Alles wird digital, was bedeutet das für die Bürger? Ludwigsburg sucht Antworten. Foto: dpa

Ludwigsburg macht sich fit für die Zukunft. Trotz aller Technologie: Es geht um die Bürger. Ein Überblick über die Projekte in der Stadt zeigt spannende Möglichkeiten – und Probleme der Datenerfassung.

Ludwigsburg - In einer smarten Stadt ist alles ganz einfach: Intelligente Straßenlaternen erhellen bei Dunkelheit nach Bedarf, mit Sensoren bestückte Parkplätze weisen Autos den Weg durchs Verkehrsgewühl, fortschrittliche Verwaltungen bieten ihre Bürgerdienste im allzeit bereiten Internet an. Noch ist die Smart City eine Utopie, doch in Ludwigsburg hat die Transformation bereits begonnen. Nicht aus blinder Fortschrittsgläubigkeit, wie der Oberbürgermeister Werner Spec immer wieder versichert, sondern um sie in den Dienst der Gesellschaft zu stellen, um Antworten auf die Frage zu finden: Wie können wir morgen leben. Natürlich stets unter der Prämisse, dass alle Daten allzeit sicher vor Hackern und Viren sind. Künftig werden viel mehr Menschen in die Städte ziehen. Für morgen brauchen die Städte deshalb Verkehrsnetze, auf denen etwas geht statt steht. Und Stromnetze, die nicht kollabieren, wenn sie zu Spitzenzeiten alles geben müssen. Platz zum Wohnen, der heute schon knapp ist, muss verfügbar sein, und Firmen, die zukunftsträchtige Arbeitsplätze bieten, sollen sich hier ansiedeln. Ludwigsburg hat vor drei Jahren ein lebendiges Labor eingerichtet, korrekt heißt es Living Lab. Dabei handelt es sich nicht um eine Forscherzelle, wo im Verborgenen gewerkelt wird. Das Ludwigsburger Labor ist an vielen Orten gleichzeitig aktiv, die Laboranten kommen aus der Wirtschaft, der Wissenschaft und der Verwaltung, um in unterschiedlichen Konstellationen neue Technologien zu entwickeln und zu testen. Die Fäden laufen bei Andrea Bräuning zusammen, die die Geschäftsstelle des Living Lab leitet, die beim Referat für Nachhaltige Stadtentwicklung angesiedelt ist. Das wichtigste Instrument der Laboranten ist die Digitalisierung. Sie erst macht es möglich, dass die Stadt von morgen smart wird. Am Mittwoch gibt es im Gemeinderat einen Bericht zum Living Lab. Hier stellen wir Themen vor, die die Städter von morgen heute beschäftigen.

Tüfteln am morgen

Intelligente Städte sind attraktive Städte. Sie ziehen innovative Unternehmen an, die wiederum Fachkräfte anziehen, was wiederum dazu führt, dass eine Smart City eine prosperierende Stadt ist. Besonders gut lässt sich das schon jetzt im größten Experimentierfeld des Living Lab sehen – in der Weststadt. Dort, im Werkzentrum West an der Schwieberdinger Straße, haben sich unter anderem junge Töchter von Porsche und von Bosch angesiedelt und mehrere Hundert Arbeitsplätze mitgebracht. Junge, bestens ausgebildete Fachkräfte tüfteln dort gemeinsam an digitalen Geschäftsideen.

Besonders anschaulich lässt sich das futuristische Arbeiten in der Grönerstraße beobachten. Dort hat die Firma Bosch testweise Sensoren auf den Boden geklebt, deren Daten in eine App einfließen sollen, die Autofahrern künftig übermittelt, wo es freie Parkplätze gibt. Im lebendigen Labor können die Firmen ihre unterschiedlichen Ansätze erproben – und Lösungen für den Anwender entwickeln. Autofahrer sollen ja nicht zwischen Apps verschiedener Anbieter wechseln müssen, nur weil sich Städte für unterschiedliche Parkplatzmeldesysteme entscheiden.

Strom der Zeit

Digital ist das neue Bio. Besonders schön sehen kann man das entlang des Fuß- und Radwegs zwischen Oßweil und der Oststadt. Die 23 Straßenlaternen, die dort installiert wurden, leuchten nur dann, wenn es wirklich nötig ist. Bewegt sich in ihrer Umgebung nichts, dimmen die LED-Lampen automatisch das Licht. Nähert sich jemand, erhellen sie die Umgebung wieder. Mit intelligenten Straßenlampen lassen sich auf Sicht 60 Prozent der Energiekosten sparen. Optional können die Leuchten auch als WLAN-Punkt dienen, als Ladestation für E-Fahrzeuge oder als Notrufeinrichtung.

