Alle aufstehen: Lionel Richie will seine Fans in der Stuttgarter Schleyerhalle tanzen sehen Foto: Lichtgut/Leif Piechowski

„All the hits“, verspricht er seinen Fans - „all night long“. Bei Lionel Richie heißt das nicht wenig. Schon mit den Commodores, einer der letzten großen Motown-Gruppen, schrieb er Hit-Geschichte. Und am Mittwoch vor 6000 Fans in der Schleyerhalle bringt er tatsächlich fast alle seiner großen Hits.

Stuttgart - Er spart nicht an Hits, und er spart nicht an Persönlichkeit: Einen gereiften Entertainer erlebt das Publikum am Mittwochabend in der Hanns-Martin-Schleyer-Halle. Einen dazu, der mit einer guten Portion Selbstironie auf die Bühne kommt.

Lionel Richie gehört zu jenen Interpreten, die aus den Hitparaden der 1980er Jahre nicht wegzudenken sind. In Stuttgart lässt er jene Jahre wiederaufleben - mit gewitzter Souveränität. Stücken wie „Dancing on the Ceiling“ oder „All Night Long“ würde ein neues Arrangement mit kräftigen Bläsersätzen zwar zweifellos sehr gut stehen, aber Lionel Richie bleibt ganz im Zeitbild, er spielt seine Songs so, wie seine Fans sie kennen – aus ihrer Jugend.

Sein Publikum, diese Theorie trägt er mit breitem Stolz vor, zerfällt in drei Gruppen: Jene, die schon in den 1970ern mit dabei waren, als die Commodores die Hitparaden anführten; jene, die 1983 dazu kamen, als Lionel Richie in Deutschland seinen ersten Superhit als Solist hatte, nämlich „All Night Long“; und dann noch diejenigen, die seine Musik von ihren Eltern kennen. Lionel Richie lässt sich nichts vormachen: Auch wenn sie sich verstecken, sie sind da, seine jungen Fans. Er weiß es einfach.

Seine Band besteht aus Gitarre, Bass, Schlagzeug und zwei Keyboardern, von denen einer sich manchmal in einen Saxofonisten verwandeln darf oder mit der Mundharmonika in der Hand leise aus dem Schatten tritt.

"Mit deiner Musik bin ich aufgewachsen"

Seine Songs gehören zu jedermanns Lebens- und Liebensgeschichte, und auch das weiß Lionel Richie nur zu gut: „Lionel, mit deiner Musik bin ich aufgewachsen“, das bekomme er manchmal von Menschen zu hören, denen er auf der Straße begegnet. Und er antwortet ihnen, gut gelaunt und ehrlich: „Ja, mir geht es genauso!“ Einen Unterschied jedoch gibt es: „When you were in love, I was in love“, sagt er zu seinem Publikum. „When you were young, I was young. When you grew old - I stayed young!“ Das ist das Privileg des Künstlers: Er liebt und lebt mit seinem Publikum – und das macht ihn für immer jung.

Der Beweis steht auf der Bühne: Lionel Richie, das ist ein blendend weißes Grinsen unter einem tiefschwarzen Oberlippenbart, an dem die Jahre scheinbar spurlos vorüber gegangen zu sein scheinen, ein Mann, der noch immer in einer stilisierten Seeuniform über die Bühne schlendert, jugendlich frech, voller Witz und mit einer Stimme, die samtig sein, aber auch rhythmisch ihre Silben in den Funk spucken kann.

Alle Stile aus seinem Repertoires holt er schon früh am Abend hervor: „Easy“, das vor 23 Jahren so schlicht von Faith No More gecovert wurde, spielt er mit vielen rhythmischen Einschüben, einer Prise Reggae. Für Songs wie „Stuck On You“ setzt er sich an den Flügel, der in der Mitte der Bühne steht, aber er will seine Fans auch tanzen sehen: „Everybody stand up! You can’t sit down!“, ruft er in die Halle und spielt mit seiner Band das Stück, auf das jeder wartete, seit hinter der Bühne das Bild eines Hauses aus Ziegelsteinen leuchtete: „Brick House“ war der Superhit der Commodores im Jahr 1977, ein Stück, bei dem es seither ohnehin keinen mehr auf seinem Stuhl hält.

Auch „Three Times A Lady“ schrieb Lionel Richie für die Commodores - und für seine Eltern. Der Song erzählt von einem Kompliment, das sein Vater seiner Mutter machte. Den Sohn machte es reich, der Vater stellte ihm bis ans Ende seines Lebens nur noch eine Frage: „Wo ist mein Geld?“

An Stuttgart bricht sich Lionel die Zunge

Sein Sohn plaudert nun davon, mit seinem strahlenden Grinsen. Und von den Fans, die bei jedem seiner Konzerte in der ersten Reihe stehen und, wie er meint, jede falsche Note hören, die ihm über die Lippen kommt. Da hilft nur eines: Sie sollen es besser machen, sie sollen selbst singen.

Eigentlich, behauptet Lionel Richie, habe er Diana Ross für dieses Konzert nach Stuttgart holen wollen, in die Stadt, an deren Namen er sich den ganzen Abend über die Zunge zerbricht. Er versprach ihr Palmen und endlose Sandstrände, aber Diana wollte nicht. Und Stuttgart, sagt er, braucht sie auch gar nicht, Stuttgart kann es besser und singt mit ihm vielstimmig und textsicher „Endless Love“, sein Duett mit Diana von 1981.

Pünktlich um 20 Uhr stand Lionel Richie auf der Bühne, nach wenig mehr als zwei Stunden verlässt er sie schließlich - nicht ohne zuvor emporgeschaut zu haben, himmelwärts, dorthin, wo er Michael Jackson vermutet, mit dem er jenen Song schrieb, von dem er nun weiß, dass er für immer der bedeutungsvollste seines Lebens bleiben wird.

Geschrieben haben beide ihn nahezu auf den Monat genau 30 Jahre zuvor, im April 1985 kam er in die deutsche Hitparade und blieb dort für 21 Wochen. Und auch ihn muss Lionel Richie nun natürlich nicht alleine singen - am Mittwochabend weiß die Schleyerhalle: „We Are The World“.