Jung, mutig, kreativ - das altehrwürdige Riga ist heute eine Stadt im Aufbruch. Foto: Fishman

Lettlands Hauptstadt Riga bereitet sich auf das Europäische Kulturhauptstadtjahr 2014 vor. Die Altstadt lockt schon jetzt Scharen von Touristen.  

Riga - Bestimmt haben in Lettland immer andere: Deutsche, Schweden, Russen, Sowjets. Kein Wunder, dass den Letten ihr Freiheitsdenkmal, die von goldenen Sternen und einer Siegesgöttin gekrönte Säule am Eingang zur Altstadt, heilig ist. Einer Legende zufolge wollten die Sowjets, die Lettland nach dem Sieg über die nazi-deutschen Besatzer in ihre Union zwangen, das Denkmal erst abreißen und dann umdrehen. Ihnen passte es gar nicht, dass die Freiheitsgöttin sehnsüchtig über die Altstadt hinweg nach Westen blickt. Dennoch: Sie blieb stehen und schaut weiterhin unverdrossen in die untergehende Sonne. Auch die Russen sind geblieben. Olga zum Beispiel ist in der Hauptstadt der Lettischen Sozialistischen Sowjetrepublik geboren.

Ihre Familie stammt aus dem nahen, russischen Leningrad, das nun wieder Sankt Petersburg heißt. Mühsam hat sie etwas Englisch gelernt. „What you want to see?“, fragt sie gleich nach einer freundlichen Begrüßung und flaniert dann zunächst mit ihrer Gruppe auf der breiten Uferpromenade der Daugava, wo eine junge Frau die Touristen aus Deutschland auch gleich auf eines der Ausflugsboote locken will. Los ist hier nicht viel. Die Besucher aus dem Ausland drängen sich lieber auf den engen Kopfsteinpflastergassen durch die Altstadt. Zwischen den mittelalterlich anmutenden Häusern aus der Hansezeit reiht sich ein Restaurant ans andere. Dazwischen Hotels, Cafés und Andenkenläden. Olga erzählt, dass ihre Tochter ihr Geld, wie so viele von hier, im Westen verdient. 1000 Euro im Monat bekommt sie als Wäscherin in Berlin. In Riga wäre das ein Managergehalt. Der lettische Durchschnittslohn erreicht gerade mal die Hälfte.

200.000 Einwohner sind ausgewandert

Das Leben in Riga ist dabei fast so teuer wie in Westeuropa. Olga, mit 53 für westliche Verhältnisse eine junge Oma, kümmert sich um ihren Enkel, der abwechselnd bei ihr und beim geschiedenen Vater in Riga lebt. Lettischer Alltag. 200 000 der gut zwei Millionen Einwohner sind auf der Suche nach einem besseren Leben ausgewandert: nach England, Irland, Deutschland. Doch inzwischen kommen viele wieder zurück. Davis war fünf Jahre lang in Rom, hat dort alles Mögliche gemacht und nun zusammen mit seinem Bruder und dessen Frau eine Kneipe namens Kanepes eröffnet. „Ein Wortspiel aus Sofa und Cannabis“, sagt der 29-Jährige und grinst. Kiffer hängen hier allerdings keine herum. „Hier kannst du alles machen. Du musst es nur versuchen“, sagt Davis.

In Italien dauere es Monate, bis man zum Beispiel eine Lizenz für eine Kneipe bekomme. „Hier fängst du einfach an. Den Rest regelt der Markt.“ Zusammen mit vielen Freunden hat er das völlig heruntergekommene Wohnhaus in Rigas nordöstlicher Innenstadt renoviert. Die gut 30 000 Euro fürs Material hatte er teilweise aus Italien mitgebracht, teilweise hat sie sein Bruder aufgetrieben. „Der ist Betriebswirt, der Mann für die Finanzen“, freut sich Davis. „Wir sind ein Familienbetrieb.“ Und der kann sich inzwischen sehen lassen: Unten haben sie eine Theke eingebaut, über die sie Getränke und Knabbersachen verkaufen. Daneben gibt es einen Raum, in dem gemütliche Sofas und Sessel stehen. Im Hof haben die Jungunternehmer alte Fässer als Stehtische aufgestellt und Holzbänke zum Sitzen.

Abends gegen elf wird es rappelvoll. Im ersten Stock des restaurierten Altbaus mischen zwei in rot-weiße Trachten gekleidete junge Frauen auf der Bühne alte lettische Lieder mit modernen Rhythmen. Dazu singen sie mit ihren glasklaren Stimmen. Die Leute toben vor Begeisterung. Miera iela, Friedensstraße, heißt die unscheinbare Straße zwischen alten Fabrikgebäuden und heruntergekommenen Mietshäusern aus den zwanziger und dreißiger Jahren, von deren Fassaden der Putz bröckelt. In einigen der alten Häuser haben sich inzwischen Kunstgalerien eingenistet. In einem Fahrradladen werden Kaffee und Kuchen serviert, während die Kunden auf ihr Rad warten. Riga ist eine Baustelle, auf der ständig etwas Neues entsteht. Wer sich hier engagiert, wird schneller wahrgenommen als in den satteren Ländern des Westens. Besucher erwartet jenseits der komplett sanierten Altstadt eine unfertige Stadt im Wandel, in der die Brüche der Geschichte offen zutage liegen.