In einem intelligenten Stromnetz sind der Verbrauch und das Angebot also optimal aufeinander abgestimmt. Die Voraussetzung dafür ist, salopp formuliert, dass die Energie aus den verschiedenen Quellen an einem einzigen Ort sammelbar wird und von dort smart verteilt werden kann. Die Stadtwerke planen in der Weststadt einen Pilotversuch mit einer Art mitdenkendem Speicher. Seine Software wird ihm verraten, wie das Wetter – und damit der zu erwartende Energieverbrauch – wird.

Und die Software teilt dem Speicher auch mit, ob er seine Kammern bedenkenlos leeren kann oder besser füllen sollte. Ist letzteres der Fall, weiß er auch gleich, woher er die Energie beziehen soll: Aus Fotovoltaikquellen, aus Windkraftanlagen oder aus dem Blockheizkraftwerk. Das erste sogenannte Smart-Grid-System, man ahnt es, soll in der Weststadt erprobt werden.

Wohnen im Quadrat

Wenn digital alles schneller wird, werden auch Veränderungen immer schneller. Strukturen lösen sich auf, nix ist fix. Für immer am selben Ort zu leben oder zu arbeiten, wird noch seltener werden als es bereits geworden ist. Ein immobiles Eigenheim – oder ein starres Firmengebäude – ist da mehr Klotz als Traum. Die Zukunft gehört Würfeln, wie es heißt. Modulares Wohnen heißt der Fachbegriff.

In der Brucknerstraße in der Ludwigsburger Oststadt wird die Zukunft des Wohnens – living-lab-getreu – bereits gebaut: Quader aus Holz. Die Stadt wird dort Flüchtlinge einquartieren. Das Charmante an den Würfeln: Sie sind flexibel nutzbar, beliebig erweiterbar, und am Schluss komplett recycelbar. Attraktiv sind sie deshalb auch für Start-up-Unternehmen, die ihre Mitarbeiterzahl mit Modulen problemlos ihrem Erfolg anpassen können. Eine Werkhalle, die für eine kleine Firma viel zu groß wäre, lässt sich auf diese Weise in eine Halle für viele kleine Firmen verwandeln. In der Weststadt – wo sonst – gibt es längst Pläne für die ersten Arbeitswürfel. Außerdem wird im Living Lab daran getüftelt, modulare Wohnmöglichkeiten für Wochenendpendler in der Stadt anzubieten.

Freiheit den Daten

Eine moderne Verwaltung ist wie, sagen wir, Amazon: Alles, was der Bürger benötigt, kann er online bekommen. Einen Personalausweis beantragen – kein Problem. Ein Gewerbe anmelden – schon erledigt. Einen Kitaplatz reservieren – nichts leichter als das. Nirgends sind die Auswirkungen der Digitalisierung nachvollziehbarer als auf der kommunalen Ebene.

Wobei Städte natürlich schon immer smart waren. Weil sie alles wissen: Wie viele Menschen leben im Ort; wie viele Bäume wurden gepflanzt; wo stehen Bushaltestellen; wo gibt es Spielplätze; und so weiter und so fort. Smart im heutigen Sinne werden Städte, wenn sie all diese Daten – Stichwort: Open Data – in einer Smart City Cloud zur Verfügung stellten. Dann können sie von pfiffigen Unternehmern miteinander vernetzt und in neue Produkte verwandelt werden. Zum Beispiel in eine Transport-App, die dem Nutzer im Detail erklärt, welche Möglichkeiten er hat, von A nach B zu kommen, Buchung via App inklusive. Und ein Kita-Navigator könnte Eltern verraten, welche Betreuungseinrichtungen für ihr Kind infrage kommen – und wo es freie Plätze gibt. Natürlich kann eine Kommune nicht all ihre Daten freigeben. Welche problemlos öffentlich nutzbar sein dürfen – und wie genau sie abrufbar sind – damit beschäftigen sich die IT-Experten im Ludwigsburger Rathaus momentan.

Echtes Leben

Wenn einemoderne Verwaltungwie Amazon ist, was ist dann eine moderne Innenstadt? Vielleicht ein Wollknäuel. In der modernen Stadt kann sich jeder mit jedem vernetzen, viele Fäden ergeben ein passendes Ganzes. Mittels Netzwerken finden Menschen zusammen, die, vielleicht auch nur für kurze Zeit, ein gemeinsames Interesse eint. Ein Auto teilen, Essen tauschen, ein Chorprojekt starten – alles easy. Vorausgesetzt natürlich, es gibt ein großes, starkes WLAN-Netz – an dessen Ausbau die Ludwigsburger Stadtwerke momentan arbeiten. So wie sie bereits den Bau eines flächendeckenden Glasfasernetzes in Angriff genommen haben.

