Die sieben in Duisburg von der Polizei sichergestellten Autos. Foto: Polizei

In Duisburg ist die Polizei gegen mutmaßliche Hartz-IV-Betrüger vorgegangen und hat mehrere Luxusautos beschlagnahmt. Vergleichbar spektakuläre Fälle gibt es in Stuttgart kaum – Betrügereien aber sehr wohl.

Duisburg/Stuttgart - Ein Abschleppunternehmer hat einen silberfarbenen Mercedes CLS an den Haken genommen, auf seinen Anhänger geladen – und fährt davon. Wenige Minuten zuvor hatte die Polizei den Wagen in der Nähe des Duisburger Jobcenters gestoppt. Der Fahrer, fliederfarbenes Polo-Shirt, langer Bart, sichtbare Tattoos an Armen und Beinen, versuchte noch, mit den zwei Ermittlern zu diskutieren. Ohne Erfolg. Das Auto wurde sichergestellt – wegen des Verdachts auf Hartz-IV-Betrug.

Vor wenigen Wochen hatte der Oberbürgermeister von Duisburg, Sören Link, bundesweit für Schlagzeilen gesorgt, weil er Kindergeldbetrügereien von Zuwanderern anprangerte. Laut Polizei ist das Thema Sozialbetrug in der Stadt ein größeres Thema. Ein Sprecher der Behörde sagt, dass darin auch immer wieder kriminelle Clans verwickelt seien. Die Kontrolle am Jobcenter habe man durchgeführt, weil ein „konkreter Verdacht“ bestanden habe. Und weiter: „Ziel war die Kontrolle von Leistungsempfängern, deren Fahrzeuge mit dem Bezug von Sozialleistungen nicht in Einklang zu bringen waren.“

Was auf Hartz IV angerechnet wird

Ob der gestoppte Mercedes-Fahrer, der schon seit Jahren Hartz IV beziehen soll, einem kriminellen Clan zuzurechnen ist, ist unbekannt. Neben ihm hielten die etwa 30 eingesetzten Polizisten weitere Fahrer an: Insgesamt wurden sieben teure Autos sichergestellt. Laut Polizeisprecher Ramon van der Maat wird nun geprüft, „ob die Fahrer zu unrecht Sozialleistungen erhalten“. Das wäre dann der Fall, wenn sie den Besitz der Autos in ihren Hartz-IV-Anträgen verschwiegen oder eine Änderung ihrer finanziellen Verhältnisse nicht mitgeteilt hätten.

Welche Vermögenswerte werden auf das Arbeitslosengeld II, das umgangssprachlich Hartz IV genannt wird, angerechnet? Laut eines Merkblatts der Bundesagentur für Arbeit schaut die Behörde vor allem auf Bargeldbestände, Guthaben auf Konten, Wertpapiere, Immobilien, Schmuck und auch auf Fahrzeuge. Wenn diese Gegenstände für die Finanzierung des Lebensunterhalts verwendet werden können, werden sie demnach angerechnet. Das bedeutet: Bevor die Leistung der Bundesagentur für Arbeit bezogen werden kann, müssen diese Vermögenswerte verbraucht werden.

Doch es gibt auch Ausnahmen. Zum Beispiel steht Hartz-IV-Beziehern ein angemessenes Fahrzeug zu. „Die Angemessenheit ist dann gegeben, wenn der Bezieher das Fahrzeug zum Beispiel benötigt, um zu einer Arbeitsstelle zu fahren“, erklärt Paul Ebsen von der Bundesagentur für Arbeit. Es handle sich jedoch immer um Einzelfallentscheidungen. Den Sachbearbeitern werde in einer Handlungsanweisung nahegelegt, dass ein Fahrzeug nicht anzurechnen ist, wenn nach Abzug der noch ausstehenden Kreditlast vom Verkaufserlös noch 7500 Euro übrig blieben, sagt Ebsen. Mehr dürfe ein Auto zum Beispiel dann wert sein, wenn der Bezieher aufgrund der Größe seiner Familie und der Anzahl der Kinder einen größeren Wagen brauche. Allerdings: „Wenn ich aber eine Luxuskarosse habe für 70 000 Euro, dann ist die Angemessenheit natürlich in keinem Fall mehr gegeben.“