„Die Gegend wird allmählich für den Tourismus interessant“

Auch Artis gehört zu den jungen innovativen Litauern, die aus der Not eine Tugend gemacht haben. Eat Riga heißt das Unternehmen, das er mit einem Australier und einem Briten zusammen vor ein paar Jahren gegründet hat. Sie bieten geführte Stadtrundgänge und Radtouren durch Riga an. Aus einem Schuppen in einer Seitenstraße holt Artis die Räder, alle robust und in gutem Zustand. Die Tour geht vorbei an den fünf riesigen Hallen des Zentralmarkts nach Osten in die Moskauer Vorstadt. Ein gigantischer Turm überragt das Viertel: „Stalins Geburtstagstorte“ tauften die Rigaer das Hochhaus im sowjetischen Zuckerbäckerstil der frühen 50er Jahre. An der Wand prangt noch das Relief mit Hammer und Sichel. Den roten Stern haben die Leute nach Lettlands Unabhängigkeit 1991 von der Turmspitze geflext. Hinter dem Hochhaus beginnt eine andere Welt: Blasse, altersschwache, rötlich-braune Holzhäuser aus der Zarenzeit säumen die Straßen, aus denen Regen und Frost den Asphalt gewaschen haben. Mittendrin ein einziger Neubau: Ein Hotel. „Die Gegend wird allmählich für den Tourismus interessant“, meint Artis. Neun Monate lang hat auch er im Ausland gelebt und gearbeitet.

Riga hat er nach seiner Rückkehr kaum wiedererkannt. „Überall gibt es nun neue Bürobauten und Apartmenthäuser“, meint er mit einer Mischung aus Ironie und Stolz. In die Altstadt gehen Artis und seine Geschäftspartner James und Marcus kaum noch. „Nur noch Touristen“, beklagen die beiden, die mit ihren geführten Radtouren durch Riga selbst vom Tourismus leben. James ist Engländer, Marcus Australier. Sie wollen den Gästen das „andere Riga“ jenseits der ausgelatschten Altstadtwege zeigen. Inzwischen können die drei von den Einnahmen aus ihren Touren ganz gut leben.

So wird das Reisewetter in Europa

Infos zu Lettland

Anreise
Ab Stuttgart gibt es keine Direktflüge nach Riga, dafür aber von Frankfurt a. M. und München, z. B. Ryan Air ab 70 Euro ( www.fluege.de) . Eurolines fährt von verschiedenen deutschen Städten aus regelmäßig mit Bussen nach Riga, Fahrzeit ab Stuttgart ca. 34 Stunden, www.touring.de . Mit der Fähre kann man von Travemünde nach Ventspils übersetzen. Fahrtzeit ca. 26 Stunden, Fahrplan und Preise: www.ebden-reisen.de/lettland/scandlines-faehre-travemuende-ventspils.html . Von Ventspils bis Riga sind es noch ca. 185 Kilometer mit dem Auto.

Übernachten
Günstiges, freundliches Hostel (Duschen und Toiletten auf dem Flur, kein Frühstück) zentral mitten in der Altstadt von Riga, www.domahostel.lv

Essen und Trinken
Berühmt ist Riga für seine Schokolade (Leima) und für die lettischen Kuchen, Törtchen und andere süße Leckereien: (Fast) jede Bäckerei in Riga bietet eine Auswahl. An der Miera iela (Friedensstraße) am Nordrand der Innenstadt siedeln sich zwischen alten Industriebauten und verlassenen Fabriken immer mehr ausgefallene Cafés an, zum Beispiel das Dadcafé ( www.dadcafe.lv ).

Die Skylinebar im 26. Stock des aus Sowjetzeiten erhaltenen und inzwischen komplett renovierten Hotels Latvija (Radisson Blu) bietet zum Cocktail den ultimativen Blick über das Lichtermeer der Stadt, www.radissonblu.com/latvijahotel-riga

Sehenswürdigkeiten
Das Besatzungsmuseum erinnert an die Zeit unter der Sowjetherrschaft. Gut erklärt sind das Gulag- System und die stalinistischen Verbrechen. Nur eine kleine Ecke widmet sich dem Nazi-Terror in Lettland, www.omf.lv/en/home

Im Riga Art Space gibt es wechselnde Kunstausstellungen und Multimedia-Events mitten in der Altstadt, www.artspace.riga.lv/en/

Jugendstil zum Sattsehen gibt es im Riga Art Nouveau Museum (Rigas Jugendstila Muzejs) in der Alberta iela 12, www.jugendstils.riga.lv/eng

Im Schatten von „Stalins Geburtstagstorte“, einem riesigen Bau von 1958 (von oben hat man eine wunderbare Aussicht auf die Stadt) versammeln sich die letzten alten russischen Holzhäuser. Zwei Straßen des einst berüchtigten Ghettos von Riga sind hier fast komplett erhalten. Die beliebtesten Ausflugsziele der Rigaer sind das Seebad Jurmala (25 km westlich) mit seinem mehr als 25 Kilometer langen, breiten Sandstrand und der Gauja-Nationalpark in Sigulda (60 km nord-östlich).

Alle Attraktionen findet man auf der Website www.tourism.sigulda.lv . Vom Bahnhof in Riga fahren regelmäßig Züge nach Jurmala und Sigulda.

Allgemeine Informationen
Fremdenverkehrsamt Lettland mit sehr vielen Infos und Links auf der Seite www.latvia.travel/de . Das Programm „Riga - Europäische Kulturhauptstadt 2014“ findet sich auf der Website www.riga2014.org/en/ und www.riga2014.info

Fan werden auf Facebook:https://www.facebook.com/fernwehaktuell