Alte und neue FDP-Größen (von links): Genscher, Beer, Lindner, Rülke, Theurer und Suding. Foto: dpa

FDP-Chef Christian Lindner hat seine aus dem Bundestag geflogene Partei beim Dreikönigstreffen in Stuttgart aufgerufen, das Wahldesaster auch als Chance zu begreifen.

FDP-Chef Christian Lindner hat seine aus dem Bundestag geflogene Partei beim Dreikönigstreffen in Stuttgart aufgerufen, das Wahldesaster auch als Chance zu begreifen.

Stuttgart - Hans-Dietrich Genscher, der FDP-Ehrenvorsitzende, ist „nicht mit Wehmut, sondern mit Mut“ nach Stuttgart gereist. Zum ersten Mal in der Geschichte der Bundesrepublik versammeln sich die Liberalen auf ihrem traditionellen Dreikönigstreffen ohne aktuelle Bundestagsabgeordnete – da kommt jede Art der trotzigen Aufmunterung höchst gelegen.

Vorsichtig umschiffen die vier Redner das böse Wort. Gescheitert? Rausgeflogen? Der neue baden-württembergische FDP-Landeschef Michael Theurer und Fraktionschef Hans-Ulrich Rülke zeigen, dass Angriff die beste Verteidigung ist. Mit beißendem Witz kanzelt Rülke umjubelt Grün-Rot im Land ab, mit leiser Ironie zieht Theurer, der Europaabgeordnete, mutig etwas weitere Kreise.

Und doch: Auffallend oft muss Theurer bei der Begrüßung der Parteiprominenz vor bestens besetzten Rängen im Stuttgarter Opernhaus in der Vergangenheit schweifen. Mag die Riege der anwesenden „früheren“ und „ehemaligen“ Minister und Bundestagsabgeordneten noch immer stattlich sein – all die Brüderles, Kinkels und Gerhardts erinnern hautnah an bessere Zeiten. Nicht mal die drei Könige sind da.

Vieles ist von früher, vieles ist neu. Von früher ist die Party am Vorabend von Dreikönig. Neu ist, dass die FDP ihren Ball in der feinen Reithalle sausen lassen muss und stattdessen in einem schmucklosen Konferenzsaal das Büfett aufbaut. Von früher sind die gewichtigen Mienen, die sich zum Gespräch andienen. Neu ist das geschwundene Medieninteresse – auch wenn einer gefragt ist: Dirk Niebel, Bundesentwicklungsminister a. D., hatte schließlich vor genau einem Jahr an Dreikönig öffentlich den Stab über den damaligen Vorsitzenden Philipp Rösler gebrochen. Ungehörig, aber geradezu visionär. Nun also posaunt statt des glitzernden Erich-Erber-Showorchesters in der Hotellobby die Big Band der städtischen Musikschule Horb ihre Melodien heraus. Wenn schon nicht „Angie“, dann „Black Magic Woman“. Etwas schrill. Wie passend.

„Europa braucht mehr Realismus und Bürgernähe“, ruft Lindner

Christian Lindner, Röslers Nachfolger an der FDP-Spitze, schwört seine Partei an diesem Montagvormittag auf einen Neustart ein. Auf einen Pro-Europa-Kurs zum Jahresauftakt vor allem. Schließlich ist am 25. Mai Europawahl, und da müssen die Liberalen nicht nur die Dreiprozenthürde überspringen. Womöglich könnten sie mit über fünf Prozent, wie jüngste Umfragen andeuten, auch bundespolitisch wieder Boden unter die Füße bekommen. „Für seine Zukunft braucht Europa weder Skepsis noch Romantik. Europa braucht mehr Realismus und Bürgernähe“, ruft Lindner, der heute 35 Jahre alt wird, den rund 1400 Zuhörern zu.

Das Thema Zuwanderung passt dazu. Lindner nennt mangelnde Integration von Zuwanderern als eines der zentralen europäischen Probleme. Bundeskanzlerin Angela Merkel müsse ihr Schweigen brechen „und Klartext sprechen, dass Deutschland ein weltoffenes Land bleibt“. Wie schön, dass man sich wieder an allen anderen Parteien abarbeiten darf. Europarecht verhindere die Zuwanderung in Sozialsysteme, werde aber nicht angewendet, sagt Lindner: „Wenn es europäisches Recht gibt, das deutsche Regierungen nicht umsetzen, ist das kein Problem Europas, sondern ein Problem der deutschen Politik.“ Er bekenne sich zur Freizügigkeit in Europa: „Wer zu uns kommt, um hier zu arbeiten und Steuern zu zahlen, der ist hier willkommen. Den fragen wir auch nicht, wo er herkommt, sondern wohin er mit uns will.“ Und dort, wo es „objektive Probleme“, etwa in Duisburg mit kaum beschulbaren Kindern, verwahrlostem Wohnraum und steigender Kriminalität, gebe, dürften die Städte nicht länger allein gelassen werden.

Lindner versucht, eine Hand in der Hosentasche, aus der Not eine Tugend zu machen: „Wir sind so unabhängig, in der Sache und politisch, wie niemals zuvor in unserer Geschichte. Und das ist die neue Stärke der FDP: die Unabhängigkeit im Urteil und die Eigenständigkeit in der Sache.“ Für die FDP gelte jetzt ein eigener Kompass. „Wir haben es in der Hand“, behauptet Lindner am Ende seiner Rede, für die er mit zwei Minuten langem Beifall belohnt wird.

„Wir werden die modernste Mitmach-Partei“, verspricht Generalsekretärin Nicola Beer. „Wir werden die Bundesregierung jagen“, sagt Lindner. Zeit für Mutmacher.