Im Remstalkino kann man verschnaufen, die Aussicht genießen und sich nach der Singerei vielleicht ein Schlückchen genehmigen. Foto: Gottfried Stoppel

Spazieren und dabei ein bisschen trällern? Auf dem Weinstädter Liederweg lässt sich das prima kombinieren. Aber was hat Gotthilf Fischer damit zu tun?

Weinstadt - Was ist der Weinstädter Liederweg „Sanges Froh“? Jochen Beglau summt einen kurzen Ton, um die Tonart festzulegen, dann lässt er seine Tenorstimme erklingen. „Das Wandern ist des Müllers Lust, das Waa-aa-ndern.“ Seine Augen sind fest auf Text und Noten gerichtet, auf beides könnte er aber wohl verzichten. Jochen Beglau ist der Kulturamtsleiter von Weinstadt und mit traditionsreichem Liedgut bestens vertraut, und als ausgebildeter Sänger verlangt ihm die kurze Darbietung auch nichts ab.

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Doch auch weniger versierte Sänger bekommen im Ort einen echten Motivationsschub, ein paar Tönchen anzustimmen. Dafür sorgt der Liederweg „Sanges Froh“. Der musikalische Rundwanderweg führt durch die Weinberge über den Stadtteilen Beutelsbach und Schnait. Auf 15 Tafeln sind Texte und Noten von volkstümlichen Liedern abgedruckt: „Im Frühtau zu Berge“, „Am Brunnen vor dem Tore“ und – natürlich – „Muss i denn, muss i denn . . .“ von Friedrich Silcher, dem Volksliedkomponisten, der 1789 hier in Schnait geboren wurde. Eine großartige Sicht auf Weinberge, Dörfer und Streuobstwiesen gibt’s obendrein. 

Was ist das Besondere?

Die Idee zum Weinstädter Liederweg kam seinerzeit von Gotthilf Fischer, dem bekanntesten Chorleiter Deutschlands. „Er hat hier gelebt“, sagt Jochen Beglau über den Ende 2020 verstorbenen Verfechter des deutschen Liedguts. Tatsächlich führte die Wanderroute sogar an dessen Haus vorbei. Zur Einweihung des Weges 2007 sangen Tausende mit dem berühmten Dirigenten, und bis heute zieht das Konzept viele Gesangsensembles an. Vor der Pandemie seien die Menschen mit Bussen gekommen. Für Abwechslung ist auch gesorgt. Im Advent werden die Volks- gegen Weihnachtslieder ausgetauscht, im Mai wird die Strecke zum Maienliederweg.

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Für wen ist der Weg geeignet?

Die knapp acht Kilometer lange Strecke verläuft auf geteerten Wegen. Die Steigung ist mit 165 Höhenmetern gefällig. Sprich: Den Liederweg kann jeder gehen. Helena Moser vom Stadtmarketing betont: „Der Weg ist nicht nur für das Publikum Ü 60.“ In der Pandemie habe sie oft Familien mit Kindern beobachtet, die den Weg zum Spazieren und Singen nutzten. Jochen Beglau hält schon von Amts wegen die Fahne fürs traditionelle Liedgut hoch und freut sich, wenn sich Menschen zum Singen animiert fühlen. „Es geht darum, dass die Leute selbst Kultur betreiben und nicht nur konsumieren.“

Was sind die Höhepunkte?

Immer derselbe Film, doch öde wird er nie: Vom Remstalkino, dem geografischen Höhepunkt der Tour, hat man eine atemberaubende Sicht. Auf dem Bergsporn Drei Riesen hoch über Beutelsbach kann man sich auf einem der 26 Kino-Klappstühle niederlassen und den Blick übers untere Remstal genießen. Wandermuffeln sei gesagt: Ab hier geht’s bergab. In Schnait führt der Weg am Geburtshaus Friedrich Silchers vorbei. Dort unterhält der Schwäbische Chorverband sein Silcher-Museum. Wegen Umbauarbeiten ist es allerdings bis 2024 geschlossen. Alternativ kann man sich im Württemberg-Haus Beutelsbach umschauen oder später im Bürgerpark Grüne Mitte auf dem Wasserspielplatz ausruhen.

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Was gibt’s vor Ort noch?

Eine interessante Topografie, urige Ortschaften, üppige Weinberge: Weinstadt eignet sich bestens zum Wandern. Besucher können aus einer Vielzahl von gut ausgeschilderten Routen wählen und auf dem Biblischen Weinwanderweg, dem Kulturlandschafts- oder dem Skulpturenpfad wandeln. Letzterer führt im Teilort Strümpfelbach durch die Weinberge vorbei an 48 spektakulären Figuren des ortsansässigen Künstlers Karl-Ulrich Nuss und einiger Angehöriger. „Wir sind sehr glücklich, wir haben hier sehr viele Pfunde, mit denen wir wuchern können“, sagt Jochen Beglau, und seit Corona kämen deutlich mehr Menschen.

Wie schaut es mit der Anreise aus?

2019, im Jahr der Remstal-Gartenschau, wurde der Liederweg ein bisschen umgemodelt – inhaltlich, aber auch in puncto ÖPNV-Anbindung. Seither ist die Route vom S-Bahnhof Beutelsbach (Linie S 2) ausgeschildert. Alternativ kann man mit dem Auto kommen. An der Beutelsbacher Halle ist ein Parkplatz, eine Wanderkarte weist den Weg. Zudem kann man den „Sanges Froh“-Flyer auf der Homepage der Stadt herunterladen.

Entstehen Kosten?

Auf dem Liederweg wie auch den anderen Routen geht man kostenfrei. Vielmehr hat die Verwaltung jüngst das Angebot an Ortsrundgängen, die man selbstständig machen kann, noch ausgebaut. In den Stadtteilen hängen an prägnanten Stellen Infotafeln, über QR-Codes erfährt man Details. Auch an Online-Schnitzeljagden kann man teilnehmen. „Das hat sich in der Krise als goldrichtig herausgestellt“, sagt Jochen Beglau. Allerdings: Den Geldbeutel daheim lassen sollten gerade Feinschmecker nicht, denn in Weinstadt wimmelt es nur so von kleinen und großen Weingütern, die ihre Erzeugnisse anbieten. Auf der Ortsdurchfahrt weisen zahlreiche Schilder den Weg, unter anderem zur genossenschaftlichen Remstalkellerei.

Und die Verpflegung?

Viertele in den Bollerwagen, Butterbrot und Sitzdecke eingepackt und ab! Der Weinstädter Liederweg bietet sich an für ein Outdoor-Vesper mit Aussicht. Eine neue Alternative: Im Juni hat das Stadtmarketing in Kooperation mit dem Obst- und Gartenbauverein Schnait die Serie „Streuobstwiesen-Picknick“ gestartet. Die Teilnehmer bestellen Essen vor und können sich dann am Streuobstpfad Schnaiter Rain niederlassen. Die Premiere war ausgebucht. Eher Lust auf was Warmes? Sowohl in Beutelsbach als auch in Schnait gibt es etliche Restaurants mit vielfältigem Angebot.