Ein Satire-Song, der für politischen Aufruhr sorgt: Die Sendung „extra 3“ hat ein lustiges Lied über den türkischen Präsidenten Erdogan verfasst, das dieser nicht witzig findet. Foto: NDR

Diskutieren Sie mit! Der deutsche Botschafter in der Türkei ist nach einem Medienbericht wegen einer NDR-Fernsehsatire ins Außenministerium in Ankara einbestellt worden. Ein lustiger Song über Präsident Erdogan kam nicht gut an. Und Berlin kuscht.

Stuttgart - Satire ist nicht jedermanns Sache, und sie schießt nicht selten übers Ziel hinaus. Seit alters her ist Satire eine Spottdichtung, die Zustände oder Missstände sprachlich überspitzt und verspottend thematisiert. Satire will künstlerisch ins Ziel treffen und Personen, Ereignisse oder Zustände anprangern. Auch deshalb fällt die Satire in demokratischen Staaten unter die Pressefreiheit. Zu Recht.

Der türkische Staatspräsident Recep Tayyip Erdogan sieht das – nicht zum ersten Mal – anders. Dabei geht es in erster Linie nicht darum, dass es ihm missfällt, wenn eine Männerstimme unter anderem zu einer Nena-Melodie aus dem Jahr 1983 singt: „Ein Journalist, der was verfasst, das Erdogan nicht passt, ist morgen schon im Knast.“ Das kann man doof finden, auch wenn mehr als ein Körnchen Wahrheit in dem Text steckt. Aber ein Grund, den deutschen Botschafter einzubestellen, ist es auf gar keinen Fall.

Diplomatischer Normalfall

Denn der diplomatische Normalfall ist ein anderer. Dass Erdogan Moskaus Botschafter zu sich zitiert, nachdem ein russischer Kampfjet höchstwahrscheinlich in den türkischen Luftraum eingedrungen war und die Türkei den Jet daraufhin abgeschossen hatte, gehört in seiner ganzen Dramatik für eine insgesamt höchst instabile Region zu den zwischenstaatlichen Gepflogenheiten. Dass sich der deutsche Botschafter dagegen wegen einer harmlosen TV-Satire rechtfertigen und seiner Regierung mitteilen soll, sie solle politisch Einfluss auf die Programmgestaltung eines öffentlich-rechtlichen Fernsehsenders nehmen, ist ein präsidiales Armutszeugnis allererster Güte.

Schlimmer aber ist: In Berlin duckt man sich – möglicherweise aus Angst, Erdogan könnte unbeherrscht wie folgenschwer den Flüchtlingsdeal zum Faustpfand gegen die Pressefreiheit westlicher Prägung machen – stumm weg und lässt sich vor aller Augen vorführen. Ärmlicher, devoter als die Berliner kann sich eine Regierung nicht präsentieren. Aber das passt ins Bild. Während sich ein Sprecher des US-Außenministeriums mit klaren Worten vor seinen Botschafter stellte, der sich das Recht herausgenommen hatte, an der Eröffnung des Schauprozesses gegen die regierungskritischen Journalisten Can Dündar und Erdem Gül teilzunehmen, schweigt das diplomatische Steinmeier-Korps betreten auch in diesem Fall. Was einen wie Erdogan eher zu weiteren Drohungen anstachelt, statt einzulenken.

Präsidiales Verständnis

Erdogans Zorn lässt tief blicken. Nicht nur was westlich-demokratische Werte betrifft. Er zeugt zunehmend von einem präsidialen Selbstverständnis, das zwischen offener politischer Unterdrückung und fragwürdiger rechtlicher Reglementierung pendelt. Erdogan biegt sich seine eigene Wirklichkeit zurecht, macht neben Journalisten und Bloggern vermehrt auch einfache Bürger – bisher rund 2000 – wegen „Präsidentenbeleidigung mundtot, bedroht sie existenziell, stellt sich gegen das höchste Verfassungsgericht seines Landes und damit über das Recht. Das ist für den gesellschaftlichen Zusammenhalt des Landes zu bedrohlich, für die demokratische Festigung der Türkei zu folgenreich, für die schwierigen internationalen Beziehungen zu belastend, als dass man darüber lachen könnte.

Im satirischen Internet-Magazin „Postillon“ hat es das NDR-Musikvideo, das vor Erdogans peinlicher Intervention etwa 20 000 Aufrufe hatte, inzwischen auf über 640 000 gebracht. Erdogan stellt sich und sein stolzes Land damit vor den Augen der Welt bloß. Präsentiert sich wie ein beleidigter Sultan in restaurativ osmanischer Entrücktheit. Das deutsche Video hat ins Schwarze getroffen. Etwas Besseres lässt sich von einer Satire nicht sagen.