28 000 Arbeitslosengeld-II-Bezieher in Stuttgart

Reporter, die die Razzia in Duisburg beobachteten, berichten, der Fahrer des Mercedes sei mit einer jungen Frau und einem Baby unterwegs gewesen. Gegenüber der „Bild“-Zeitung gab der Mann an: „Der Wagen gehört gar nicht mir, ich fahre ihn bloß.“ Ähnliche Angaben hätten mehrere der jetzt Verdächtigen gemacht, heißt es bei der Arbeitsagentur. „Es wurde gesagt, dass das Fahrzeug dem Vater, dem Bruder oder sonstigen Verwandten gehöre. Es kommt aber auch darauf an, wer das Auto dauerhaft fährt“, sagt Ebsen. Unter anderem diese Frage werde in jedem einzelnen Fall nun von der Polizei geklärt.

Auch in Stuttgart gibt es Betrügereien bei Hartz  IV, sagt Jürgen Peeß, Leiter des Jobcenters. In 25 Fällen erstatte sein Team durchschnittlich pro Jahr Strafanzeige. Dabei gehe es dann um Vermögenswerte, die nicht angegeben wurden. „Das kann dann auch mal ein großes Auto sein“, sagt Peeß. Anonyme Hinweise kämen oft aus dem persönlichen Umfeld: „Das kann zum Beispiel ein Ex-Partner sein, der von einer Lebensversicherung weiß.“ Die meisten Fälle – im Schnitt 350 pro Jahr – seien solche, bei denen Leistungsberechtigte einer sozialversicherungspflichtigen Beschäftigung nachgingen, sagt er. Diesen Betrugsfällen komme man aber beim regelmäßigen Datenabgleich mit der Rentenversicherung auf die Spur. Das Amt fordere die zu viel bezahlten Leistungen dann zurück.

Spektakuläre Fälle wie die Abschleppaktion in Duisburg habe man in Stuttgart noch nicht gehabt. In Erinnerung geblieben sei nur einer: „Das war ein Leistungsempfänger, der von der Polizei wegen Drogengeschäften überwacht wurde. Bei ihm wurden Goldbarren gefunden. Auch in diesem Fall bekamen wir die Leistungen zurück“, sagt Peeß. Er betont jedoch, dass dieser Fund und die aktuellen Fälle in Duisburg die Ausnahme seien. Das zeige ein Blick auf die Stuttgarter Zahlen: „Bei 22 000 Bedarfsgemeinschaften, in denen 28 000 Leistungsempfänger im Alter ab 15 Jahren leben, macht die Zahl der Betrugsfälle einen Wert von unter 1,5 Prozent aus“, sagt der Jobcenterchef.

Bundesweit Geldstrafen in Höhe von 6,6 Millionen Euro

Bundesweit wurden im vergangenen Jahr 148 524 Straf- und Bußgeldverfahren eingeleitet. Das geht aus einer Aufstellung der Arbeitsagentur hervor. In mehr als 21 000 Fällen wurden demnach Bußgelder verhängt. Fast 50 000 Vorgänge wurden wegen des Verdachts einer Straftat an Ermittlungsbehörden abgegeben – die verhängten im Jahr 2017 Geldstrafen in Höhe von insgesamt rund 6,6 Millionen Euro.

Ob sich der Verdacht auf einen Sozialbetrug bei dem Fahrer des silberfarbenen Mercedes und den anderen Verdächtigen erhärten lässt, müssen jetzt die Ermittlungen der Duisburger Polizei zeigen. Zumindest bis diese abgeschlossen sind, wird das Auto aber wohl auf dem Gelände der Polizei bleiben. Und was passiert, wenn tatsächlich eine Straftat nachgewiesen wird? Polizeisprecher van der Maat: „In diesem Fall kann das Fahrzeug verkauft und mit dem Erlös der Schaden, den das Sozialsystem genommen hat, zumindest teilweise ausgeglichen werden.“ Außerdem droht eine Geldstrafe oder eine Haftstrafe von bis zu fünf Jahren.