Am Hafen von Beirut ist es zu einer heftigen Explosion gekommen. Foto: AFP/ANWAR AMRO

Der Libanon ringt in diesen Wochen mit seiner schwersten Krise seit Jahrzehnten. Inmitten der politischen Turbulenzen kommt es am Hafen von Beirut plötzlich zu einer heftigen Explosion. Auf den Straßen spielen sich kurz darauf dramatische Szenen ab.

Beirut - In der libanesischen Hauptstadt Beirut hat sich am Dienstag eine gewaltige Explosion mit Dutzenden Toten und mindestens 2700 Verletzten ereignet.

Über der Stadt stieg am frühen Abend eine riesige Rauchwolke auf. Eine Reporterin der Deutschen Presse-Agentur berichtete von einer starken Erschütterung im Zentrum und von großen Schäden. Durch die Wucht der Explosion am Hafen der Küstenstadt gingen Fenster zu Bruch, Straßen waren mit Trümmern und Glasscherben übersät. Große Teile des Hafens wurden vollständig zerstört.

Die Hintergründe der Explosion blieben zunächst unklar. Hinweise auf einen Anschlag oder einen politischen Hintergrund gab es am Abend nicht. Das Auswärtige Amt zeigte sich „erschüttert“. Auch Mitarbeiter der Deutschen Botschaft in Beirut seien unter den Verletzten.

Gesundheitsminister Hassan Hamad sagte am Abend, mindestens 50 Menschen seien getötet und weitere 2700 verletzt worden. Der Generalsekretär des libanesischen Roten Kreuzes, Georges Kettaneh, berichtete der dpa ebenfalls von mehr als 2000 Verletzten. Augenzeugen sprachen von Leichen auf den Straßen und Menschen, die unter Trümmern verborgen seien. Die Armee half, Verletzte in Krankenhäuser zu bringen. Bürger wurden aufgerufen, Blut zu spenden.

Womöglich hochexplosives Material detoniert

Die Nachrichtenagentur NNA berichtete, am Hafen sei in einem Lagerhaus Feuer ausgebrochen. Innenminister Mohammed Fahmi sagte, nach vorläufigen Informationen sei ein hochexplosives Material detoniert, das seit Jahren am Hafen gelagert wurde. Anderen Berichten zufolge ereignete sich die Explosion in einem Lager für Feuerwerkskörper.

Am Abend gab es Spekulationen, eine große Menge Ammoniumnitrat sei im Hafen explodiert. Die Zersetzung des Stoffs, der auch zur Herstellung von Sprengsätzen dienen kann, führt bei höheren Temperaturen zu Detonationen. Die Substanz diente zum Raketenantrieb und vor allem zur Düngemittelherstellung. Berichten zufolge hatten libanesische Behörden vor einigen Jahren 2700 Tonnen des Stoffs an Bord eines Schiffs sichergestellt und ihn seit mehreren Jahren im Hafen gelagert. Eine Bestätigung dafür gab es zunächst nicht.

Zeugen erzählen von der Erschütterung

Im Internet kursierten Fotos von zerstörten Fenstern an Wohnhäusern und Trümmern auf den Straßen. Dutzende Autos wurden beschädigt. Ein Polizist sagte, die Schäden erstreckten sich kilometerweit. Kurz nach der Explosion fielen Telefon und Internet in der Stadt aus. „Wir saßen in unserem Wohnzimmer, und plötzlich fielen uns die Wand und Glas auf den Kopf“, sagte ein Anwohner namens Rumi. Der Hafen liegt nur wenige Kilometer von der Innenstadt Beiruts entfernt.

„Ich war in der Küche und kochte, als ich plötzlich ins Wohnzimmer geworfen wurde“, sagte eine Frau namens Aida. Auch ihre beiden Kinder seien verletzt worden. Ein älterer blutüberströmter Mann saß weinend vor einem Krankenhaus und wartete auf Behandlung. Ein neun Jahre alter Junge sagte, die Erschütterung habe sich angefühlt, als sei er gegen die Tür geworfen und auf den Kopf geschlagen worden.

Wenige Kilometer vom Ort der Explosion entfernt waren 2005 der damalige libanesische Ministerpräsident Rafik Hariri und 21 weitere Menschen bei einem Sprengstoffanschlag getötet worden. Die Residenz seines Sohnes, der frühere Ministerpräsident Saad Hariri, wurde bei der Explosion am Dienstag beschädigt. An diesem Freitag will das UN-Libanon-Sondertribunal in Den Haag sein Urteil gegen vier Angeklagte in dem Fall von 2005 verkünden. Viele Libanon machen die Führung des Nachbarlandes Syrien für den Anschlag auf Hariri verantwortlich. Er hatte vor seinem Tod den Abzug der damals im Libanon stationierten syrischen Truppen verlangt.

Regierungschef erklärt Mittwoch zum Tag landesweiter Trauer

Auch ein Schiff der UN-Friedenstruppen im Libanon (UNIFIL) wurde bestätigt. Mehrere Blauhelm-Marinesoldaten seien verletzt worden, einige von ihnen schwer teilte die Mission mit. „Zu diesem Zeitpunkt sind unsere Gedanken bei den Menschen im Libanon“, sagte ein UN-Sprecher in New York kurz nach dem Vorfall.

Regierungschef Hassan Diab erklärte den Mittwoch zum Tag landesweiter Trauer in Gedenken an die Opfer. Präsident Michel Aoun berief eine Dringlichkeitssitzung des Nationalen Verteidigungsrats ein.

Regierungen anderer Länder zeigten sich betroffen und stellten dem Libanon Unterstützung in Aussicht. Seine Gedanken seien beim libanesischen Volk und den Familien der Opfer, teilte EU-Ratspräsident Charles Michel mit. Der EU-Außenbeauftragte Josep Borrell sicherte die „uneingeschränkte Solidarität und ihre volle Unterstützung“ der Europäischen Union zu.

Frankreich, frühere Mandatsmacht des Libanon, kündigte Hilfen an. Auch Israel, das mit dem benachbarten Libanon keine diplomatischen Beziehungen pflegt, bot über ausländische Kanäle „medizinische humanitäre Hilfe“ an. Offiziell befinden sich beide Länder noch im Krieg. Spekulationen, dass Israel hinter der Explosion stecken könnte, räumte Außenminister Gabi Aschkenasi aus. Auch US-Präsident Trump wurde über die Situation unterrichtet. Man „bete für die Sicherheit der Menschen im Libanon“, schrieb eine Sprecherin des Weißen Hauses auf Twitter.