Länder wie etwa China technologisch zunehmend auf und bedrohen diesen technologischen Vorsprung. Der Wettbewerb führte dazu, dass die Lohnkosten in Deutschland zwischen 1999 und 2009 um lediglich 2,9 Prozent gestiegen sind, während die Euro-Länder im Durchschnitt um rund 20 Prozent zulegten.

Im Frühjahr war Deutschland wegen seiner moderaten Lohnpolitik heftig unter Beschuss geraten. Die französische Finanzministerin Christine Lagarde hatte den Deutschen vorgeworfen, eine Mitschuld am Beinahezusammenbruch Griechenlands zu haben, da Deutschland durch seine hohen Exportüberschüsse automatisch Zahlungsbilanzdefizite bei anderen Ländern auslöse. Höhere Löhne in Deutschland, so ihre Forderung, würden diese Exportstärke reduzieren, die Kaufkraft und somit die Nachfrage der Deutschen nach Gütern aus dem Ausland erhöhen. Damit verbessere sich die finanzielle Lage der angeschlagenen Defizitländer.

Bundeskanzlerin Angela Merkel hatte diese Forderung allerdings zurückgewiesen. Würde Deutschland seine Wettbewerbsfähigkeit verschlechtern, so die deutsche Argumentation, wäre dies schlecht für den gesamten Euro-Raum, da dann andere Weltregionen wie Asien und die USA den EU-Firmen das Leben schwermachen könnten.Der Chefvolkswirt der Deutschen Bank, Thomas Mayer, sieht noch einen weiteren Lösungsansatz. Ein Anstieg der inländischen Nachfrage sei in der Tat geeignet, den internationalen Ungleichgewichten entgegenzuwirken. Doch dafür müssten nicht unbedingt die Löhne stark erhöht werden. Dies gelinge auch, indem man einfache Arbeiten wie den Ticketverkauf am Bahnhof oder den Schrankenwärter im Parkhaus wieder einführe, erklärte er der "Frankfurter Rundschau". Nicht nur höhere Löhne für die Beschäftigten steigern die inländische Nachfrage, sondern auch mehr niedrig bezahlte Jobs für Arbeitslose.