Im Leitbild soll sich spiegeln, wo Vaihingen in Zukunft hinwill. Es soll Richtschnur und Entscheidungshilfe sein, wenn es um Weichenstellungen für die Stadt geht. Foto:  

Die Gartenschau kommt, die Verlegung der B 10 auch, hoffen die staugeplagten Bürger. Um ihre Zukunftsziele in eine Form zu gießen, startet die Stadt Vaihingen jetzt einen Leitbildprozess – und schreibt die Beteiligung der Bevölkerung groß.

Vaihingen/Enz - Zu wenig Transparenz, zu wenig Bürgerbeteiligung, zu wenig in die Zukunft gedacht: Die Vorwürfe aus Teilen der Bürgerschaft gegen Stadtverwaltung und Gemeinderat waren massiv, als im Frühjahr 2018 das brachliegende Enßle-Areal, ein kleines Industriegelände in der Vaihinger Enzschleife, neu bebaut werden sollte. Die Bedenken gipfelten darin, dass das vom Gemeinderat einmütig gutgeheißene Vorhaben per Bürgerentscheid gekippt wurde – auch wenn gerade mal rund 37 Prozent der Bürger abstimmten: 21 Prozent waren gegen die geplante Bebauung, 16 Prozent hätten sie gutgeheißen.

Deutlich mehr Beteiligung erhofft sich Vaihingens Oberbürgermeister Gerd Maisch (Freie Wähler), wenn die Stadt sich nun daran macht, sich ein Leitbild für die künftige Entwicklung der Stadt zu verordnen. Der Dämpfer von 2018 wirkt nach: „Wir hätten in Sachen Bürgerinformation vielleicht noch mehr machen können“, sagt er. Der Bürgerentscheid hat eine dreijährige Zwangspause für Bebauungsüberlegungen des Enßle-Areals zur Folge.

Zwei richtungsweisende Großprojekte stehen an

„So lange haben wir Zeit, uns Gedanken darüber zu machen, wo wir hinwollen“, erklärt Maisch. Und das gilt nicht nur für das Enßle-Areal: In Vaihingen sollen jetzt auch fürs große Ganze Eckpflöcke einschlagen werden. Ein Leitbild soll definieren, wo die Stadt perspektivisch hinwill, welche Utopien sie für ihre Entwicklung hat und welche Normen sie sich dafür setzen möchte. Der Zeitpunkt ist günstig, stehen doch mit dem Zuschlag für die Gartenschau 2029 und mit der geplanten Umgestaltung des Nadelöhrs B 10 bei Enzweihingen zwei richtungsweisende Großprojekte für die Stadt an.

Welcher Mehrwert für die Stadtgesellschaft bleiben soll, wenn die Gartenschau ihre Tore wieder schließt, oder wie sich der Stadtteil Enzweihingen definieren will, wenn ihn dereinst keine Staukolonnen mehr zerschneiden: Fragen wie diese frühzeitig grundlegend zu bedenken und Antworten darauf zu finden, soll zu den Aufgaben des Leitbildprozesses gehören. Es geht aber auch um einen gemeinsam getragenen Überbau für Entscheidungen zu Wohnen, Infrastruktur, Handel, Wirtschaft, Mobilität, Erholung oder Umwelt. „Wir haben zwar ein Einzelhandelskonzept, ein Verkehrskonzept, ein Schulentwicklungskonzept oder ein Spielplatzkonzept, aber nicht in einer Gesamtschau“, verdeutlicht der Vaihinger Stadtplaner Thorsten Donn. Das Leitbild soll für den Gemeinderat künftig Richtschnur und Abwägungshilfe sein.

13 000 Haushalte erhalten Fragebogen

Ihre Lehren aus der jüngsten Vergangenheit haben Verwaltung und Gemeinderat gezogen: Die Bürgerschaft einzubinden, hat bei dem auf zwei Jahre angelegten Leitbildprozess höchste Priorität. Nicht nur stichprobenartig sollen Vaihinger beteiligt werden, hebt Timo Buff vom Stuttgarter Netzwerk Planung und Kommunikation Sippel und Buff hervor, das der Gemeinderat mit der Gestaltung und Begleitung des Leitbildprozesses beauftragt hat. Jeder Haushalt, insgesamt rund 13 000, erhält im Herbst einen Fragebogen und wird zum Mitmachen eingeladen. „So werden wir ein breites Meinungsbild bekommen“, ist sich Buff sicher. Erfahrungsgemäß betrügen die Rücklaufquoten zwischen zehn und 22 Prozent. „Das ist zwar nicht wirklich repräsentativ, aber statistisch belastbar“, so Buff. Von denen, die das Verfahren aktiv begleiten wollen, werden 120 konkret eingebunden. „Sie machen quasi die Kärrnerarbeit für die Gesamtbevölkerung“, sagt Buffs Büropartner Thomas Sippel.

Was letztlich in die Zielformulierungen des Leitbildes kommt, entscheidet zwar der Gemeinderat. Nach den Erfahrungen von Buff und Sippel gibt es dabei aber meist eine große Deckungsquote zwischen Bürgerschaft, Verwaltung und Politik. „Die Auseinandersetzung mit den Ideen aus der Bürgerschaft“, so Sippel, „ist auf jeden Fall garantiert“.