Aber, verwegene Frage: Wer braucht Einzelhandelsgeschäfte, wenn es alles und noch viel mehr im Onlinehandel gibt? Diese Frage stellt sich nicht erst mit der smarten Stadt – aber vielleicht stellt sie sich nicht mehr, wenn die Forscher im Living Lab Lösungen finden. Vielleicht in Form einer Plattform, bei der die reale und die virtuelle Welt verschmelzen. Im Schuhgeschäft von morgen könnte es außer Schuhen auch den Kontakt eines Kehrwochenhelferleins geben. Oder im Buchgeschäft finden sich neben Büchern auch Bürger, die Einkäufe schleppen oder Fahrdienste übernehmen. Charmant wäre diese Form von Nachbarschaftshilfe sogar in einer City, die nicht smart ist. Unter anderem, weil sie sichtbar macht, was Offlineshopping dem Onlinekaufen immer voraus haben wird: sozialen Austausch.

Gemeinsam für Grün

Autos, die sich von Sensoren sagen lassen, wo es freie Parkplätze gibt, sind kluge Autos. Sie verstopfen nicht die Straßen und blasen nicht überflüssige Abgase in die Luft. Wenn man weiß, dass 30 Prozent des innerstädtischen Verkehrs Parksuchverkehr ist, ersparen Sensoren der Luft – und den Menschen – viel. Wenn die Nutzung öffentlicher oder geteilter Verkehrsmittel durch eine digital optimierte Verzahnung attraktiver wird, kommt das auch der Umwelt zugute. Und wenn Fahrzeuge mittelfristig nicht mehr mit fossilen Kraftstoffen angetrieben werden, sowieso.

Doch eine kluge Stadt ist natürlich nur so klug wie die Menschen, die in ihr leben. Nicht nur, dass sie sich umweltfreundlich fortbewegen sollen, idealerweise gestalten sie das, was im Living Lab Smart-Prozess genannt, mit. Mitstreiter für ein Urban-Gardening-Projekt suchen: volldigital nichts leichter als das. Oder Mitstreiter zusammentrommeln für die Pflege einer öffentlichen Grünanlage – nie war es leichter. Oder die eigenen vier Wände zu einer Messstation machen? Nichts ist unmöglich. Über am Haus angebrachte Umweltsensoren könnten die Inhaltsstoffe der Luft gemessen werden. Gäbe es viele solcher kleiner Messstationen, ergäbe sich aus den gesammelten Daten ein Profil der Luftqualität der Stadt. Und eine Stadt, die weiß, wo ihre Luft wie belastet ist, könnte etwas für ihre Entlastung tun. In Form einer, siehe Stuttgart, Mooswand etwa oder neuen Filtern. Auch damit beschäftigen sich die Ludwigsburger Labormitarbeiter.

Smart macht mobil

Im urbanen Raum von morgen muss man kein eigenes Fahrzeug mehr besitzen, um von A nach B zu kommen. Dafür gibt es andere Mittel. So könnten am Ludwigsburger Bahnhof autonom fahrende Kabinen stehen, die den Ankömmling auf einer programmierten Route zu seinem Ziel in der, sagen wir, Weststadt bringen. Dort angekommen, fahren die Kabinen alleine zum Ausgangspunkt am Bahnhof zurück.

Rein technisch ist das möglich, verkehrsrechtlich ist es kompliziert. Trotzdem tüftelt die Ludwigsburger Verwaltung mit einem nicht genannten Unternehmen aus dem Automobilbereich an einem Konzept. Im Living Lab ist auch die ernst zu nehmende Idee einer Seilbahn entstanden, die vom Bahnhof in die Weststadt gondeln könnte – natürlich nur, wenn sie das Bus- und Bahnangebot ergänzen würde. Das oberste Ziel, nicht nur in Smart Citys, ist es, weniger von dem in der Stadt zu haben, was man heute noch Individualverkehr nennt. Vorerst macht Ludwigsburg allerdings ganz unspektakulär mobiler: Auf dem Arsenalplatz müssen Autofahrer bald nicht mehr ihr Kleingeld zusammenkratzen, um einen Parkschein am Automat zu lösen. Die Tickets können dann via Handy gelöst und bezahlt werden.