Auf der Königstraße im Gespräch mit dem Wähler: Bernd Riexinger (Bildmitte) Foto: Lichtgut/Max Kovalenko

Der Linken-Kandidat Bernd Riexinger würde gern mitregieren – oder wieder eine starke Opposition bilden.

Stuttgart - Die Stimmung in der übervollen Feuerbacher Festhalle ist angespannt, die Schuldigen für jedwede Misere im Land sind durch brüllende Zwischenrufe offensichtlicher AfD-Protagonisten klar benannt. Gleich vier, darunter zwei AfD-Stadträte, dürfen als Zuschauer dem Politiker-Podium in der Fragerunde ihre Meinung zum Thema Flüchtlinge kundtun.

Bernd Riexinger reicht es jetzt. Der Parteivorsitzende der Linken hat nach 90 Minuten genug gehört. „Mich verstört, wie hier über Flüchtlinge geredet wird! Ständig tritt man auf die in der Gesellschaft, die am wenigsten haben“, sagt er – und erhält dafür langen Beifall. „Die AfD war wohl organisiert hier“, sagt er nach der Veranstaltung am Freitag, „so etwas habe ich bei keiner anderen Podiumsdiskussion erlebt“.

Schon als Jugendlicher engagiert

Der langjährige Stuttgarter Verdi-Geschäftsführer Riexinger (61) hat sich früh ein breites Kreuz zugelegt, das er schützend vor schwächere schiebt. Schon als Jugendlicher engagierte er sich bei der Leonberger Bausparkasse und stritt mit dem Arbeitgeber auch vor Gericht. Riexinger kann einstecken, aber auch austeilen. Auf die Frage des Moderators, ob er, der Solidarität als seine Haltung bezeichne, für Frau Merkel bete, zeigt sich der gebürtige Leonberger schlagfertig. Wie Kretschmann für Merkel beten? Das tue er nicht, „weil es bei ihr auch nicht helfen würde“.

Die Linke würde gern die Kanzlerdämmerung einläuten. Bei allen anderen Parteien könne man sich ja nicht sicher sein, bei der Linken schon, „dass Frau Merkel nicht mit unserer Stimme zur Bundeskanzlerin gewählt werden wird“, sagt der Mann, der den Vorsitz der Linken 2012 in turbulenten Zeiten gemeinsam mit Katja Kipping übernahm. Zuvor war er Landesvorsitzender der Partei. Trotz Vollzeitjobs in Berlin wohnt er mit Partnerin im Stuttgarter Süden.

Beifall für das Eintreten f ür Flüchtlinge

Riexinger erhält nicht nur für sein Eintreten für Flüchtlinge an diesem Abend in Feuerbach Beifall. Auch die Forderung nach deutlich billigeren Fahrpreisen im Nahverkehr, einem zehn Milliarden Euro umfassenden Programm für bezahlbaren Wohnraum und besserer Bezahlung sozialer Arbeit wird beklatscht.

Im Wahlkampf auf der Straße sind nicht Flüchtlinge oder wie in Feuerbach mit dem großen Bosch-Werk die Zukunft des Diesels das Thema. Wer am Stand in der Königstraße mit dem Parteichef spricht, den drücken geringe Renten, steigende Mieten und hohe Fahrpreise. „Bei 230 Millionen Euro Haushaltsüberschuss der Stadt verstehe ich das nicht mehr, die Stadt ist doch keine Sparkasse“, wundert sich Riexinger über die zwar mehrfach diskutierte, aber nach wie vor fehlende Tarifreform.

Hartz IV bleibt ein Thema

Hartz IV ist nach wie vor ein Thema, „vor allem für Alleinerziehende“, so der Kandidat im nördlichen Wahlkreis. Die Hochzeiten des Widerstands gegen die nach dem früheren VW-Personalvorstand Peter Hartz (der 2007 wegen Untreue und Begünstigung rechtskräftig verurteilt wurde) benannte Reform ist aber vorbei. Bei der Montagsdemo gegen die Arbeitsmarktgesetze auf dem Schlossplatz findet inzwischen nur noch ein kleines Häufchen Unentwegter zusammen. Das „Bedrohungssystem“ Hartz IV müsse weg, sagt Riexinger, Langzeitarbeitslosen sei damit nicht geholfen, Deutschland brauche ein öffentliches Beschäftigungsprogramm.

Zusammen mit Gregor Gysi bringt der Kandidat, der bei der jüngsten Landtagswahl im Stuttgarter Wahlkreis IV zwar 5,9 Prozent schaffte, dessen Partei aber mit 2,9 Prozent deutlich unter dem parlamentsfähigen Schwellenwert blieb, einige hundert Menschen auf den Schlossplatz. Riexinger spricht 35 Minuten frei, das geben die Stimmbänder locker her, ballt beide Fäuste, gestikuliert, dass das Mikro wackelt, watscht CDU, SPD und Grüne („wir machen Ökologiepolitik nicht nur für die Höhen- und Halbhöhenlage“) gleichermaßen ab und pariert Zwischenrufe souverän. Die Straße ist immer noch das Revier des Ex-Gewerkschafters.

Sauer auf die SPD

Ob der Einsatz, den er gegenüber der Landtagswahl nochmals verstärkt hat, sich am Ende auszahlt, ist ungewiss. Mit dem ersten Listenplatz hat er sein Mandat zwar sicher, doch die Linke soll, wenn schon nicht in der Regierung, wieder stärkste Oppositionsfraktion werden. „Der Wahlkampf ist belastet durch den Eindruck, dass die Wahl schon gelaufen sei. Das hat die SPD vergeigt“, ärgert sich Riexinger. Sorgen macht er sich wegen der vielen unentschlossenen Wähler. „Ich hoffe, dass es keine böse Überraschung gibt“, sagt er mit Blick auf die AfD.